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„Es gibt nur schlechte Optionen. Wir sollten sie alle umsetzen.“


Etwa jeden dritten Tag bringt in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin um. Das ist nicht neu. Neu ist, dass derzeit auch Politiker*innen den Kampf gegen Femizide zu einer Priorität erklären und darüber diskutieren, was sich dagegen tun lässt. Besonders beliebt unter den möglichen Maßnahmen: die elektronische Fußfessel für Gewalttäter*innen, nach dem sogenannten spanischen Modell.

In Spanien wird sie schon seit 2009 eingesetzt, in Deutschland will Schwarz-Rot sie jetzt im Gewaltschutzgesetz verankern. Das Bundesjustizministerium (BMJ) hat dafür Ende August einen Gesetzentwurf vorgestellt.

Künftig sollen Familiengerichte bundesweit die elektronische Fußfessel anordnen können, um Näherungsverbote durchzusetzen und gewaltsame Täter*innen auf Abstand zu halten. Das Besondere dabei: Statt einen Radius um die Wohnung oder den Arbeitsplatz zur verbotenen Zone zu erklären, funktioniert das Näherungsverbot in solchen Fällen dynamisch. Der Gefesselte trägt einen mit GPS ausgestatteten Sender am Bein, die betroffene Person trägt auf Wunsch ebenfalls ein Gerät bei sich. Kommt die Person näher als der gerichtlich angeordnete Abstand, soll ein Alarm ausgelöst werden.

Der Kriminologe Florian Rebmann arbeitet als Teil eines Teams an der Universität Tübingen an einer großangelegten Studie zu Femiziden in Deutschland. Er warnt im Interview mit netzpolitik.org: Die Fußfessel darf nicht dafür sorgen, dass die Debatte um Gewaltschutz abebbt.

netzpolitik.org: Herr Rebmann, warum ist die elektronische Fußfessel als Maßnahme für Gewaltschutz ausgerechnet jetzt oben auf der politischen Agenda in Deutschland angekommen?

Florian Rebmann: Das Thema Partnerschaftsgewalt ist gerade politisch relevant, es besteht ein großer Handlungsdruck. Die Fußfessel ist eine Maßnahme, die, wenn man den Berichten aus Spanien glaubt, sehr gut funktionieren soll. Gleichzeitig kann man diese Maßnahme gut kommunizieren, weil sie sehr direkt die potentiellen Täter betrifft.

Was die Fußfessel nicht leisten kann, ist die strukturellen Ursachen dieser Delikte anzugehen. Das wäre auch mit einem viel höheren Aufwand verbunden. Sie ist also einerseits nur Symptombekämpfung. Andererseits gibt es aber auch Anhaltspunkte dafür, dass die Fußfessel in Einzelfällen etwas bringt.

netzpolitik.org: In Spanien ist die Zahl der Femizide pro Jahr erheblich zurückgegangen. Laut spanischem Innenministerium kam es bei keinem der rund 13.000 Fälle, in denen eine Fußfessel angeordnet wurde, zu einer Tötung. Klingt das nicht nach einem Erfolg?

Florian Rebmann: Da muss man vorsichtig sein. Man kann aus den verfügbaren Daten nicht ableiten, dass dieser Rückgang auf die Einführung der elektronischen Fußfessel zurückzuführen ist. Seit sie im Jahr 2009 in Spanien eingesetzt wird, wurde dort eine Vielzahl von weiteren Maßnahmen ergriffen. Es ist also nicht klar, auf welche dieser Maßnahmen der Rückgang an Femiziden zurückgeht.

Interessanter als die Fallzahlen finde ich die Information, dass es bei keinem der begleiteten Fälle zu einer Tötung kam. Auch das bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass die Maßnahme funktioniert, weil ja nicht feststeht, dass diese Menschen ohne Fußfessel eine schwere Gewalttat begangen hätten. Bei so vielen Anordnungen kann man aber schon folgern, dass die Maßnahme etwas bringt.

netzpolitik.org: Ist die Lage in Spanien überhaupt mit der in Deutschland vergleichbar?

