Künstliche Intelligenz
Big Brother Awards: Preise unter anderem für Amazon, Dobrindt und weitere
Zur Stunde werden in Bielefeld die Big Brother Awards verliehen. Was im Jahre 2000 in einem kleinen Keller begann, ist mittlerweile eine Gala mit „geschliffener Rede und Musik“, wie der Veranstalter Digitalcourage schreibt. Inmitten vieler Umbrüche bleibt man sich treu: Mit Alexander Dobrindt erhält der 14. Innenminister den Negativpreis, dieses Mal für ein „Sicherheitspaket“ voller Überwachungstechniken. Den Anfang machte vor 25 Jahren der Berliner Innensenator Eckart Werthebach mit dem Ausbau der Telefonüberwachung durch sogenannte IMSI-Catcher.
Zum Jubiläum gibt es aber auch Veränderungen: Jugendliche von Teckids präsentieren in der Kategorie „Jung und überwacht“ in Sketchen die Datenkraken aus ihrer Lebenswelt. Der Einsatz von iPads in Schulen und der Messanger WhatsApp werden deshalb ausgezeichnet, weil beide auf ihre Weise Nichtnutzer ausgrenzen. Die heutige Preisverleihung wird als Livestream übertragen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist mit der Neuauflage eines „Sicherheitspakets“ der unglückliche Gewinner in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“. Mit dem Gesetz sollen Maßnahmen wie die biometrische Datensuche per Gesichtserkennung im Internet und in den sozialen Medien durch die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ermöglicht werden. Preistreibend ist auch die von Dobrindt veranlasste Prüfung, ob die Software Gotham des US-Unternehmens Palantir bundesweit von dem Bundeskriminalamt eingesetzt werden kann.
Damit befindet sich Dobrindt in guter Gesellschaft: im Jahre 2019 erhielt der hessische Innenminister Peter Beuth einen Big Brother Award, weil er die Palantir-Software unter dem unverfänglichen Namen „Hessendata“ für 0,01 Euro zuzüglich 600.000 Euro Schulungskosten angeschafft hatte. Großes Lob für die Auszeichnung von Beuth kam von der damaligen SPD-Abgeordneten Nancy Faeser – bevor sie Bundesinnenministerin wurde und ihr eigenes „Sicherheitspaket“ schnürte, Gesichtserkennung inklusive.
Mittlerweile gibt es einen Big Brother Award in der Kategorie „Neusprech“. Zum 25. Jubiläum ist es der „Bürokratieabbau“, mit dem Firmen eine Deregulierung in ihrem eigenen Interesse fordern. Ob es der Datenschutz ist oder der Umweltschutz, der Verbraucherschutz oder das Lieferkettengesetz, immer muss der Bürokratieabbau als Deckmäntelchen für die unterschiedlichsten Gängelungsversuche herhalten, argumentieren die Preisverleiher. Das gelte auch für die Politik, wie in den USA zu sehen sei. Dort würden im Namen des Bürokratieabbaus ganze Behörden geschleift und auf Trump-Kurs gebracht. Deshalb geht der Big Brother Award an kein Unternehmen oder eine Behörde, sondern wird unter dem Stichwort „Was mich wirklich wütend macht“ zu einem Plädoyer für digitale Souveränität in Europa mit 450 Millionen Menschen und 23 Millionen Unternehmen. „Wir müssen verdammt noch einmal Ernst machen mit der digitalen Souveränität! Bundesbehörden und alle wichtigen Institutionen, Schulen, Universitäten, Stadtwerke, Verbände und Firmen müssen schnellstmöglich weg von Microsoft, Google, Amazon“, sagte Laudatorin Rena Tangens.
Arbeitswelt: Big Brother Award für Amazon
Einen Big Brother Award für Amazon in der Kategorie „Arbeitswelt“ dürfte niemanden verwundern. Tatsächlich bekam Amazon Logistik Bad Hersfeld im Jahre 2015 den Preis für Klauseln in den Arbeitsverträgen, die die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden verletzten, und für die Speicherung von Gesundheitsdaten in den USA. 2025 geht der Arbeitswelt-Preis erstmals an deutsche Gerichte, die zugunsten von Amazon urteilten.
