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Google verklagt Phishing-Kartell | heise online


Google geht zivilrechtlich gegen ein Verbrechersyndikat vor, das sich auf die Unterstützung von Online-Betrug in großem Maßstab spezialisiert hat. Die Drahtzieher sprechen Chinesisch. Das Konglomerat ist als Lighthouse bekannt und bietet anderen Verbrechern vorgefertigte Pakete aus Dienstleistungen und Anleitungen an. Damit wird Phishing und verbundener Kreditkartenbetrug einfach, besondere Kenntnisse sind nicht mehr erforderlich. Die Kunden nutzen überwiegend chinesische Clouds für das Hosting ihrer betrügerischen Webseiten.

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Die Opfer sind überwiegend in den USA und Japan, doch sind laut einer im April veröffentlichten Untersuchung Menschen in mindestens 121 Ländern getroffen worden. „Opfer könnten die Präsenz eines Google-Logos als Indikator dafür erkennen, dass die Webseite sicher oder legitim ist“, weiß Google. Verbrecher wollen täuschend echt aussehende Webseitenfälschungen erstellen, also bauen sie die auf so vielen Webseiten prangenden Logos für Google, Google Play oder Youtube in ihre Fälschungen ein. Damit begehen sie einen Markenrechtsverstoß, den Google vor Gericht geltend machen kann.

Die konkrete Anzahl und die Namen der Lighthouse-Täter sind Google nicht bekannt, weshalb es seine Klage am US-Bundesbezirksgericht für das Südliche New York an „Does 1-25“ richtet. Das ist ein Platzhalter für „Unbekannt 1 bis 25“. Die Zahl ist repräsentativ zu verstehen; tatsächlich dürften Hunderte an dem arbeitsteiligen Betrugssystem beteiligt sein. Die Anbieter werben laut Klageschrift damit, dass Kunden bei mehr als 300 Support-Mitarbeitern Unterstützung für ihre Verbrechen erhalten können.

Lighthouse bietet Dienstleistungen für zwei Phishing-Felder: SMS und betrügerische Webseiten. Letztere werden durch Postings in Sozialen Netzen sowie durch Online-Reklame, wie Google sie vermittelt, beworben. Zur Einrichtung von Google-Werbekonten werden gerne Gmail-Konten genutzt, die vor Jahren angelegt wurden und nun auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Diese erregen bei Googles automatisierten Systemen weniger Aufmerksamkeit als neue Gmail-Konten. Zum besonderen Unbill Googles, werden zur Identifizierung nicht nur gefälschte oder kopierte Ausweise genutzt, sondern zur Bezahlung der Reklameschaltung auch noch Daten fremder Kreditkarten. Die Täter verstoßen also mehrfach gegen Googles Nutzungsbedingungen.

Während die betrügerischen Online-Shops mit günstigen Angeboten locken, erzählen die massenhaft versandten SMS Märchen über fehlgeschlagene Paket-Zustellungen, aushaftende Mautgebühren, wichtige Behördenwege oder dringende Bankangelegenheiten. Dazu wird auf Webseiten-Fälschungen verlinkt. Lighthouse hat hunderte Vorlagen im Angebot. Auf über hundert davon hat Google seine Logos entdeckt.

Zu den Lighthouse-Dienstleistungen zählt auch die Vermittlung von Domain-Registrierungen unter falschen Namen sowie die laufende Prüfung der Domains hinsichtlich Einträgen bei transparencyreport.google.com sowie in den schwarzen Listen gängiger Webbrowser. Wird eine Domain oder Webseite als entlarvt erkannt, informiert Lighthouse seinen Kunden umgehend, damit er flott auf eine andere Domain umstellen kann.

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In jedem Fall werden die Opfer dazu verleitet, ihre Bezahldaten einzugeben, meist Kreditkarteninformationen. Es folgt eine vorgetäuschte Zweifaktor-Authentifizierung (2FA), bei der das Opfer einen entsprechenden Code eingeben muss.

Während das Opfer auf den per SMS oder E-Mail zugemittelten Code der Bank wartet, generieren die Täter aus den Kreditkartendaten geschwind Bilder, die wie echte Kreditkarten aussehen, und fotografieren diese Bilder sofort ab, um die fremde Kreditkarte einem Smartphone-Wallet hinzuzufügen. Das erfordert zusätzlich 2FA. Genau auf diesen Code wartet der echte Kreditkarteninhaber ja gerade. Merkt er den Unterschied nicht und gibt den von der Bank erhaltenen Code auf der vermeintlich echten Webseite ein, haben die Täter gewonnen.