Florian Rebmann: Nein. Spanien hat schon 2004 sein Gewaltspräventionssystem, das Frauen schützen soll, grundlegend reformiert. Es gibt dort nicht nur die Fußfessel, sondern spezialisierte Polizeibeamt*innen und Staatsanwaltschaften. Es gibt spezialisierte Gerichte, die über alle Rechtsfragen entscheiden, die mit Gewalt an Frauen zu tun haben. All diese Behörden kommunizieren direkt miteinander. In Deutschland gibt es zwar auch seit 2002 das Gewaltschutzgesetz, aber die verschiedenen Maßnahmen greifen nicht so harmonisch ineinander. Jedes Bundesland hat andere Regeln und es ist nicht so, dass nach einer Anzeige bei der Polizei automatisch das Gewaltschutzgesetz aktiviert würde. Spanien hat einen systemischen Ansatz verfolgt; in Deutschland ist es Stückwerk geblieben.

„Viele Opfer rechnen nicht damit, getötet zu werden“

netzpolitik.org: Sie haben anhand eines Samples von 108 Partnerinnentötungen in Deutschland aus dem Jahr 2017 rückblickend untersucht, wie viele davon eine Fußfessel möglicherweise hätte verhindern können. Das war nur bei rund 12 Prozent der Fall. Woran liegt das?

Florian Rebmann: Es gibt sehr unterschiedliche Falltypen von Partnerinnentötungen und nicht auf jede ist die Fußfessel anwendbar. Das gängige Bild ist: schlagender Mann, Frau trennt sich, Mann erträgt das nicht und reagiert mit der Tötung. Diese Fälle gibt es, viele sind jedoch ganz anders gelagert. Alte Paare etwa, wo das Opfer krank ist und der Täter entscheidet, dass es sterben soll. Suizidale Täter, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Frau töten. In solchen Fällen beobachten wir vorher meist wenig Gewalt in der Beziehung. Die Opfer rechnen auch nicht damit, getötet zu werden.

Porträtfoto von Florian Rebmann
Florian Rebmann forscht an der Universität Tübingen zu Femiziden. – Alle Rechte vorbehalten Florian Rebmann

netzpolitik.org: Die Fußfessel adressiert also nur bestimmte Hochrisikofälle.

Florian Rebmann: Und nur Fälle, in denen es vorher schon zu Gewalt kam. Selbst unter diesen Betroffenen gibt es sehr viele, die sich nicht an staatliche Stellen wenden. In solchen Fällen können natürlich auch keine präventiven Maßnahmen angeordnet werden. Die Fußfessel kann also nur in den wenigen Fällen helfen, in denen Opfer nach einer vorherigen Gewalttat auch ein Näherungsverbot beantragen und das bewilligt wird.

netzpolitik.org: Das zentrale Problem scheint zu sein, dass viele Betroffene sich nie bei der Polizei melden oder Anzeige erstatten. Warum ist das so?

Florian Rebmann: Wir wissen aus der Forschung, dass es zwischen Opfern und der Polizei, die sie schützen soll, häufig zu Konflikten und Missverständnissen kommt. Weil Opfer von häuslicher Gewalt häufig in akuten Gefährdungssituation die Polizei rufen, sich dann aber umentscheiden, keine Anzeige erstatten wollen oder Anzeigen wieder zurückziehen. Durch dieses Hin uns Her gewinnt die Polizei den Eindruck, die Gewalt sei gar nicht so schlimm oder die Opfer seien unzuverlässig. Für dieses Verhalten gibt es aber sehr nachvollziehbare Gründe, wenn man sich in die Situation der Menschen hineinversetzt. Sie haben Angst, fürchten etwa um das Sorgerecht für gemeinsame Kinder, sie werden von ihrem Partner bedroht oder sind finanziell von ihm abhängig. Opfer glauben, die Polizei kann ihnen nicht helfen oder machen die Erfahrung, dass die Maßnahmen der Polizei nichts an ihrer Situation ändern.

„Wenn man Gewalt gegen Frauen grundlegend angehen wollte, müsste man anders herangehen“

netzpolitik.org: Halten Sie es vor diesem Hintergrund überhaupt für sinnvoll, die elektronische Fußfessel einzuführen?

Florian Rebmann: Es ist ohnehin schon extrem schwierig für die Politik, etwas gegen häusliche Gewalt zu tun. Die geringe Zahl der Fälle, in denen die Fußfessel eine Tötung verhindern könnte, würde aus meiner Sicht also nicht gegen die Einführung sprechen. Man könnte auch sagen: Es gibt nur schlechte Optionen. Wir müssen sie alle umsetzen.

netzpolitik.org: Dann anders gefragt. Sehen Sie die Gefahr, dass die Politik die Wirkung der Fußfessel überschätzt und andere dringend notwendige Maßnahmen aus dem Blick geraten?

