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Die fossile Industrie liebt KI



Deutschland soll „KI-Nation“ werden und dadurch ungeahnte „Wirtschaftskräfte freisetzen“ – zumindest, wenn es nach der neuen Bundesregierung geht. Dafür sollen deutlich mehr Rechenzentren gebaut werden, was einen rapide ansteigenden Energiebedarf einschließt.

Prognosen für die EU zeigen, dass dieser so groß werden könnte, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mithalten kann – doch die fossile Industrie steht bereits in den Startlöchern.

Der Hype um generative KI liefert ihnen die perfekte Begründung für den Ausbau fossiler Infrastruktur. Tech- und Fossilkonzerne investieren massiv in neue Gaskraftwerke für energiehungrige Datenzentren. Wir erleben derzeit eine fossile Gegenoffensive im Gewand digitaler Versprechen.

Fossile Industrie in den Startlöchern

RWE-CEO Markus Krebber freut sich öffentlich über die steigende Stromnachfrage durch KI und kündigt an, das Stromangebot auch durch neue Gaskraftwerke liefern zu wollen. Der Energiekonzern E.ON realisiert bereits mit dem Rechenzentrumsentwickler CyrusOne ein gasbetriebenes Stromversorgungssystem für ein Rechenzentrum in Frankfurt am Main.

Und Siemens Energy bietet neuerdings gemeinsam mit dem Maschinenbau-Unternehmen Eaton Rechenzentren im Paket mit Gasturbinen an, die nur optional mit erneuerbaren Energien ausgestattet werden. Derweil meldet Siemens Energy einen neuen Verkaufsrekord für Gasturbinen – allein im laufenden Fiskaljahr wurden 100 davon in den USA unter anderem zur Stromversorgung von Datenzentren installiert oder reserviert.

Siemens-Energy-CEO Christian Bruch bekräftigte den hohen Stellenwert eines ausreichenden Stromangebots für KI vor kurzem in einem Spiegel-Interview: „Eines der wichtigsten Ziele der Amerikaner ist die Marktführerschaft bei künstlicher Intelligenz. Dafür werden die USA viel Strom brauchen.“ Dort nimmt der Ausbau von gasbetriebenen Datenzentren richtig Fahrt auf.

Ein Beispiel dafür ist das Projekt Homer City Energy Campus in Pennsylvania, in dessen Rahmen 4,4 Gigawatt an Gaskraftwerkskapazität geschaffen werden sollen, um den dortigen KI-Stromhunger zu stillen – fast ein Achtel der gesamten installierten Gaskraftwerkskapazität Deutschlands.

Auch die Techkonzerne selbst rücken immer häufiger in den Fokus der Recherchen für die Global Oil & Gas Exit List (GOGEL), eine Industriedatenbank von urgewald, die unter anderem Expansionspläne in der Öl- und Gasindustrie erfasst. So wurde Microsoft auf der GOGEL 2024 von urgewald als fossiler Konzern gelistet, weil er ein eigenes 170-Megawatt-Gaskraftwerk für den Betrieb eines Rechenzentrums in Irland gebaut hat.

Wirtschaftswunder KI?

Für die neue Bundesregierung mit ihrem im Koalitionsvertrag erklärten Ziel, Deutschland zur „KI-Nation“ zu machen, spielen die ökologischen Kosten von KI offenbar keine Rolle. Das Energieeffizienzgesetz soll „vereinfacht und auf EU-Recht“ zurückgestutzt werden.

Mit Blick auf Rechenzentren drohen Vorgaben für die Erhebung von Energieverbrauch, Abwärme und Energieeffizienz auf Kosten des Klimaschutzes verwässert zu werden. KI-Investitionen sollen unterdessen den „Wohlstand für alle mehren“. Unter dieser Losung sind massive Investitionen in die Cloud- und KI-Infrastruktur sowie eine Förderung von KI-Start-ups und eine „Verwaltungsrevolution“ durch „KI-Sprunginnovation“ geplant.

Welche KI-Systeme die Bundesregierung auf dem Weg zur „KI-Nation“ konkret im Auge hat, bleibt – wie im gesamten politischen Diskurs – vage. Es könnten etwa generative KI-Modelle gemeint sein, die enorme Rechenkapazitäten benötigen. Auch wie die freigesetzten „Wirtschaftskräfte“ wirken sollen, bleibt nebulös.