Sie haben nun ein elektronisches Wallet mit einer fremden Kreditkarte. Damit lässt sich eine Weile einkaufen gehen. Das tun die Täter in der Regel nicht selbst; vielmehr verkaufen sie das Wallet weiter. Überhaupt ist das Ganze professionell arbeitsteilig aufgezogen: Es gibt Programmierer, Datenhändler, Spammer, und schließlich jene, die die Beute zu Geld machen. Hinzu kommt ein Team, das Online-Communities betreibt und betreut, um die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen zu koordinieren und neue Mitglieder anzuwerben.

Google stützt seine Klage auf Verschwörung nach dem Anti-Mafia-Gesetz Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act (RICO) und erhebt die Vorwürfe des Überweisungsbetrugs, der Computerbetrugs, der Markenrechtsverletzung, des unlauteren Wettbewerbs, irreführender Herkunftsangaben sowie unwahrer Werbung. Der Datenkonzern fordert Feststellung der Rechtsverletzungen, Unterlassungsverfügungen, Schadenersatz mit Strafzuschlägen und Kostenersatz.

Das Verfahren selbst wird wohl ohne die Beklagten ablaufen. Unmittelbare Auswirkungen haben sie nicht zu fürchten, solange ihre Identitäten unbekannt sind oder sie sich beispielsweise in der Volksrepublik China aufhalten. Wahrscheinlichster Ausgang ist ein Versäumnisurteil, da sich die Beklagten wohl kaum zu erkennen geben und verteidigen werden.

Dann könnte Google Anspruch auf etwaig beschlagnahmte Vermögenswerte anmelden, die nicht an Opfer zurückgegeben werden können. Denkbar ist, dass solch ein Urteil Google oder anderen Opfern dabei hilft, Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Zudem hätten geschnappte Lighthouse-Kunden eine Ausrede weniger: Die Illegalität des Angebots wäre schon gerichtlich geklärt.

Das Verfahren heißt Google v Does 1-25 und ist am US-Bundesbezirksgericht für das Südlicher New York unter dem Az. 1:25-cv-09421 anhängig. Parallel drängt Google auf strengere Gesetze.


(ds)



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39C3: „Digital Independence Day“ gegen Tech-Monopole


Im Rahmen eines Vortrags des Schriftstellers Marc-Uwe Kling („Die Känguru-Chroniken“) rief der Chaos Computer Club am Samstagabend zum „Digital Independence Day“ auf. Die Idee: Wenn genügend Menschen andere digitale Dienste als die der großen US-amerikanischen und chinesischen Unternehmen nutzen, lässt sich deren Einfluss auf die eigene Gesellschaft einschränken.

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Die Notwendigkeit dazu sieht der CCC laut einer Mitteilung durch einen „Würgegriff von Big Tech“. Der Verein schreibt darin: „Die Plattformen scheren sich nicht um unsere Gesetze, zersetzen unsere Demokratie und damit unsere Freiheit.“ Besonders sichtbar sei das kürzlich durch die wütenden Reaktionen von Elon Musk auf eine durch die EU nach dem Digital Services Act (DSA) verhängte Millionenstrafe gegen dessen Plattform X geworden, das frühere Twitter. Die darauf folgenden Sanktionen gegen HateAid und den früheren EU-Kommissar Thierry Breton sieht der Verein als weiteres Alarmsignal.

Folglich schlägt der CCC die Nutzung von Mastodon statt X, aber etwa auch Signal als Alternative zu WhatsApp vor. Dabei sollen ab dem 4. Januar 2026 an jedem ersten Sonntag eines Monats Wechselpartys in den verschiedenen Hackerspaces des CCC sowie bei weiteren Unterstützern der Initiative stattfinden. Das Ziel ist, auch technisch weniger interessierten Menschen den Umstieg zu erleichtern und die Vorteile von anderen Lösungen zu zeigen. Bei Social Media und Messengern macht das nicht halt: Auch der Wechsel von Windows 10, welches das Ende seines Support-Zeitraums erreicht hat, zu Linux wird empfohlen.