Florian Rebmann: Wenn man bei der Fußfessel stehen bliebe und die Spannung abfällt, wäre das ein Problem. Partnerschaftsgewalt hat strukturellen Ursachen. Da geht es um psychische Erkrankungen bei Täter*innen, um finanzielle und soziale Probleme, um Ungleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Wenn man das Problem Gewalt gegen Frauen grundlegend angehen wollte, müsste man ganz anders herangehen: Sozialreformen machen und umfassende Aufklärungskampagnen. Solche Maßnahmen sind schwerer zu kommunizieren und zeigen keine schnelle Wirkung. Sie wären aber wichtiger, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Was also nicht passieren sollte: Fußfesseln einführen und davon ausgehen, damit sei alles gut.

netzpolitik.org: Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Familiengerichte nicht nur die Fußfessel anordnen dürfen, sondern auch verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter*innen.

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Florian Rebmann: Das ist ein guter Ansatz. Im Moment kann Täterarbeit erst nach einer Verurteilung angeordnet werden. Der Täter muss schuldig gesprochen werden, vorher spielt das so gut wie keine Rolle. Das Problem: Bei schweren Gewaltverbrechen an Frauen, das konnten wir zeigen, sind die Täter in der Regel vorher noch nicht verurteilt worden. Das Strafrecht kommt also zu spät. Die Hoffnung bei der Reform ist, dass jetzt auch schon Familiengerichte im Eilverfahren Maßnahmen wie Anti-Gewalt-Trainings verordnen können und dass sie früher greifen.

Ich sehe allerdings ein Problem auf uns zukommen: Wenn jetzt mehrere Tausend Menschen in Deutschland diese Weisung bekommen, gibt es dafür kein ausreichendes Angebot. Man müsste also auch die Täterarbeit viel stärker ausbauen und finanziell fördern, sonst können Täter die Auflagen nicht erfüllen.

netzpolitik.org: Die Fußfessel ist ein tiefer Eingriff in die Grundrechte der Überwachten. Ihr Standort wird rund um die Uhr überwacht; das Gerät ist etwa am Strand oder im Fitnessstudio für andere sichtbar. Sehen Sie einen so tiefen Eingriff als gerechtfertigt, ohne dass jemand strafrechtlich verurteilt wurde?

Florian Rebmann: Ich kritisiere an dem Entwurf, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung nicht hoch genug sind. Ich hätte erwartet, dass hier eine Einschränkung gemacht wird, was die Schwere der potenziellen Straftat angeht, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.

netzpolitik.org: Laut Entwurf muss die Anordnung „unerlässlich“ sein, um ein Näherungsverbot durchzusetzen und es muss eine Straftat zu befürchten sein, die sich gegen Leben, Leib, persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet.

Florian Rebmann: Diese Maßnahme kann nur dann plausibel begründet werden, wenn wir davon ausgehen, dass Personen in Zukunft gefährlich werden. Über die Täter, die im Eilverfahren vom Familiengericht so eine Anordnung bekommen, wissen wir aber in der Regel sehr wenig. Sie werden nicht begutachtet. Die Gerichte stellen auch keine komplexen Prognosen an. In der Regel vermuten Gerichte aufgrund einer früheren Verletzung, dass Täter nochmal etwas tun werden. Das genügt meiner Meinung nach als prozessuale Absicherung einer so schweren Maßnahme nicht. Wenn man dann im dazu gehörigen Gesetz noch niedrige Voraussetzungen hat, könnte das in der Gesamtschau als nicht verfassungsgemäß eingeschätzt werden. Ich würde deswegen erwarten, dass hier entweder klar geregelt wird, wie die Prognose gestellt werden kann oder die Voraussetzung für die Anordnung von Fußfessseln erhöht werden.

„Nicht nur das Opfer muss sein Leben einschränken“

netzpolitik.org: Wie sicher ist die Technologie hinter den Fußfesseln? Wenn Täter etwa eine Fußfessel mit wenigen Tricks entfernen können oder ein technisches Problem simulieren, dann wäre sie nutzlos.

Florian Rebmann: Täter können sich der Fußfessel entledigen. Das Gerät löst dann einen Alarm aus und die Frage ist, wie schnell die Polizei darauf reagieren kann. Es gibt immer Fälle, in denen elektronisch Gefesselte entwischen und Straftaten begehen. Vollständige Sicherheit bietet sie also nicht, und das sollte man den Betroffenen, die damit geschützt werden sollen, auch vermitteln.

netzpolitik.org: Beim Entfernen der Fußfessel drohen Gefängnisstrafen. Aber wenn ein Täter bereit ist, Gewalt gegen einen Menschen anzuwenden, warum sollte ihn die Strafandrohung beim Entfernen der Fußfessel abschrecken?

