Datenschutz & Sicherheit

Entwickler*innen erzählen, warum Games über Sex wichtig sind


Unter Gamer*innen und Entwickler*innen gab es Ende Juli einen internationalen Aufschrei, als tausende Videospiele für Erwachsene von den Marktplätzen Steam und Itch.io verschwunden sind. Betroffen waren sogenannte NSFW-Spiele („not safe for work“), die teils erotisch oder pornografisch sind, teils andere Themen für Erwachsene behandeln.

Als Grund für die Entfernung solcher Erwachsenen-Spiele („Adult Games“) nannten Steam und Itch.io Druck von Zahlungsanbietern, die damit gedroht haben sollen, den Plattformen andernfalls ihre Dienstleistungen zu entziehen. Auf diese Weise können Unternehmen wie Visa, Mastercard und PayPal indirekt beeinflussen, welche Inhalte öffentlich verfügbar sind und welche nicht. Druck auf die Zahlungsanbieter kam wiederum von der australischen Anti-Porno-Gruppe „Collective Shout“. Deren Aktivist*innen setzen sich unter anderem gegen Inhalte ein, die sie als schädliche Sexualisierung einstufen.

In einem Statement auf der eigenen Website schrieb Itch.io: „Es tut uns wirklich leid“. Die Plattform habe alle NSWF-Spiele aus den Suchergebnissen entfernt, also de-indexiert. Um weiter Zahlungen durchführen zu können, habe man schnell handeln müssen. Die Plattform kündigt an, alle Spiele zu prüfen. Inzwischen sollen zumindest kostenlose Titel wieder über itch.io zu finden sein. Mastercard hatte öffentlich bestritten, Druck auf Steam-Anbieter Valve ausgeübt zu haben. Valve wiederum verwies auf Druck durch Partnerbanken von Mastercard.

Der Streit um die verschwundenen NSWF-Spiele ist nur ein weiteres Beispiel für Overblocking von Inhalten, die um Sexualität, Erotik, sexualisierte Gewalt oder Queerness kreisen. Overblocking nennt man es, wenn eigentlich unbedenkliche Inhalte einer Sperrung zum Opfer fallen. Oftmals kritisieren Betroffene, dass damit wichtige Stimmen verloren gehen. Deshalb hat netzpolitik.org nun Spielentwickler*innen aus verschiedenen Ländern gebeten, ihre Perspektive aufzuschreiben. Sie sprechen über den kulturellen Wert von NSFW-Games und die Gefahr von Selbstzensur.

Arden Osthof: „Vorsorglich Selbstzensur betreiben“

Arden ist Game Developer aus Deutschland.

„Visa und Mastercard verbreiten durch das erzwungene Entfernen der betroffenen Spiele vor allem Unsicherheit. Welche Inhalte sind erlaubt und welche nicht? Die Regeln sind schwammig und widersprüchlich. Es genügt nicht, sich mit Gesetzen und Plattform-Richtlinien von Steam und Itch.io auszukennen, wenn aus heiterem Himmel auch noch Zahlungsdienstleister den Geldhahn abdrehen können.

Wer sein Spiel nicht auf einem der große Marktplätze verkaufen kann, steht kommerziell vor dem Aus. Es braucht klare Regeln, um planen zu können, sonst riskiert man jahrelange Arbeit für nichts. Es bleibt also nur, auf Nummer sicher zu gehen, vorsorglich Selbstzensur zu betreiben und lieber keine riskanten und tabuisierten Themen behandeln. Darunter leiden unsere Kunst, Kultur und Demokratie.

Gerade Itch.io war bislang überlebenswichtig für Spiele, die sich mit Sexualität und Pornografie beschäftigen. Das bahnbrechende Spiel ‚Ladykiller in a Bind‘ von Christine Love erzählt zum Beispiel eine Geschichte voller Intrigen, Drama und lesbischem BDSM. Es war zu seinem Release nicht auf Steam sondern nur Itch.io erhältlich. Auch Werke von Robert Yang, die queere Subkulturen und Geschichte (wie ‚The Tearoom‘, in dem es um historisches Cruising und moderne Überwachung geht) behandeln, werden immer wieder von Plattformen wie Steam und Twitch verboten.

Noch sind diese Werke auf Itch.io verfügbar. Aber offenbar werden nun sexuelle und erotische Inhalte von Zahlungsdienstleistern willkürlich als ‚akzeptabel‘ oder ‚ekelhaft‘ eingeteilt.  Was bedeutet das für queeren Sex, für Kink oder Fetische? Es ist gerade bei diesen Themen so wichtig, uns gegen rechte Attacken zu wehren. Denn jede Einschränkung, die auf gefühlter Bedrohung statt auf Wissenschaft und Realität baut, untergräbt am Ende unsere Kunstfreiheit und Demokratie.“

Alice Ruppert: „Eine Frage des Prinzips“

Alice ist Game Designer aus der Schweiz.

„Das Eingreifen der Zahlungsanbieter ins Geschäft von Plattformen wie Steam und Itch.io auf Druck der christlichen Rechten ist ein Affront. Ich entwickele zwar selbst keine Erwachsenen-Spiele, aber ihre Existenz ist für mich eine Frage des Prinzips. Bloß, weil mich durchschnittliche Porno-Spiele als bisexuelle Frau nicht besonders ansprechen, ist das kein Grund für eine Zensur. Es ist vielmehr ein Argument für mehr Sex-Spiele, für mehr Diversität im Markt.

