Künstliche Intelligenz
20 Jahre Xbox 360: Microsofts Griff nach den Sternen
Bis zur Jahrtausendwende war Microsoft nicht direkt als Spielefirma bekannt. Klar, das damals noch vom Gründer Bill Gates geführte Unternehmen lieferte die Betriebssysteme, auf denen die PC-Spiele dieser Welt seit den frühen 80ern liefen. Und natürlich gab es schon immer Games, die mit Microsoft verbunden waren, allen voran die bereits seit 1982 existierende „Flight Simulator“-Reihe. Und eine Hardwaresparte hatte die Firma auch, die unter anderem zum Teil exzellente Produkte wie die „Microsoft Mouse“ oder die „SideWinder“-Reihe von Gamepads und Flightsticks auf den Markt brachte.
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Aber eine eigene Konsole? Dieses Feld überließ man sehr lange Zeit den anderen. Während Nintendo, Sony und Sega einen Erfolg nach dem anderen feierten, streckte Microsoft seine Fühler erstmals Ende der 90er Jahre in diese Richtung aus – in Form des auf „Windows CE“ basierenden Betriebssystems, das Segas geliebte, aber letzten Endes leider sehr glücklose Dreamcast-Konsole befeuerte. Das scheint den Enthusiasmus der Redmonder Firma aber nicht gebremst zu haben, denn ziemlich genau drei Jahre nach der Erstveröffentlichung der Dreamcast brachte Microsoft endlich sein eigenes Spielsystem auf den Markt: die Xbox, ein Name, der sich aus dem ursprünglichen Arbeitstitel „DirectXbox“ ableitete. Das war ein mächtig gewaltiger Kasten, der schon sehr viel richtig machte (eingebaute Festplatte, Breitband-Internetnutzung, sehr entwicklerfreundliche Entwicklungsumgebung etc.) und Spielemarken wie „Halo“ oder „Ninja Gaiden“ etablierte.
Aus dem Stand heraus wurde die Xbox mit insgesamt etwa 24 Millionen verkauften Einheiten zum sehr soliden Erfolg. Zwar kein Vergleich zu den 160 Millionen der PlayStation 2, aber ein deutlicher Abstand zum GameCube (etwa 22 Mio.) und der Dreamcast (etwa 10 Mio.) Mit dem auf der E3 2005 offiziell angekündigten Nachfolgemodell sollte alles besser werden – weniger als die Weltherrschaft wollte Microsoft nicht akzeptieren!
360 was?
Der Name dieses Nachfolger war nicht etwa „Xbox 2“, sondern „Xbox 360“. Eine ungewöhnliche Wahl. Laut Robbie Bach, dem damaligen Leiter der Entertainment-Sparte bei Microsoft, hatte das zum einen den Grund, dass man neben der seinerzeit ebenfalls kurz vor der Veröffentlichung stehenden PlayStation 3 nicht direkt numerisch veraltet aussehen wollte. Zum anderen sollte die neue Xbox mehr sein als „nur“ eine Spielkonsole: man sollte darauf auch Filme und TV-Sendungen schauen können, Musik hören, im Internet surfen – eben ein 360°-Entertainment-Angebot. Auch für das 2007 in den USA mit Streaming startende Netflix war die 360 eine wichtige Plattform.
Die Xbox 360 war auch das Zuhause ganz fantastischer Indie-Spiele wie zum Beispiel „Braid“ (2008).
(Bild: Microsoft)
Die stand ab dem 22. November 2005 in den nordamerikanischen Läden, anderthalb Wochen später folgte Europa. Die große weiße Verpackung mit den freundlichen grünen Ringen und dem schlichten „XBOX 360“-Schriftzug enthielt ein System, das für die Konsolen der damaligen Zeit mächtig viel Rechenpower in dem schmalen Gehäuse versteckte: Die Dreikern-CPU „Xenon“ auf PowerPC-Basis mit 3,2 GHz, 512 MB GDDR3-RAM und die ATI-GPU „Xenos“ mit 500 MHz. Für das Jahr 2005 war das ein feuriges Rennpferd!
Noch dazu war die Entwicklungsumgebung (anders als bei der etwa ein Jahr später veröffentlichten PlayStation 3) wieder sehr nutzerfreundlich. Microsoft konnte da schon auf zehn Jahre Erfahrung auch mit DirectX unter Windows zurückgreifen. Für die Xbox 360 zu entwickeln unterschied sich kaum von der klassischen PC-Programmierung – kein Wunder also, dass sich kleine und große Spielestudios mit großem Hallo auf das System stürzten. Rechnet man alle Laden- und Digitalveröffentlichungen via Xbox Live Arcade zusammen, erhielt die Xbox 360 während ihrer regulären acht Lebensjahre mehr als 2.100 Spiele.