Florian Rebmann: Die herkömmliche Fußfessel für Straftäter*innen ist so konzipiert, dass die Strafdrohung verhindern soll, dass der Täter die Fußfessel ablegt. Bei wild entschlossenen zukünftigen Mördern ist es illusorisch, dass das einen Effekt hat. Solche Täter haben schon lange entschieden, dass ihnen egal ist, ob sie ins Gefängnis kommen. Die Fußfessel nach dem spanischen Modell hat aber neben der Abschreckungsfunktion auch die Funktion der Gefahrenabwehr. Die Fessel wirkt also nur, wenn die Polizei in so einem Fall sehr schnell informiert wird und noch in der Gefahrensituation eingreift. Ob das klappen wird, werden wir sehen.

netzpolitik.org: Was weiß man dazu, wie sich die Fußfessel auf die Wahrnehmung der damit geschützten Personen auswirkt? Können Sie dadurch angstfreier leben?

Florian Rebmann: Befragungen haben gezeigt, dass sich die Opfer durch die Überwachung des potentiellen Täters sicherer fühlen. Es führt dazu, dass die verantwortliche Person überwacht wird und die Last trägt – nicht nur das Opfer muss sein Leben einschränken. Da ist also auch eine moralische Komponente dabei. Opfer berichten, dass sie nach Jahren endlich ohne Angst einkaufen gehen oder die Kinder zur Schule bringen können. Die Befragungen zeigen aber auch, dass das stark davon abhängt, wie eng die Opfer von den Behörden begleitet werden. Zum Beispiel, ob sie etwa bei einem Alarm sofort informiert werden, was los war.



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Netzpolitischer Abend zum Thema Pressefreiheit



Vor zehn Jahren wurde netzpolitik.org das Ziel eines Angriffs auf die Pressefreiheit. Wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zettelte der damalige Chef des Verfassungsschutzes ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats an. Der Generalbundesanwalt ermittelte und die Redaktion musste Überwachungsmaßnahmen fürchten. Nach einer großen Welle der Solidarität wurden die Ermittlungen eingestellt und netzpolitik.org ging gestärkt aus der „Affäre Landesverrat“ hervor.

Das denkwürdige Jubiläum nehmen wir zum Anlass für einen gemeinsamen Netzpolitischen Abend mit der Digitalen Gesellschaft zum Thema Pressefreiheit. Unter der Moderation von Anna Biselli, Co-Chefredakteurin bei netzpolitik.org, tragen fünf Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen ihre Einschätzung zur weltweiten Lage der freien Presse vor. Der 151. Netzpolitische Abend der Digitalen Gesellschaft findet am 4. November in der c-base Berlin oder im Stream statt. Der Eintritt ist kostenlos und alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

Das Programm

Alena Struzh und Katharina Viktoria Weiß, Reporter ohne Grenzen: Pressefreiheit weltweit

Von autoritären Regimen und Überwachung: Die Journalistinnen teilen eine Bestandsaufnahme der weltweiten Pressefreiheit und ihrer Herausforderungen.

Philipp Frisch und Lisa-Marie Maier, Human Rights Watch: Pressefreiheit in Afghanistan

Dokumentierte Gewalt und Zensur: Ein Vortrag über die zunehmenden Bedrohungen für afghanische Journalist*innen, darunter auch Abschiebungen.

Joschka Selinger, Gesellschaft für Freiheitsrechte: Pressefreiheit in Deutschland

Kein Wohlfühlklima: Joschka Selinger berichtet über den steigenden Druck auf die deutsche, freie Presse anhand von aktuellen Fällen.

Die c-base befindet sich in der Rungestraße 20, 10179 Berlin. Einlass ist ab 19:15 Uhr, los gehts um 20 Uhr. Für alle, die nicht vor Ort dabei sein können, gibt es einen Live-Stream ab 20:15 auf c-base.org. Der Eintritt ist frei.



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Cybercrime-Konvention: Menschenrechtsverletzungen über Grenzen hinweg


Die UN-Cybercrime-Konvention wurde am Samstag in Hanoi symbolisch unterzeichnet. UN-Generalsekretär António Guterres gab sich die Ehre: In einer feierlichen Zeremonie in der vietnamesischen Hauptstadt wurde der internationale Vertrag mit den Unterschriften der Staaten versehen, die damit das politische Signal geben, die Konvention unterstützen zu wollen.

