Künstliche Intelligenz
Chatkontrolle: Immer mehr Warnungen vor dem Aufweichen sicherer Verschlüsselung
Im Vorfeld wichtiger Weichenstellungen in Berlin und Brüssel rund um den seit Jahren umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur massenhaften Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch wächst der Widerstand gegen die Initiative. Nach zivilgesellschaftlichen Organisationen und Betreibern von Messenger-Diensten sprechen sich nun auch IT-Verbände, andere Unternehmenszusammenschlüsse, der Kinderschutzbund und Pressevereinigungen nachdrücklich gegen das Durchleuchten privater Online-Kommunikation und das Aufbrechen von Verschlüsselung aus.
Der eco-Verband der Internetwirtschaft etwa warnt eindringlich vor der geplanten Chatkontrolle. Er fordert die Bundesregierung sowie die EU-Länder auf, den Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft bei den anstehenden Beratungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (Coreper) diese Woche und beim Treffen der Justiz- und Innenminister Mitte Oktober abzulehnen.
Der Entwurf sehe weiterhin die Verpflichtung von Anbietern digitaler Kommunikationsdienste vor, private Nachrichten zu durchsuchen, führt der eco aus. Dies beträfe auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste wie WhatsApp, Signal und Threema. Eine neu ins Spiel gebrachte „Einwilligungslösung“, die Nutzer vor die Wahl stelle, einer Überwachung zuzustimmen oder Funktionen wie den Versand von Bildern und Videos zu verlieren, ändert laut dem Verband wenig am Schaffen einer „unkontrollierbaren Infrastruktur zur Massenüberwachung“ und dem faktischen Aushebeln sicherer Verschlüsselung.
Digitale Souveränität geht flöten
„Ein ‚Kompromiss‘, der das anlasslose Scannen privater Kommunikation festschreibt – ob nur nach bekannten oder auch nach unbekannten Inhalten – ist keiner“, betont Klaus Landefeld aus dem eco-Vorstand. „Er bleibt grundrechtswidrig, technisch fehlgeleitet und sicherheitspolitisch gefährlich.“ Wer Verschlüsselung aufweiche, schwäche immer auch den Schutz von Bürgern, Unternehmen und kritischen Infrastrukturen. Internet-Beschwerdestellen wie die vom eco erzielten bereits Löschquoten bis zu 99 Prozent bei Missbrauchsdarstellungen.
Auch die European Digital SME Alliance, der rund 45.000 kleine und mittlere Unternehmen wie Ecosia, Element, Heinlein Group, Nextcloud und Wire angehören, schlägt in einem offenen Brief Alarm. Sie monieren, dass die aktuelle Vorlage aus Dänemark weiterhin das clientseitige Scannen auch verschlüsselter Nachrichten direkt auf Endgeräten vorsehe, grundlegende Sicherheitsstandards untergrabe und die digitale Souveränität Europas gefährde.
Die Unterzeichner betonen, dass der Schutz der Privatsphäre und die Verschlüsselung essenziell für wirtschaftliche Unabhängigkeit und nationale Sicherheit seien. Würden europäische Dienste faktisch zum Einbau von Schwachstellen gezwungen, verlören Nutzer das Vertrauen und würden zu ausländischen Anbietern wechseln. Das werde „Europa noch abhängiger von amerikanischen und chinesischen Tech-Giganten machen“ und den Wettbewerbsvorteil, den europäische Unternehmen durch europäische Datenschutzvorgaben erworben hätten, zerstören.
Demokratie gefährdet
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht eine konkrete Gefahr für Journalisten: „Der Quellenschutz, ein Grundpfeiler der Pressefreiheit, lebt von der Garantie sicherer Kommunikationswege.“ Könnten Informanten nicht mehr vertraulich Kontakt aufnehmen, versiege der Informationsfluss. „Sollte die Chatkontrolle beschlossen werden, wäre das ein historischer Bruch“, heißt es in einem Kommentar. „Eine Demokratie, die private Kommunikation pauschal unter Verdacht stellt, stellt sich selbst infrage.“ Auch Reporter ohne Grenzen befürchtet: Journalistische Arbeit und insbesondere investigative Recherchen wären mit dem Aushebeln von Verschlüsselung einer wichtigen funktionalen Grundlage beraubt.
Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) bekräftigt derweil seine Ablehnung des Überwachungsvorstoßes. Der mitgliederstärkste Kinderschutzverband Deutschlands unterstützt zwar das Ziel der Kommission, Darstellungen sexualisierter Gewalt zu bekämpfen. Elena Frense, Fachreferentin für Medien und Digitales beim DKSB, hob gegenüber Netzpolitik.org aber hervor: „Allerdings lehnen wir die Möglichkeit zum Scan verschlüsselter privater Kommunikation, die sogenannte Chatkontrolle, ab.“
Petition soll Signal senden
Mit einem Last-Minute-Trick versuche das CSU-geführte Bundesinnenministerium, die Zustimmung von Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) zur Chatkontrolle zu erzwingen, zeigt sich der Ex-EU-Abgeordnete Patrick Breyer besorgt. Mit deutscher Unterstützung wäre im Rat dann erstmals eine Mehrheit für die Initiative möglich. Ein als „Kompromiss“ präsentierter Vorschlag sehe vor, beim anlasslosen Durchleuchten privater Nachrichten „nur“ noch nach bereits bekanntem Missbrauchsmaterial zu suchen. Doch auch damit müsste durchgehende Verschlüsselung ausgehebelt werden. Perfide sei, dass die immer wieder problematischen Chatverläufe von Polizisten, Soldaten und Geheimdienstlern sowie der für sie zuständigen Minister von der Chatkontrolle ausgenommen werden sollen.
Sprecherinnen der Links-Fraktion im Bundestag mahnen, das Argument des vorgeblichen Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt nicht zu instrumentalisieren, um die staatliche Überwachung auszubauen. Entscheidend seien eine stärkere Aufklärungs- und Bildungsarbeit sowie ein „umfängliches Gesetz gegen digitale Gewalt“. Das zivilgesellschaftliche Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ hat eine Last-Minute-Petition gestartet, die innerhalb eines Tages über 140.000 Personen unterzeichnet haben.
(mki)