Die bisherige wirtschaftliche Bilanz großer KI-Unternehmen ist durchwachsen: OpenAI verzeichnete 2024 Verluste in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar, KI-Unternehmen wie Perplexity gelten zunehmend als überbewertet.

Hohe Gewinne mit dem KI-Hype fahren vor allem andere ein: Der Chip-Hersteller Nvidia etwa gilt mit seinen Hochleistungschips als Flaschenhals der Industrie und ist aktuell der größte Profiteur des Hypes – 2024 machte Nvidia 72,9 Milliarden US-Dollar Gewinn.

Gleichzeitig profitieren Cloud-Anbieter von den energieintensiven Modellen, allen voran Microsoft, Amazon und Google, deren Computing Power in der Cloud die Grundlage für die Entwicklung und Betrieb der großen KI-Modelle bilden. Allein im ersten Quartal 2025 machte Microsoft über 25 Milliarden US-Dollar Gewinn mit seiner Cloud-Infrastruktur.

Steigender Energiebedarf – steigende Emissionen

Während der konkrete gesellschaftliche Nutzen der generativen KI-Systeme bislang unklar ist, hat der Energieverbrauch durch generative KI wie GPT 4, Gemini oder Claude 3 bereits schwindelerregende Höhe erreicht.

Laut einer aktuellen Studie des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace werden sich die globalen Treibhausgasemissionen von KI-gestützten Rechenzentren von 2023 bis 2030 fast versechsfachen – von 29 auf 166 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente.

Die EU-Kommission kündigte indes jüngst eine KI-Kontinent-Strategie an, die eine Verdreifachung der Rechenzentrumskapazitäten vorsieht.

Die europäische NGO Beyond Fossil Fuels warnt deshalb vor einer Beschleunigung dieser Entwicklungen. Der hohe Energiebedarf der Rechenzentren Europas gefährde die angestrebte Klimaneutralität, da der Ausbau der erneuerbaren Energien hier nicht mithalten könne.

Gasausstieg statt Gas für KI

Wenn die benötigte Energie stattdessen fossil erzeugt wird, ist das fatal: Die Betriebsdauer von Gaskraftwerken etwa beträgt 25 bis 40 Jahre. Wer also heute baut, schreibt fossile Abhängigkeiten bis in die 2050er-Jahre fest. Auch eine häufig von Industrie und Politik vorgebrachte spätere potenzielle Umstellung auf ebenfalls fossilen „blauen Wasserstoff“ bringt wegen hoher vorgelagerte Emissionen aus Produktion und Transport keine Besserung.

Die Umstellung auf durch erneuerbare Energieträger erzeugten „grünen Wasserstoff“ ist zweifelhaft, denn dieser wird absehbar nur in sehr geringen Mengen verfügbar sein. Hinzu kommt, dass die Verbrennung von Wasserstoff zur Stromerzeugung äußerst ineffizient ist.

Unter dem Strich bedeutet der Bau neuer Gaskraftwerke also eine langfristige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Dabei muss die EU bereits bis 2035 aus fossilem Gas aussteigen, um das 1,5 °C-Limit einzuhalten.

Statt die rasante Entwicklung der Stromnachfrage zum Anlass für mehr Einsparmaßnahmen sowie massive Investitionen in Speichertechnologien, Netzausbau und Effizienz zu nutzen, setzt die Bundesregierung aktuell – ganz im Sinne der fossilen Industrie – auf Vollgas.

Das Wirtschaftsministerium unter Katherina Reiche, Ex-Cheflobbyistin des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) und Ex-CEO des Strom- und Gasnetzbetreibers Westenergie, plant zurzeit die Ausschreibung von 20 Gigawatt neuer Gaskraftwerkskapazität bis 2030. Offizielle Begründung: die Absicherung der Energiewende. Ein denkbarer weiterer Grund: die Förderung von Big Tech.


2025-07-14
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KI als Klimaretter?

Open-AI-Chef Sam Altman verharmlost den hohen Energieverbrauch generativer KI durch Rechenzentren immer wieder mit Argumenten wie: KI werde selbst eine Lösung für den Klimawandel finden oder der Nutzen der KI übersteige ihre ökologischen Risiken. Für beide Aussagen gibt es aus heutiger Sicht keine Belege.