2017 wandte sich der Amazon-Betriebsrat des Logistikzentrums in Winsen an der Luhe an den niedersächsischen Datenschutzbeauftragten. Dieser befand, dass die Leistungsmessung der „Picker“ auf „schwerwiegende Art und Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ eingreife. Der Fall ging vor das Verwaltungsgericht Hannover. Es kam zur Gerichtsverhandlung – in den Räumlichkeiten des Konzerns. Amazon gewann das Verfahren, weil die Leistungsmessung ein „objektives Feedback“ ermögliche. Die dauerhafte Speicherung der Daten sei „für die permanente Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforderlich“ und daher „im Eigeninteresse“ der Beschäftigten.
Neben der 10. Kammer des Verwaltungsgerichtes Hannover darf sich auch der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichtes über einen Big Brother Award freuen. Er hatte als letzte Instanz über die Nutzung der Software „People Engine /New HCM“ zu entscheiden, die Personaldaten in den USA verarbeitet, ohne dass der Betriebsrat eine Kontrolle über die Datenverarbeitung habe. Der Fall ging zunächst vor das Arbeitsgericht Fulda und dann zum Landesarbeitsgericht Hessen. Beide Gerichte entschieden, dass die Einführung der Software nicht mit Datenschutzargumenten untersagt werden darf. Das Landesgericht versuchte sogar, den Gang zum Bundesarbeitsgericht zu verbieten, was eine weitere Klage zur Folge hatte. Schließlich landete der Streit doch vor dem höchsten Gericht. Das urteilte kurz und knapp, dass die Beschwerde unzulässig sei und man von einer weiteren Begründung absehe.
Auch Google hat bereits zwei Big Brother Awards in seinem virtuellen Schrank, einmal für das „globale Datensammeln“ und einmal für die „massive Manipulation“ des Internet-Werbemarktes. Den nächsten Award könnte sich Google Ireland Limited in der Kategorie „Technik“ für die „Zwangs-KI Gemini in Android-Mobiltelefonen“ abholen. Gegenüber dem alten Google-Assistenten bewertete die Preis-Jury es als besonders kritisch, dass sich der neue Chatbot über die Update-Funktion in die Mobiltelefone einschleicht und nur schwer deaktiviert beziehungsweise datenschutzfreundlich eingestellt werden kann. Genüsslich zitiert Laudator Frank Rosengart vom Chaos Computer Club in seiner Rede, dass man bei Google eigentlich derselben Meinung ist, wenn es in den Datenschutzhinweisen heißt: „Geben Sie in Ihren Unterhaltungen keine vertraulichen Informationen und keine Daten an, die Prüferinnen und Prüfer nicht sehen sollen oder die nicht zur Verbesserung der Produkte, Dienste und Technologien für maschinelles Lernen von Google verwendet werden sollen.“ Mit „Prüferinnen und Prüfer“ sind Tausende von schlecht bezahlten Raters gemeint, die bei Google-Dienstleistern wie GlobalLogic, die Fragmente der in die Cloud kopierten Chatbot-Unterhaltungen vor dem KI-Training lesen und einordnen.
25 Jahre und kein Ende
Die ersten Big Brother Awards wurden 1998 in Großbritannien von Privacy International vergeben. Im Zuge der Enfopol-Recherchen erhielt die britische Abhörstation Menwith Hill einen „Lifetime Award“. In Deutschland übernahm der Verein zur „Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“ (FoeBuD) ab 2000 die Aufgabe, die von einer Jury ausgewählten Preisträger zu präsentieren. In der Jury saßen Mitglieder anderer IT-kritischer Vereine wie dem Chaos Computer Club oder dem Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft FITUG.
25 Jahre später hat sich vieles verändert, doch die Preise sind geblieben: Den FITUG gibt es nur noch im Web, aus FoeBuD wurde Digitalcourage und bei den Preisen kamen neue Kategorien wie „Social Media“ zu den Klassikern „Arbeitswelt“ und „Technik“ hinzu. Während in anderen Ländern die Vergabe von Big Brother Awards längst wieder eingestellt wurde, lief die Bielefelder Gala weiter und weiter, mitunter gekoppelt an weitere Aktionen: 2006 zogen rund 300 Demonstranten vor der Preis-Gala unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ durch die Bielefelder Innenstadt. In 25 Jahren wurde übrigens nur ein einziges Mal ein Positiv-Preis für den Datenschutz vergeben. Der Whistleblower Edward Snowden erhielt 2014 den “Julia-und-Winston-Award“.
(mack)