Sex, Intimität, Liebe, aber auch sexualisierte Gewalt und deren Folgen dürfen, sollen, müssen in unseren Medien thematisiert werden. Alleine schon, um Überlebenden den Raum zu geben, durch Kunst ihr Erlebtes zu verarbeiten. Ich wünsche mir, dass diese Darstellungen diskutiert, analysiert und kritisiert werden, aber keinesfalls, dass sie verboten oder zensiert werden.“

KB: „Wie sollen wir noch über Sex reden?“

KB ist Game Developer aus den USA.

„Ich mache feministische Aufklärungsarbeit, und wenn dabei etwas schädlich ist, dann ist es Sex-Negativität. Wenn man Pornografie und Erotik verbannt, dann verbannt man auch den Ausdruck von Sex und Sexualität. Dadurch macht man sexuelle Aufklärungsarbeit noch schwerer. Wie sollen wir noch über Sex reden, wenn wir keine ehrlichen Ausdrucksweisen mehr nutzen können?

Ich entwickle Spiele über sexuelle Gesundheit und Aufklärung sowie über Prävention sexueller Gewalt. Auch Spiele zu solchen Themen wurden entfernt, ebenso wie erotische Spielen. Porno-Spiele zu verbieten, ist schädlich, Punkt. Wo verläuft schon die Grenze zwischen erotischen Medien und Bildungsmedien? Ich glaube, viele konservativ denkende Menschen stufen schon die reine Existenz von queeren Menschen als ‚pornografisch‘ ein.“


2025-07-16
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– für digitale Freiheitsrechte!



Euro für digitale Freiheitsrechte!

 

Taylor McCue: „Durch mein Spiel konnte ich endlich darüber sprechen“

Taylor ist Indie Game Developer aus den USA.

Screenshot von Taylor McCues Spiel „HFTGOOM“. Das Spiel wurde kurzzeitig entfernt, ist aber wieder verfügbar.

„Bei Erwachsenen-Spielen geht es nicht nur um persönliche Befriedigung. Die Spiele schaffen Räume, um Dinge wie Sex oder sexuelle Gewalt zu thematisieren. Verbietet man Erwachsenen-Spiele, dann verschwinden auch diese Räume. Es gibt wirklich noch nicht viele Game Developer, die überhaupt Spiele über sexuelle Traumata entwickeln. Gerade weil solche Spiele gebannt werden, habe manche es bereits aufgegeben. Das macht mir besonders Sorgen.

In meinem Spiel ‚HFTGOOM‘ habe ich über meine Erfahrungen mit Sexarbeit und sexuellen Traumata gesprochen. Jede*r verarbeitet Traumata anders. Autor*innen schreiben ein Buch über ihre Erfahrungen, Künstler*innen malen ein Bild und Spieleentwickler*innen programmieren eben ein Spiel darüber. Für die anderen sind Traumata ein akzeptierter Teil ihrer Werke, während Game Developer wie ich sich dabei auf sehr dünnem Eis bewegen.

Ich musste alle Zahlungsmöglichkeiten entfernen, damit mein eigenes Spiel wieder auf der Plattform spielbar ist. Dabei ist mein Spiel grundsätzlich kostenlos. Es hatte lediglich eingebaute Bonus-Features für Spieler*innen, die mir etwas spenden.

Bevor ich ‚HFTGOOM‘ entwickelt habe, hatte ich mich geschämt. Ich hatte Angst, über meine Erfahrungen mit Sexarbeit und Traumata zu sprechen. Erst durch mein Spiel konnte ich endlich darüber sprechen, und das hat mein Leben gerettet. Andere Leute haben mir in E-Mails von ähnlichen Erfahrungen erzählt. Das Spiel hat ihnen geholfen, sich weniger einsam zu fühlen. Wenn solche Spiele aus dem Internet verschwinden, dann werden sich Menschen wie ich einsam und isoliert fühlen.“

Lucy Blundell: „Es limitiert nur unser gesellschaftliches Verständnis dieser Themen“

Lucy ist Game Developer aus England.

„Ich habe Glück, dass meine Spiele bisher – noch – nicht entfernt wurden. Queere Spiele, die meine Arbeit inspiriert haben, sind jedoch entfernt worden. Oft stehen Spiele, die sich mit Geschlecht, Sex und Sexualität beschäftigen, stehen im Fadenkreuz der Zensur. Diese Spiele werden häufig von Frauen und marginalisierten Menschen entwickelt und behandeln Themen, über die ohnehin selten öffentlich gesprochen wird.

Als weibliche, behinderte Spieleentwicklerin verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit der Entwicklung von Spielen. Seit fast zwei Jahren arbeite ich an meinem nächsten Projekt, und nun fürchte ich, dass diese Arbeit umsonst gewesen sein könnte – obwohl es sich lediglich um queere Inhalte handelt und nicht um NSFW-Material.

Da die meisten Videospiele von Männern geleitet und gestaltet werden, ist es selten, dass eine weibliche Hauptfigur Spieler*innen schockiert, provoziert oder herausfordert. Genau das passiert in meinem Spiel ‚One Night Stand‘. Ich habe es entwickelt, um meine Sorgen darüber auszudrücken, wie sich Menschen nach einem One-Night-Stand manchmal abgelehnt fühlen. Das Spiel erinnert daran, dass die andere Person trotz der zwanglosen Natur eines One-Night-Stands Gedanken und Gefühle hat.

Videospiele sind für mich ein wichtiges Werkzeug, um Empathie zu fördern, weil sie es den Spieler:innen ermöglichen, in die Rolle anderer zu schlüpfen. Deshalb ist es entscheidend, dass Frauen und andere marginalisierte Menschen nicht zensiert werden. Die Zensur von Spielen über Intimität, Nacktheit oder Sex schmälert nicht nur das Einkommen marginalisierter Menschen, sie beschränkt auch unser gesellschaftliches Verständnis dieser Themen.“



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