Digital Business & Startups
Das neue Europa: Weniger Jammern, mehr Milliarden-Startups
Revolut ist 45 Milliarden wert, Mistral wird Zwölf-Horn, Proxima Fusion sammelt 150 Millionen ein: Christoph Klink, Partner beim Frühphasen-Investor Antler, kommentiert die Erfolge der europäischen Tech-Szene.
Eine „insane week“ sei das gewesen, schreiben Beobachter auf Linkedin. Und es stimmt: Europas Startup- und Venture-Szene hatte einen ganz schönen Lauf. Eine schier unfassbare Dynamik – insbesondere, weil doch bisher immer so viel gejammert wurde: Europa ist zu langsam, wer was werden will, muss und Valley, blablablubb.
Und dann das. Ein Recap der vergangenen Tage:
- Revolut, Großbritannien, Finanz- und Super-App, erreicht eine Bewertung von 75 Milliarden US-Dollar – damit zählt das Fintech endgültig zur globalen Top-Liga.
- Mistral AI, Frankreich, Künstliche Intelligenz und Foundation Models, sammelt neue Mittel ein und wird mit knapp unter 12 Milliarden US-Dollar bewertet – ein Rekord-Tempo für europäische KI-Firmen.
- Elevenlabs, UK/Polen, KI-basierte Sprachtechnologie, erzielt einen Jahresumsatz (ARR) von 200 Millionen US-Dollar und wird auf dem Sekundärmarkt bereits mit 6,6 Milliarden US-Dollar gehandelt.
- Reorbit, Finnland, Raumfahrt/Spacetech, erhält eine Finanzierung von 45 Millionen Euro – die größte Space-Runde in Europa ever.
- Proxima Fusion, Deutschland, Fusionsenergie/Deeptech, erweitert seine Series-A-Finanzierungsrunde auf 145 Millionen Euro – ein Meilenstein für europäische Kernfusionstechnologien.
- Framer, Niederlande, Software-Tool für Web- und UI-Design, sammelt 100 Millionen US-Dollar ein, 2 Milliarden Bewertung
- IQM Quantum Computers, Finnland, schießt eine 320 Millionen US-Dollar Finanzierung – und wird damit Unicorn
Christoph Klink, Partner beim globalen Frühphasen-VC Antler und Leiter vom Deutschland-Geschäft, kommentiert den wilden Ritt.
Eine neue Generation von „Rocketships“ – Firmen wie Lovable, Helsing und Mistral, die seit 2020 gegründet wurden und bereits die Schallmauer zum Unicorn durchbrochen haben – beweist, dass auch wir Europäer blitzschnell skalieren können.
Lest auch
Im Durchschnitt haben europäische Unicorns etwas mehr als sieben Jahre gebraucht, bis sie die Schallmauer durchbrochen haben. Die neue Generation schafft es jetzt sogar in nur zwei Jahren.
So viel Gejammer all die Jahre
Die letzten Jahre waren für überzeugte Europäer teils eine schwere Prüfung. Das Narrativ im Tech-Sektor war klar. “Wer nicht im Silicon Valley baut, braucht gar nicht anzutreten”, schwang oft in Diskussionen mit. “Wer erfolgreich sein will, geht lieber anderswo hin”.
Doch die Geschwindigkeit der Entwicklung im Tech-Sektor hat sich in den letzten Jahren verändert. 5 der Top 10 am schnellsten wachsenden Softwarefirmen aller Zeiten wurden in den vergangenen 5 Jahren gegründet. 2 davon sind europäisch – inklusive Lovable, das die Liste anführt.
Es ist also offenbar doch noch etwas möglich in Europa.
Fundraising bleibt hart
Kapitalbeschaffung wird in Europa voraussichtlich auf absehbare Zeit eine größere Herausforderung sein als in den USA. Aber genau aus dieser Knappheit ist eine neue europäische Stärke erwachsen. Und damit eine Gruppe von Unternehmen, die extrem kapitaleffizient und blitzschnell skaliert.
Lest auch
Geschwindigkeit ist alles, und die Europäer legen ein atemberaubendes Tempo vor. Mit 2 Jahren bis zur Unicorn-Schallmauer sind die Europäer in Schlagweite zu den USA, wo es aktuell durchschnittlich 1,6 Jahre dauert.
All eyes on Stockholm
Von den 14 europäischen “Rocketships” finden wir den Großteil in Schweden, Frankreich oder Deutschland. Vier der europäischen Rocketships sind deutsche Gründungen. Mit Helsing haben wir seit diesem Jahr das nächste Decacorn – also eine privat gehaltene Firma mit einer Bewertung von mehr als 10 Milliarden Euro.