In die gleiche Kerbe schlug am Sonntag, dem zweiten Tag des 39C3, der kanadisch-britische Autor und Aktivist Cory Doctorow. In seinem Vortrag entwarf er das Konzept eines „post-amerikanischen Internets“. Doctorow prägte 2022 den Begriff der „Enshittification“, der unter anderem beschreibt, wie die Bedingungen für Nutzer in digitalen Plattformen absichtlich immer schlechter gemacht werden, weil sie unwillig sind, diese zu verlassen. Ergänzend zum zivilgesellschaftlichen Widerstand wie beim „Digital Independence Day“ sieht Doctorow auch politisches Handeln als zentral an, um digitale Monopole aufzubrechen.

Der wichtigste Hebel dafür sei eine Abschaffung des rechtlichen Schutzes von Software vor deren Veränderung. Unter dem Deckmantel von „Kopierschutz“, Urheberrecht und Geschäftsgeheimnissen sperrten viele De-facto-Monopolisten ihre Kunden in goldene Käfige, welche kaum aufzubrechen seien. Doctorow nannte als Beispiel Apples 30-Prozent-Anteil für Transaktionen, die durch Apps aus dem Apple-Store angestoßen werden, oder die Reparaturfeindlichkeit des Landmaschinenherstellers John Deere.

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Erst wenn diese rechtlichen Schutzmechanismen nicht mehr existierten, könnte sich wieder ein gesunder Wettbewerb entwickeln. Es sei dann nicht mehr möglich, dass Unternehmen sich zu Monopolen entwickeln, indem sie ihren Kunden durch rechtliche Kniffe Reparatur, Weiterentwicklung und Wechsel erschwerten, so Doctorow.

Getragen wird die Initiative zum Digital Independence Day alias „Di.Day“ von der gemeinnützigen Gesellschaft „Save Social“, die auch eine FAQ zu dem Vorhaben bereithält. Neben dem Chaos Computer Club zählen zu den Unterstützern unter anderem der Verein Digitale Gesellschaft, die Gesellschaft für Informatik, Nextcloud und Wikimedia Deutschland.

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(nie)



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„Armut tötet“: Warum „KI“ das Gesundheitswesen nicht retten kann


Auf dem 39. Chaos Communication Congress analysierte Manuel Hofmann von der Deutschen Aidshilfe in seinem Vortrag „‘KI’, Digitalisierung und Longevity als Fix für ein kaputtes Gesundheitssystem?“ die überzogenen Technologie-Versprechen für das deutsche Gesundheitssystem. Sein Vortrag offenbarte eine gefährliche Mischung aus naiver Technikgläubigkeit, libertärer Ideologie und dem systematischen Ausblenden sozialer Ungleichheiten.

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Betrachte man die Schlagzeilen, stecke das deutsche Gesundheitswesen in einer veritablen Krise: Die Kosten explodieren, der demografische Wandel rollt unaufhaltsam auf das System zu, und in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden Hunderttausende Beschäftigte in Rente gehen. Zugleich kommen geburtenstarke Jahrgänge in ein Alter, in dem sie häufiger krank und pflegebedürftig werden. Der Charité-Chef warne vor dem Kollaps, der GKV-Spitzenverband schlage Alarm, und Deutschland lande bei der Krankheitsprävention auf dem vorletzten Platz einer internationalen Erhebung.

Die Antwort der Politik und der Gesundheitswirtschaft auf diese strukturellen Probleme folge einem erstaunlich einheitlichen Muster, erklärte Hofmann: Technologie soll es richten. In der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (PDF) aus dem Jahr 2023 heiße es: „Die Digitalisierung in der Gesundheits- und Pflegeversorgung ermöglicht ein gesünderes und längeres Leben für alle.“ Doch wie realistisch sind diese Versprechen tatsächlich?

In seiner Analyse verdeutlichte Hofmann die Dimensionen der Realitätsferne mit konkreten Aussagen führender Gesundheitsmanager. Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité – Europas größtem Universitätsklinikum –, erklärte demnach in einem Tagesthemen-Interview, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Drittel seiner Mitarbeiter in Rente gehen werde. Hofmann zitierte Kroemers Schlussfolgerung: „Insofern haben wir ganz klar die Zielsetzung, innerhalb einer Dekade ein Drittel der Mitarbeiter durch diese Technologien ersetzen zu können.“

Hofmann konterte diese Aussage mit Verweis auf die Geschichte der Digitalisierung im Gesundheitswesen: „Ich erinnere noch mal daran: Wir haben vor 20 Jahren die erste Idee zur elektronischen Patientenakte bekommen.“ Die elektronische Patientenakte, das Vorzeigeprojekt der Gesundheitsdigitalisierung, war auf dem Chaos Communication Congress vor genau einem Jahr Gegenstand vernichtender Kritik – Sicherheitsforscher hatten zahlreiche technische Mängel aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund erscheine die Vorstellung, innerhalb von zehn Jahren ein Drittel des Krankenhauspersonals durch KI zu ersetzen, geradezu unrealistisch, so Hofmann.