Bei spezifischen KI-Anwendungen in kontroversen Bereichen wie der fossilen Industrie ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen ohnehin mehr als fraglich, die Profiteure jedoch eindeutig. So kooperiert Microsoft beispielsweise seit längerem mit dem US-amerikanischen Öl- und Gaskonzern ExxonMobil zur Optimierung der Ölförderung mittels KI.

Erst seit kurzem unterstützt Microsoft auch den deutschen Konzern Uniper etwa bei der KI-gestützten Steuerung fossiler Kraftwerke. Zu befürchten ist, dass solche KI-Projekte dem Klimaschutz nicht helfen, sondern höhere Profitmargen ermöglichen und letztlich noch mehr Anreiz für fossile Projekte bieten.

Auf der anderen Seite fordern Open-Source-Initiativen wie Small-Scale AI oder Projekte wie Green AI Effizienz und Bedarfsgerechtigkeit statt Wachstumslogik um jeden Preis. Schon seit Jahren gibt es vielfältige sinnvolle Anwendungsfälle für KI-Modelle, von denen der Umwelt- und Klimaschutz profitiert. Dabei handelt es sich selten um große generative Sprachmodelle, sondern um kleine Berechnungen mit vergleichsweise überschaubarem Energiebedarf, um beispielsweise Umwelt-, Verkehrs- oder Energiedaten auszuwerten.

Aber auch wenn diese Datenauswertung das Monitoring, die Steuerung und Prognosen vereinfacht, kann die Technologie ambitionierte politische Entscheidungen nicht ersetzen: Gute Daten zu Verkehrsströmen sind noch keine Mobilitätswende und Prognosen zum Sterben der Korallenriffe kein ambitionierter Meeresschutz.

Suffizienz statt Superintelligenz

Zoom-Out zum Big Picture: Die Pläne der Bundesregierung Deutschland zur KI-Nation zu machen, stehen auf wackligen Füßen: Es ist mehr als fraglich, ob die Hoffnung auf KI als Wirtschaftswunder Realität wird. Sicher ist jedoch, dass der Hype hohe Kosten hat.

Global regen sich bereits Proteste gegen Hyperscale-Rechenzentren – zuletzt verklagten beispielsweise Umweltorganisationen in der US-Metropole Memphis Elon Musks Unternehmen xAI, weil die Gasturbinen des dortigen Rechenzentrums die Luft stark verschmutzen.

Auch in Deutschland und Europa gibt es Proteste von Umweltgruppen, beispielsweise gegen ein geplantes Microsoft-Rechenzentrum im Rheinischen Braunkohlerevier.

Wir brauchen einen grundlegend neuen Ansatz: Wer Energie mit KI verbraucht, muss den dafür nötigen Ökostrom selbst erzeugen. Eine Verpflichtung zur zusätzlichen Produktion erneuerbarer Energie für KI-Betreiber wäre ein wichtiger Schritt, um Verdrängungseffekte zu vermeiden. Denn aktuell wird produzierter grüner Strom oft nicht zusätzlich bereitgestellt, sondern anderen Sektoren entzogen – mit verheerenden Klimaeffekten.

Statt unreflektiert den KI-Hype mit fossilem Strom zu bedienen, müssen Bundesregierung und Unternehmen Lösungen finden, die sich dem klimagerechten Umbau der Volkswirtschaften unterordnen. Denn fossil erzeugter Strom ist NI – nicht intelligent.

Friederike Hildebrandt ist Ökonomin, beschäftigt sich mit Klima- und Stadtpolitik und koordiniert das „Bits & Bäume“-Bündnis. Das Bündnis hat Anfang des Jahres Forderungen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorgelegt und wird auf dem diesjährigen System Change Camp einen Vortrag zu Rechenzentrumsausbau & Klimagerechtigkeit halten.

Moritz Leiner ist Sozialwissenschaftler und organisiert bei der Umwelt- und Menschrechtsorganisation urgewald Kampagnen zu deutschen Energie- und Finanzkonzernen. Auf urgewalds öffentlich zugänglicher Industriedatenbank „Global Oil and Gas Exit List“ spielen neue Gaskraftwerksprojekte für Datenzentren eine zunehmende Rolle. Moritz nimmt hierzu gerne Hinweise entgegen.



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