Datenschutz & Sicherheit
„Absurd und respektlos“: Dänischer Justizminister diskreditiert Chatkontrolle-Proteste
Der dänische Justizminister Peter Hummelgaard hat in einer Pressekonferenz nach der abgesagten Chatkontrolle-Abstimmung im Rat der EU Journalist:innen empfohlen, sie sollten „dem Geld folgen“ (Video), um herauszufinden, wie die Chatkontrolle-Debatte entstanden sei. Damit streut er Gerüchte, dass die Gegner:innen der anlasslosen Überwachung letztlich gekauft seien.
Der Sozialdemokrat Hummelgaard wiederholt damit Vorwürfe, die er schon im September dieses Jahres im dänischen Rundfunk DR erhoben hatte. Dort äußerte er die Meinung, dass es in dieser Debatte einige falsche Narrative gäbe, und er verstehe auch gut, woher sie kämen. Weiter behauptete er: „Sie stammen zum großen Teil aus sehr, sehr starkem und heftigem Lobbyismus seitens der Tech-Unternehmen.“
Die Aussagen wirken alleine angesichts der Breite des Widerspruches gegen die Chatkontrolle schon aus der Luft gegriffen. Seit Jahren reden sich Hunderte von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützern, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards, Wissenschaftlerinnen weltweit den Mund gegen die Chatkontrolle fusselig, weil sie diese für ein grundrechtsfeindliches und gefährliches Überwachungsprojekt halten.
Absurd, verzweifelt, respektlos
Dementsprechend empört fallen auch Reaktionen aus der Zivilgesellschaft aus. „Die Beschuldigung, die netzpolitische Zivilgesellschaft sei gekauft, übertrifft in Absurdität und Respektlosigkeit noch Axel Voss Vorwürfe in der Urheberrechtsdebatte“, sagt Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Der Europaabgeordnete raunte damals, die Proteste seien von Bots gesteuert.
Die „Arbeit an der Chatkontrolle“ würde zu großen Teilen von vollständig ehrenamtlichen Akteurinnen wie dem CCC gemacht, so Eickstädt weiter. „Wir sind hauptberufliche Techniker:innen, die es sich in ihrer Freizeit zur Aufgabe gemacht haben digitale Menschenrechte zu schützen.“
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Auch Konstantin Macher von der Digitalen Gesellschaft hält die Aussagen des dänischen Justizministers für absurd: „Sie zeugen vom verzweifelten Versuch, die Chatkontrolle notfalls auch mit unlauteren Methoden durchzudrücken. So ein Verhalten haben wir schon einmal von der ehemaligen EU-Innenkommissarin gesehen, die wegen ihrer Nähe zur Pro-Chatkontrolle-Lobby massiv in der Kritik stand.“
In eine ähnliche Kerbe haut auch Jesper Lund, Vorsitzender der dänischen Digitalorganisation IT-Pol: „Es werden keine Beweise vorgelegt, und das genaue Gegenteil ist der Fall: die Proteste werden von Menschen organisiert.“ Tatsächlich seien ja Journalisten „dem Geld gefolgt” und hätten damals erhebliche versteckte Finanzmittel hinter der Unterstützung für die Chatkontrolle aufgedeckt. „Ich kann hinter Hummelgaards Aussagen nur einen einzigen Zweck erkennen: er will die öffentlichen Proteste diskreditieren, die mehr EU-Regierungen dazu bewegen könnten, sich im Rat gegen Chatkontrolle auszusprechen“, so Lund weiter.
Recherchen decken Netzwerk der Chatkontrolle-Lobby auf
EU-Kommission beim Lobbyismus aufgefallen
Im Verlauf der mittlerweile vier Jahre anhaltenden Chatkontrolle-Debatte war vor allem die EU-Kommission durch Empfänglichkeit für Lobbyismus und eigene Lobbytätigkeiten aufgefallen. So konnten die Überwachungsbefürworter von der Lobbyorganisation Thorn innerhalb von 37 Minuten einen Termin mit der damaligen EU-Innenkommissarin Johansson organisieren.
Verschiedene europäische Medien hatten zudem aufgedeckt, dass ein breites und millionenschweres Netzwerk aus Tech-Firmen, Stiftungen, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen auf höchster EU-Ebene für die Chatkontrolle lobbyiert hatte. Die EU-Kommission hatte im Jahr 2023 darüber hinaus zu politischem Targeting gegriffen und zielgerichtete Werbung auf Twitter in Ländern geschaltet, die kritisch gegen die Chatkontrolle eingestellt waren.