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Der Blick in die Zukunft
Es war aber nicht nur die schiere Menge an möglicher Unterhaltung, die die Xbox 360 zu etwas sehr Besonderes gemacht hat, es war auch ihre Darreichungsform. Denn erst mit der 360 hielt standardmäßig echtes HD-Gaming in den Wohn- und Kinderzimmern dieser Welt Einzug. Auf PlayStation 2 und GameCube gab’s nur eine 480p-Ausgabe, und die erste Xbox ermöglichte zwar per se ein 720p-Signal, aber das wurde nur von sehr wenigen Spielen genutzt, und das auch nur in den USA im NTSC-Bildstandard – in PAL-Regionen war diese Funktion nicht verfügbar.
Die Xbox 360 dagegen war von Anfang an auf 720p (also „HD ready“) ausgelegt, mit dem im Oktober 2006 ausgelieferten Dashboard-Update folgte sogar noch Unterstützung für 1080p („Full HD“) über Komponenten- und VGA-Kabel. Später auch über HDMI bei neueren Konsolen-Modellen. Die 360 war mit ihren Anschlüssen anfangs sehr auf den US-Markt zugeschnitten, wo Komponenten-Eingänge für HD-Signale an den Fernsehern üblich waren. Und wenn man „Call of Duty 2“, „Kameo: Elements of Power“, „Need for Speed: Most Wanted“ oder „Peter Jackson’s King Kong“ (vier der 15 europäischen Starttitel) einmal in HD gespielt hat, war der Schritt zurück zu den flimmernden Matschpixeln unserer Vorväter ein schwerer.
Willkommen in der Heimarkade
Ein weiterer extrem wichtiger Verdienst der Xbox 360 war, dass sie Online-Gaming auf Konsolen massentauglich gemacht hat. Natürlich gab es schon vorher entsprechende Möglichkeiten, die Dreamcast zum Beispiel kam mit einem serienmäßig verbauten 56k-Modem daher. Für PlayStation 2 und GameCube gab es früher oder später entsprechende Netzwerk-Adapter, und schon die erste Xbox setzt via eingebauten Ethernet-Adapter auf Breitband-Internetnutzung.
Bild 1 von 3
Gears of War
(Bild:
Microsoft
)
Aber da war es noch mehr „Proof of Concept“ als echter Online-Service. Die echte Demokratisierung des Online-Gamings auf der Konsole kam mit der Xbox 360 und dem von Anfang an auf Spieletauglichkeit gebürsteten „Xbox Live“-Angebot daher, lange Zeit der mit Abstand beste Online-Service auf Konsolen. Spiele wie „Gears of War“, „Halo 3“, „Battlefield: Bad Company 2“ oder „Forza Motorsport 2“ waren schon für Solo-Spieler ein riesiger Spaß. Aber online, mit oder gegen echte Menschen, eröffneten sich ganz neue Unterhaltungswelten.
Dazu gehört auch der Spieleservice namens „Xbox Live Arcade“. Auch der nahm seinen Anfang auf der ursprünglichen Xbox, war da aber nur ein Nachgedanke. Auf der Xbox 360 war das eines der wichtigsten Argumente für kleinere Entwickler. Denn hier fanden sich nicht nur tolle Umsetzungen vieler Klassiker wie „Rez“, „Castlevania: Symphony of the Night“, „Ikaruga“, „Radiant Silvergun“ oder „Contra“ , sondern auch einige der besten Indie-Games aller Zeiten. Spiele wie „Braid“, „Geometry Wars: Retro Evolved“, „Bastion“, „Limbo“, „Super Meat Boy“ oder „Trials HD“ nahmen in der Xbox Live Arcade der 360 ihren Anfang.
Schon 2005 erschien das Effektfeuerwerk „Geometry Wars: Retro Evolved“ als Indy-Titel.
(Bild: Microsoft)
Natürlich lief nicht alles so glatt, wie es im Nachhinein klingt. So durfte anfangs in der Arcade nur in „Microsoft Points“ gezahlt werden, einer virtuellen Währung, die man sich für echte Euros kaufen musste – was immer nur in Blöcken ging, wie zum Beispiel 400 Points für 4,80 Euro. Auch durften die Arcade-Spiele anfangs nicht größer sein als 50 Megabyte. Aber sowohl dieses Größenlimit als auch das willkürliche Bezahlsystem verschwanden schnell wieder, und man durfte sich jeden Mittwoch auf mindestens ein neues XBLA-Spiel freuen.