Rechtlich verbindlich ist das nicht. Denn erst durch eine Ratifikation können die jeweiligen nationalen Parlamente einer Konvention Geltung verschaffen. Für die Cybercrime-Konvention sind dafür mindestens vierzig Ratifikationen bis 31. Dezember 2026 notwendig. Neunzig Tage danach tritt sie in Kraft. Dass Parlamente in vierzig Staaten zustimmen, ist schon wegen der zahlreichen Unterschriften in Hanoi sehr wahrscheinlich, aber der Zeitpunkt des Inkrafttretens hängt von den verschiedenen parlamentarischen Gepflogenheiten in den Ländern ab.

Europa uneins

Deutschland hat bei der Unterzeichnungszeremonie in Hanoi seine Unterschrift nicht auf den Vertrag gesetzt, plant das aber dem Vernehmen nach in der Zukunft. Die Frage ist jedoch, wann dieser Zeitpunkt kommen wird, denn ob ein Staat nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten ratifiziert, ist ihm selbst überlassen. Die Europäische Union war aber unter den Unterzeichnern, was als politisches Signal bedeutsam ist. Der konservative ÖVP-Politiker und EU-Kommissar für Inneres und Migration Magnus Brunner nannte das Abkommen einen „Meilenstein“, der die weltweite Zusammenarbeit im Kampf gegen Cyberkriminalität stärke.

Die EU-Kommission teilte heute in einer Pressemeldung mit, dass der Kampf gegen Cyberkriminalität für die EU eine Priorität sei und der UN-Vertrag die Fähigkeit der EU verbessere, international gegen solche Verbrechen vorzugehen. Nach der Unterzeichnung wird nun der EU-Rat über das Abkommen beraten und über den Abschluss entscheiden, wozu auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich wäre.

Die europäischen Staaten, die in Hanoi unterzeichnet haben und damit ein Signal setzen, die Konvention ratifizieren zu wollen, sind nach Informationen von netzpolitik.org die Slowakei, Österreich, Belgien, Tschechien, Frankreich, Griechenland, Irland, Luxemburg, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Schweden als EU-Mitgliedsstaaten sowie das Vereinigte Königreich. Europa ist sich also uneins, denn viele kleinere Staaten und einige große Staaten wie eben Deutschland oder Italien, aber auch die Niederlande oder Nicht-EU-Mitglied Schweiz fehlen auf der Unterzeichnerliste.

72 Unterzeichner-Staaten

Nicht überraschend: China und Russland sind als langjährige Unterstützer auf der Liste der insgesamt 72 Unterzeichner-Staaten. Russland hatte den UN-Vertrag vor Jahren sogar initiiert.

Die Vereinigten Staaten hingegen haben nicht unterschrieben. Ohne eine US-Beteiligung wäre die UN-Konvention aber ein weitaus weniger wirksames Abkommen. Ob sie den Vertrag ratifizieren und damit auch einwilligen, Daten nach den Maßgaben der Konvention herauszugeben, bleibt eine offene Frage.

Denn darum geht es in dem UN-Vertrag im Kern: Daten. Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und eine nur vage definierte „Computerkriminalität“ werden durch den Vertrag nämlich weitreichende Überwachungsmaßnahmen und Kooperationen beim Austausch von Daten vorgeschrieben. Die umfangreichen Datensammlungen und die internationalen Datenzugriffsmöglichkeiten werden vor allem kritisiert, weil längst nicht in allen Staaten hinreichende Menschenrechtsstandards und rechtliche Schutzmaßnahmen existieren, die Missbrauch verhindern oder zumindest aufdecken könnten. Unabhängige Gerichte, Datenschutzgarantien oder auch nur Verhältnismäßigkeitsprüfungen sind zwar in vielen Demokratien etabliert, aber eben keine weltweiten Standards.

David Kaye, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, nannte den UN-Vertrag vor der Abstimmung in der UN-Generalversammlung im Dezember letzten Jahres „äußerst mangelhaft, sowohl in seiner Formulierung als auch in seiner Substanz“. Es sei für ihn und für viele Beobachter „schockierend, dass demokratische Staaten ihn unterstützen“ würden.