Aber wie schaffen es Gründerinnen und Gründer, in dieser Geschwindigkeit zu skalieren?
Lest auch
Drei Faktoren sind zentral: AI, technische Fähigkeiten und rigoroser Fokus auf Exekution.
AI ermöglicht es Startups, sich schneller als je zuvor zu entwickeln – und dieses Tempo wird sich weiter beschleunigen. Fast alle Gründer nutzen AI, um ihre (ersten) Softwareprodukte zu entwickeln. Damit senken sie die benötigten Ressourcen drastisch. Wir sehen, wie bessere Produkte, günstiger und in kürzerer Zeit entstehen.
Geld zusammenhalten bleibt wichtig
Kapitaleffizienz wird zur Tugend. Während kapitalkräftigere US-Unternehmen mehr investieren können, halten europäische Firmen mit schlanken, effizienten Teams durch gnadenlosen Fokus mit. Kapitaleffizientes Wachstum ist die neue Geheimwaffe.
Der zweite Erfolgsfaktor, den wir in steigender Dichte beobachten, sind technische Fähigkeiten im Gründerteam. Daten zeigen, dass die größten und am schnellsten wachsenden Tech-Unternehmen der Welt fast ausnahmslos von Gründern mit technischem Hintergrund gebaut werden. Bei den am schnellsten wachsenden Softwareunternehmen und globalen Tech-Champions liegt der Anteil technischer Gründer bei ca. 95 Prozent.
Lest auch
Und während Europa hier lange hintenan war – unter den Unicorn-Gründern bis 2020 lag der Anteil technischer Hintergründe bei gerade einmal 26 Prozent – liegt er unter den europäischen “Rocketships” bei ca. 90 Prozent. Während deutsche und europäische Gründer früher zumeist aus dem Consulting oder dem Investmentbanking kamen, sind es heute zunehmend erfahrene Seriengründer und ex-Mitarbeiter von Scaleups aus dem Tech-Sektor. Die Startup-Mafias werden immer stärker und der Tech-Sektor stellt mittlerweile 70 Prozent dieser neuen Gruppe von Gründern.
Mehr Techies gründen – und das ist gut so
Zudem beobachten wir unter den Gründerinnen und Gründern neuer Startups in Deutschland in den letzten zwei Jahren einen zehnfachen Anstieg von KI-Ingenieuren – ein stärkerer Zuwachs als in anderen Regionen Europas.
Damit ist nicht nur klar, dass Europa eine Vielzahl starker Ingenieure hervorbringt – sie gründen auch endlich vermehrt Unternehmen.
Der dritte, entscheidende Faktor ist die Mentalität. Spricht man zum Beispiel mit Marius Meiners, Gründer von Peec AI, einer der extrem schnell wachsenden jungen Techfirmen in Deutschland, dann hört man: „Heute sind die meisten Ideen für große Erfolge oft recht offensichtlich und daher sind 50 Wettbewerber nicht selten. Daher braucht es mehr als nur den Glauben, ein großes Unternehmen aufbauen zu können. Es braucht die tiefe Überzeugung, dass man sich gegen alle starken Wettbewerber durchsetzen kann, und die Disziplin, das auch in die Tat umzusetzen.“
Lest auch
Tempo macht den Unterschied
Erfolgreiche Gründer kümmern sich primär um die Geschwindigkeit der Kundenakquise statt über den schwierigen Zugang zu Kapital zu lamentieren. Sie sehen die Skalierungsgeschwindigkeit als Schlüssel der Wettbewerbsfähigkeit. Und genau dadurch bauen sie Weltklasse-Unternehmen auf.
Was wir beobachten ist ein historischer Wandel in Deutschland und ganz Europa. In den letzten 20 Jahren blieben sowohl das Skalierungstempo als auch der Hintergrund von Gründern recht konstant.
Lest auch
In den letzten zwei bis drei Jahren haben sich beide Metriken grundlegend verändert. Und Deutschland ist großartig positioniert, um diese Chance zu nutzen.
Deutschland hatte lange unter dem Mangel an großen Kapitalpools, wie man sie im Silicon Valley und auch in London findet, zu leiden. Aber Kapital ist nicht länger das, worüber sich Gründer primär den Kopf zerbrechen. Wenn man unser Portfolio fragt, ist es primär die Geschwindigkeit in der Skalierung und Kundenakquise, die sie in den Fokus nehmen.
Dies ist der Beginn einer Reise, die Europa endlich das erste Tech-Unternehmen mit einer Billion US-Dollar Marktwert bescheren könnte. Und es gibt keinen Grund, warum dieses Unternehmen nicht aus Deutschland kommen sollte.