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Barrierefreier digitaler Raum per Gesetz: Das BFSG ist da


Am 28. Juni ist nach einer knapp vierjährigen Übergangsfrist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft getreten. Es wurde 2021 beschlossen und setzt die EU-Richtlinie 2019/882, auch bekannt als European Accessibility Act (EAA), in nationales Recht um. Bei Verstoß drohen empfindliche Bußgelder bis 100.000 Euro.

In anderen Teilen der Welt sind ähnliche Gesetze bereits in Kraft. Das Ziel: digitale Angebote für Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen zugänglich zu machen. Trotzdem sind laut aktueller Studien mehr als 90 Prozent der populärsten Webangebote nicht barrierefrei.

Gänzlich neu ist eine solche Pflicht auch hierzulande nicht. Um allen Menschen gleichermaßen Zugang zu Anwendungen, Webseiten und Fachverfahren des öffentlichen Sektors zu gewährleisten, gibt es in Deutschland mit der Barrierefreie Informationstechnik Grundverordnung (BITV) und dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) bereits seit 2002 eine gesetzliche Verpflichtung, diese nach einem umfangreichen Kriterienkatalog barrierefrei zu gestalten. Deren Neuauflage, die BITV2, ist seit 2011 in Kraft, 2019 wurde sie aktualisiert, ohne dass sie eine neue Versionsnummer erhielt.

Aber für die Privatwirtschaft gab es eine derartige gesetzliche Vorgabe zur digitalen Barrierefreiheit in Deutschland bisher nicht. Das ändert sich jetzt. Mit Inkrafttreten des BFSG müssen eine ganze Reihe digitaler Dinge eine ganze Reihe Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen. Jedoch nur solche, die sich an Verbraucher richten. Der Business-to-Business-Bereich (B2B) ist nicht vom BFSG betroffen.

Während das BFSG den Gültigkeitsbereich und weitere Pflichten für Anbieter und Marktaufsichtsbehörden definiert, konkretisiert die zugehörige Rechtsverordnung (BFSG-V) die Anforderungen. Grundsätzlich ergeben sich diese aus der EU-Norm EN 301549 („Accessibility requirements for ICT products and services“), auf die BFSG und BFSG-V durch die Nennung harmonisierter Normen indirekt verweisen.

Der erste Paragraf des BFSG listet die „Produkte und Dienstleistungen“, die unter das Gesetz fallen. Genannt werden neben Geld-, Fahrkarten oder Check-in-Automaten und E-Book-Readern auch recht unkonkret „Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmten Betriebssysteme“ oder „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“.

Was damit gemeint ist, wird mit einem Blick auf Paragraf 2 klarer. Die Hardwaresysteme umfassen demnach Rechner, Smartphones und Tablets. „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ meint Onlineshops, schließt laut der Bundesfachstelle Barrierefreiheit aber auch Webseiten und Apps mit Terminbuchungsfunktion ein, da auch diese dem Abschluss eines Verbrauchervertrags dient.

Die Fachstelle wurde 2016 zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts eingerichtet und soll Behörden, Verwaltungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in Fragen der Barrierefreiheit unterstützen. Sie stellt Leitlinien bereit, die der Wirtschaft als Wegweiser durch das BFSG dienen sollen. Demnach ist die Aufzählung der genannten Produkte und Dienstleistungen abschließend. Wer nichts davon anbietet, etwa Betreiber privater Webseiten oder Apps ohne gewerblichen Zweck, ist also nicht betroffen. Ebenfalls nicht betroffen sind Webangebote und -Apps von Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten oder weniger als zwei Millionen Euro Jahresumsatz. Außerdem können Unternehmen sich auf bestimmte Ausnahmetatbestände berufen. Möglich ist das, wenn Produkte oder Dienstleistungen durch die Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen derart verändert werden müssten, dass man sie als eine neue Sache betrachten könnte. Auch wenn die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen eine unverhältnismäßige organisatorische oder finanzielle Belastung darstellt, kann ein Ausnahmetatbestand geltend gemacht werden.