„Der Vertrag soll einen umfassenden Zugang zu Daten schaffen“

Alarmierend breite Zustimmung

Die internationalen Menschenrechts- und Digitalrechte-Organisationen, die das Zustandekommen des UN-Vertrages fünf Jahre kritisch begleitet haben, äußern sich in einem gemeinsamen Statement weiterhin ablehnend zu dem Abkommen.

Sie rufen die Staaten auf, von der Ratifikation abzusehen, um den Vertrag nicht in Kraft treten zu lassen. Sie erwarten von allen die Menschenrechte achtenden Staaten, ihre Unterstützung des UN-Abkommens zumindest solange zurückzuhalten, bis garantiert ist, dass alle Unterzeichnerstaaten der Konvention wirksame Schutzmaßnahmen und rechtliche Garantien umsetzen. Nur so könnten Menschenrechtsverletzungen in der Praxis verhindert werden.

Die 16 unterzeichnenden Organisationen, darunter Human Rights Watch, die Electronic Frontier Foundation, Privacy International, epicenter.works und Access Now drücken nochmals ihre tiefe Besorgnis über die UN-Cybercrime-Konvention aus, weil sie „grenzüberschreitende Menschenrechtsverletzungen begünstigen“ würde. Die Konvention enthalte keine ausreichenden Menschenrechtsschutzbestimmungen, die sicherzustellen würden, dass die Bemühungen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität auch mit einen angemessenen Schutz der Menschenrechte einhergehen. Wichtige Rechtsgrundsätze seien nicht genügend vorgeschrieben worden.

Cybercrime

Wir berichten über die politische Seite des Cybercrime. Unterstütze uns dabei!

Auch Tanja Fachathaler, die zusammen mit anderen Organisationen für die österreichische Digital-NGO epicenter.works jahrelang die Verhandlungen begleitete, äußert sich gegenüber netzpolitik.org weiterhin ablehnend. Dass so viele Staaten nun symbolisch unterzeichnet hätten, sei besorgniserregend:

Die breite Zustimmung der Staaten zur Cybercrime-Konvention in Hanoi ist alarmierend. Wir halten an unserer Kritik an dem Vertrag fest: Durch seine teils fehlenden, teils lückenhaften Sicherheitsbestimmungen öffnet er das Tor zu Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch der Kooperationsmechanismen, die im Vertrag geschaffen werden.

Die „Verfolgung kritischer Stimmen“ sei eine „reale Gefahr“, die durch die Konvention noch verstärkt werden könnte. Die politische Opposition, aber auch Medienvertreter und IT-Sicherheitsexperten seien von den Regelungen des Abkommens bedroht. Sollte es trotzdem in Kraft treten, fordert Fachathaler gegenüber netzpolitik.org, dass es „dringend geboten“ sei, „dass die Anwendung der Bestimmungen im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards“ stehe. Es sei zudem „essentiell, die Zivilgesellschaft in die Implementierung des Vertrags einzubinden“.



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Angreifer können Authentifizierung bei Dell Storage Manager umgehen


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It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Angreifer können unter anderem an einer Schwachstelle in Dell Storage Manager ansetzen, um Sicherheitsbeschränkungen zu umgehen. Eine dagegen abgesicherte Ausgabe steht zum Download bereit.

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Wie aus einer Warnmeldung hervorgeht, gilt eine Sicherheitslücke (CVE-2025-43995) als „kritisch„. Daran sollen entfernte Angreifer mit Fernzugriff ohne Authentifizierung ansetzen können. Klappt eine Attacke, sind unberechtigte Zugriffe möglich. Wie ein solcher Angriff im Detail ablaufen könnten, führen die Entwickler derzeit nicht aus.

Auch bei der zweiten Schwachstelle (CVE-2025-43994 „hoch„) kommt es während der Authentifizierung zu Fehlern, und Angreifer können auf einem nicht näher beschriebenen Weg auf eigentlich abgeschottete Informationen zugreifen. Die dritte Lücke (CVE-2025-46425 „mittel„) beschreibt abermals Authentifizierungsprobleme.

Bislang gibt es keine Berichte, dass Angreifer die Lücken bereits ausnutzen. Um Systeme vor den geschilderten Attacken zu schützen, müssen Admins Dell Storage Manager Version 2020 R1.22 installieren. Alle vorigen Ausgaben sind den Entwicklern zufolge verwundbar.

Zuletzt haben die Entwickler Sicherheitslücken in der Backuplösung PowerProtect Data Domain geschlossen.

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(des)



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