Arbeiten für den Gamerscore
Aber nicht jede Neuerung der 360 war automatisch eine gute Idee. Das Konzept der „Achievements“ zum Beispiel ist noch bis heute umstritten: Auf der einen Seite ist der über freigeschaltete Achievements stetig ansteigende „Gamerscore“ es eine nette Zusatzbelohnung für besonders aufmerksame oder verbissene Spieler. Auf der anderen Seite haben gewiefte Entwickler sehr schnell die Sogwirkung einfacher „Cheevos“ für sich entdeckt, und billig hingerotzte Games in die XBLA gedrückt, deren einzige Existenzberechtigung die sehr einfach freizuschaltenden Achievements waren. Aber egal, wie man zu diesem System steht, es hat sich durchgesetzt. Achievements oder deren Pendants finden sich heute auf der PlayStation, bei Steam, in Retro-Emulatoren und eigentlich irgendwie überall.
Auch bei anderen Ideen fragt man sich im Nachhinein, wieso das jemals durchgewunken wurde: Das „Kinect“-System, eine übergroße Kamera, die Bewegungen vor dem Fernseher erfasst und ins Spiel übertragen kann, hat in der Entwicklung und im Marketing hunderte Millionen US-Dollar gekostet – und sorgte letzten Endes nur für ein paar simple Spiele, die nie mit denen mithalten konnten, die es schon Jahre zuvor für Sonys „EyeToy“-System gab. Und das später nachgeschobene externe HD-DVD-Laufwerk floppte trotz mehrerer Preissenkungen – den Formatkrieg um HD-Discs hatte Sony mit der Blu-ray gewonnen. Die PlayStation 3 mit entsprechendem Laufwerk erschien erst ein Jahr nach der Xbox 360.
Über eine Milliarde für den Todesring
Und dann gab es natürlich auch noch den gefürchteten „Red Ring of Death“: Ein Hardwarefehler, der die erste Generation der Xbox 360 betraf, und seinen Namen der Ringanzeige an der Front der 360 verdankte. Die leuchtete beim regulären Betrieb ermutigend grün – aber wenn die Konsole kaputt war, dann strahlten die Segmente blutrot und nichts ging mehr.
Wenn man Pech hatte, dann gab die 360 mitten im Betrieb einfach auf und leuchtete nur noch rot. Das betraf aber nur frühe Konsolen.
(Bild: Paul Kautz)
2007 wurde das zu einem echten Problem für Microsoft, mehr und mehr Kunden berichteten von spontan ausfallenden Konsolen, den Autor dieser Zeilen erwischte es gleich drei Mal. Microsoft verlängerte die Garantie der Xbox 360 und tauschte alle vom Problem betroffenen Geräte auch anstandslos aus. Was aber natürlich abermals sehr viel Geld kostete. Offizielle Berichte sprechen von knapp 1,15 Mrd. US-Dollar, außerdem war das Vertrauen der Kunden angeknackst. In seiner eigenen YouTube-Dokumentation zur Geschichte der Xbox-Konsolen namens „Power On“ stellt Microsoft das Ganze als schnelle Problemlösung auf höchster Ebene dar, zeigt aber auch die Wut, die viele Spieler in den USA damals an den Konsolen ausließen. Der Fairness halber sei gesagt, dass auch die PlayStation 3 unter einem ähnlichen, aber weniger weitverbreiteten Problem namens „Yellow Light of Death“ (YLOD) litt.
Schöne neue Spielewelt
Aber wenn die Konsole lief, dann lief sie wie geschmiert: Das Bild war wunderbar scharf, der Controller lag super in der Hand, der Ton donnerte in Dolby Digital aus den Boxen – das war eine ganz neue Spielewelt! „Gears of War“, „Forza Horizon“, „Halo“, „Mass Effect“, „Dead Rising“, „Lost Planet“, „Skyrim“, „Dead or Alive“, „Crackdown“, „Project Gotham Racing“, „Lost Odyssey“, „Blue Dragon“, „Fable“, „Alan Wake“, „Halo Wars“ – es gibt so viele Spiele und Serien, die auf der Xbox 360 entweder ihren Anfang nahmen, fortgesetzt wurden oder zu ihrer Bestform fanden.
Die Xbox 360 war vor allem im Westen populär. In Japan konnte sie (genau wie ihre Vorgängerin) nie richtig Fuß fassen – und das, obwohl es darauf exzellente Japano-RPGs wie „Lost Odyssey“ (2007) gab.
(Bild: Microsoft)
Es hat schon seinen Grund warum die Xbox 360 nicht nur bis heute mit mehr als 80 Millionen verkauften Exemplaren Microsofts bestverkaufte Konsole ist sondern auch die beliebteste. Die Firma hat aus den Erfahrungen und Fehlern der ersten Xbox gründlich gelernt und einen Nachfolger abgeliefert, der einfach alles sehr viel besser gemacht hat.
Exakt acht Jahre nach ihrem Erstverkaufstag folgte auf die 360 dann die Xbox One. Aber ob wir an die in weiteren zwölf Jahren auch noch so enthusiastisch zurückdenken werden?
(nie)