Für bestimmte Produkte, etwa Selbstbedienungsterminals, gelten Übergangsfristen bis 2040. Für Geräte wie E-Book-Reader, Smartphones, Tablets, Rechner oder Smart TVs gilt jedoch, dass sie, sofern sie nach dem 28. Juni 2025 angeboten werden, die jeweils relevanten Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen müssen. Diese betreffen nicht nur das Produkt selbst, sondern auch Anleitungen, Verpackungen oder die technische Dokumentation.

Auch für betroffene Webseiten und Apps gilt, dass sie zum Stichtag grundsätzlich barrierefrei sein müssen. Ausnahmen gelten für vor dem Stichtag veröffentlichte Dokumente oder Videos, Inhalte Dritter, die nicht der Kontrolle des Webseiten- oder App-Betreibers unterliegen, sowie Karten und Archive, die nach dem Stichtag nicht aktualisiert oder überarbeitet werden.

Die konkreten Anforderungen für das Web orientieren sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese geben nach den Prinzipien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit strukturierte Kriterien in den drei Konformitätsleveln A, AA, und AAA vor. Um dem BFSG zu genügen, müssen mindestens die Kriterien der Level A und AA erfüllt werden. Grundsätzlich soll erreicht werden, dass alle Inhalte von allen Nutzern wahrgenommen, verstanden und bedient werden können und auch mit Bedienhilfen, zum Beispiel einem Screenreader, zuverlässig funktionieren.

Dabei geht es um weit mehr, als nur Kontraste anzupassen oder ein paar Alternativ-Texte zu ergänzen. Betreiber, die sich bisher nicht darum gekümmert haben, sind reichlich spät dran. Auf heise.de finden sich nützliche Tipps, was in einem solchen Fall zu tun ist und was getan werden kann, um rechtlichen Konsequenzen entgegenzuwirken. Etwa schreibt das BFSG eine Erklärung zur Barrierefreiheit vor, das sogenannte Accessibility-Statement. Es sollte von jeder Unterseite aus leicht auffindbar sein, daher bietet sich etwa ein Link auf der Startseite oder im Footer der Webseite oder App an. Die Inhalte sind größtenteils vorgeschrieben. Im Statement sollte erklärt werden, inwieweit die Webseite oder App die Vorgaben erfüllt, bestehende Barrieren benannt und Feedback- und Kontaktmöglichkeiten angeboten werden. Auch sollte ein Verweis auf die zuständige Schlichtungsstelle enthalten sein und das Datum der letzten Barrierefreiheitsprüfung unter Angabe der verwendeten Prüfmethoden genannt werden.

Man sollte solche Checks regelmäßig durchführen. Automatisierte Tools wie das WAVE Accessibility Evaluation Tool bieten erste Anhaltspunkte, die man aber durch manuelle Tests ergänzen sollte. Zu überprüfen ist beispielsweise, ob man auch ohne Maus auf der Webseite zurechtkommt, ob die Kontraste stimmen, ob es Alternativtexte für Bilder und Videos gibt, ob alle Inhalte klar strukturiert und die Elemente richtig ausgezeichnet sind und ob es Untertitel und Transkripte für Videos und Audiodateien gibt.

Wer die Vorgaben beherzigt, macht nicht nur bestehende Nutzer glücklich – auch die freuen sich schließlich über eine sinnvolle Benutzerführung –, sondern gewinnt vielleicht auch neue Nutzer und neue Kunden. Denn wie Accessibility-Advocate Clive Loseby in seinem TED-Talk „The Internet’s Accessibility Problem and how to fix it“ treffend sagte: „Behinderte Menschen haben Geld. Geld, das sie für Waren und Dienstleistungen ausgeben wollen. Und wenn sie das nicht bei Ihnen tun können, dann tun sie das eben woanders.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass etwa eine Milliarde Menschen weltweit eine Behinderung haben. Die Aktion Mensch geht davon aus, dass die Gruppe derer, die Barrieren im digitalen Raum erfahren, deutlich größer ist und nennt ganze 30 Prozent der Bevölkerung. Sie leben beispielsweise mit motorischen Einschränkungen, haben eine Sehschwäche – oder sie leben mit temporären Einschränkungen, etwa einem gebrochenen Daumen oder einem Neugeborenen auf dem Arm. Auch wer aktuell zu keiner dieser Gruppen gehört, wird vielleicht irgendwann dazugehören.


(kst)



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