Künstliche Intelligenz
Ein unmögliches Leben ist zu Ende: Zum Tode von Dame Stephanie Shirley
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Dame Stephanie Shirley am Samstag nach kurzer schwerer Krankheit in Henley-on-Thames gestorben. Die IT-Unternehmerin wurde 91 Jahre alt. Mit ihrer Firma Freelance Programmers (später F International, dann Xansa), die zunächst ausschließlich Frauen beschäftigte, schrieb sie IT-Geschichte in einem männlich dominierten Umfeld.
Von den ersten 300 Angestellten ihrer Firma waren 297 Frauen, für die sie flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsmodelle entwickelte. Als Gründungsmitglied und zeitweilige Präsidentin der British Computer Society engagierte sie sich für Frauen in der IT, als Mäzenatin unterstützte sie mit ihrer Shirley Foundation zahlreiche Projekte für autistische Jugendliche und Erwachsene.
Geboren in Dortmund
Dame Stephanie Shirley wurde als Vera Stephanie Buchthal am 16. September 1933 in Dortmund geboren. Ihr Vater war als Jude zu diesem Zeitpunkt schon aus seinem Amt als Landgerichtsrat entfernt worden. Die Familie zog zunächst nach Österreich. Mit dem Anschluss Österreichs wurde Vera mit ihrer Schwester 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien geschickt und von Pflegeeltern aufgenommen. Den Eltern gelang später ebenfalls die Flucht.
Als Vera in die höhere Schule kam, bemerkte man ihr mathematisches Talent, was dazu führte, dass sie am Mathematik-Unterricht eines Jungen-Gymnasiums teilnehmen konnte. Daneben belegte sie Mathematik-Kurse an einer Abendschule. 1951 wurde Vera Buchthal als Stephanie Brook britische Staatsbürgerin und nahm ein Studium der Mathematik auf. Schließlich arbeitete sie in einem Forschungsinstitut der Royal Mail, wo sie unter anderem am Bau eines elektronischen Zufallszahlengenerators beteiligt war.
1959 heiratete sie Derek Shirley, der ebenfalls im Forschungsinstitut arbeitete. Stephanie Shirley wechselte dann zur Firma International Computers and Tabulators, die den Transistorrechner ICT 1301 baute. Stephanie Shirley testete seine Software, verließ die Firma aber bald, nachdem sie in einer Beratung rüde von einem Kollegen unterbrochen wurde. In ihren Memoiren „Ein unmögliches Leben“ spricht sie davon, an einer „gläsernen Decke“ gescheitert zu sein.
1962 gründete sie die Softwarefirma Freelance Programmers: „Ich hatte 6 Pfund Kapital, einen Esstisch, einen Telefonanschluss, den wir uns mit einem Nachbar teilten, den dieser zum Glück kaum benutzte, und noch eine weitere verrückte Idee: Nur Frauen sollten für mich arbeiten, alle auf freiberuflicher Basis und von zu Haus aus.“ Die Firma lief gut, nachdem der Guardian im Jahr 1964 über die ungewöhnliche Firma von „Mrs. Steve Shirley“ berichtete. Tatsächlich unterzeichnete Stephanie Shirley ihre Geschäftskorrespondenz als Steve Shirley.
Freelance Programmers
Freelance Programmers entwickelte sich mit einer Handvoll Mitarbeiterinnen und vielen freiberuflichen Programmiererinnen recht langsam aber erfolgreich. Betrug der Umsatz 1964 noch 7000 Pfund, waren es 1970 bereits 50.000 Pfund und 1976 schon 739.000 Pfund. Die Millionengrenze knackten die Frauen (und ein paar Männer, weil 1975 der Sex Discrimination Act in Kraft trat) im Jahre 1977, zehn Millionen wurden 1987 erreicht. Mit dem Börsengang 1996 wurden dank der von Shirley abgegebenen Firmenanteile 70 Mitarbeiterinnen zu Millionärinnen. Stephanie Shirley wurde mit 150 Millionen Pfund die drittreichste Frau des Vereinigten Königreiches und nutzte das Geld zur Gründung der Steve Shirley Foundation.
Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sie die Leitung des Unternehmens an Hillary Cooper abgegeben, die den Umsatz auf 450 Millionen Pfund steigerte. Shirley hatte andere Pläne, etwa als erste Präsidentin der British Computer Society, wo sie den Sexismus in der Branche anprangerte.
Ihr 1963 geborener und 1998 gestorbener Sohn Gilles litt an schwerem Autismus und an Epilepsie und musste in einem Heim gepflegt werden. Dementsprechend spendete ihre Stiftung viel Geld für Projekte wie Autism at Kingwood und Prior’s Court.
Als Dame Stephanie Shirley wurde sie 2001 geadelt und 2017 in den Order of the Companions of Honour aufgenommen. 2006 erhielt sie den Ehrendoktor der University of Bath und 2009 den der Open University.
(vbr)