Noch weiter gehe es in einem von Siemens Healthineers gesponserten Meinungsbeitrag in der Welt, den Hofmann in seinem Vortrag zitierte: „Was können wir dagegen tun? Wir können nicht mehr Ärzte herbeizaubern, aber durch den Einsatz von Technologie versetzen wir sie in die Lage, künftig zehnmal mehr als heute zu leisten. Warum sollte ein Arzt, der heute 1000 Patienten im Quartal behandelt, künftig nicht 10.000 Patienten im Quartal behandeln?“

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Hofmann berichtete, er habe diese These bei einem Workshop auf einem Ärztekongress des Vereins Demokratischer Ärztinnen getestet. Die Reaktion der anwesenden Mediziner auf die Frage, warum sie künftig nicht zehnmal so viele Patienten behandeln könnten, beschrieb er so: „Sie waren so mittelbegeistert und haben sich auch tendenziell nicht über zu laxe Arbeitsbedingungen beschwert.“

Besonders drastisch illustrierte Hofmann die Weltfremdheit mancher Zukunftsvisionen anhand eines Magazins einer Strategieberatung, das das Gesundheitswesen im Jahr 2030 beschreibt. Die dort geschilderte Szene: Ein Patient sitzt in einer onkologischen Praxis, um seine Krebsprognose zu erfahren – also die Antwort auf die Frage, ob er weiterleben wird. Dieser Patient werde in der Vision als „neugierig“ beschrieben, so Hofmann.

Seine Kritik fiel deutlich aus: „Ich will wirklich nicht, dass die Zukunft unseres Gesundheitswesens von Leuten designt wird, die denken, dass Menschen, die gerade erfahren, ob sie weiterleben können, neugierig in ihrem Behandlungsgespräch sitzen.“ In der Vision errechneten KI-Simulationen, „gestützt auf Quantencomputing“, eine individualisierte Erfolgswahrscheinlichkeit. Die Ärztin habe dann auch viel mehr Zeit für „tolle psycho-onkologische Gespräche“, weil das Administrative wegfalle. Die Diskrepanz zwischen solchen Hochglanz-Szenarien und der Realität eines Gesundheitssystems, das noch immer massiv auf Faxgeräte angewiesen ist, könne kaum größer sein.

Parallel zur Technologie-Euphorie etabliere sich laut Hofmanns Analyse ein zweites Narrativ: die Betonung von Eigenverantwortung. Der Referent verwies auf Bundeskanzler Friedrich Merz, der beim Kongress der Maschinenbauer erklärt habe, die Deutschen gingen alle zu häufig zum Arzt.

Ähnlich äußere sich Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Hofmann zitierte sie aus einer Pressekonferenz zum Public Health Report: „Um eine finanzierbare und gute Gesundheitsversorgung für die Zukunft aufzustellen, sind Veränderungen unumgänglich. Und dabei wird auch die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger eben eine zentrale Rolle spielen.“

Diese Entwicklung münde in eine zunehmende digitale Ersteinschätzung, analysierte Hofmann: Bevor Menschen Zugang zum Gesundheitssystem erhalten, sollen Chatbots und Symptomchecker vorfiltern, wer „wirklich“ behandelt werden muss.

Besonders problematisch werde diese Entwicklung im Bereich der psychischen Gesundheit. Angesichts des Mangels an Psychotherapieplätzen werde KI zunehmend als Ersatz diskutiert. Hofmann warnte eindringlich: „Nein, ChatGPT wird nicht den Psychotherapeuten und die Psychotherapeutin ersetzen.“ Als Beleg verwies er auf ein neues Phänomen: die KI-induzierte Psychose. Menschen mit bestehenden Zwangsgedanken erhielten von Sprachmodellen oft bekräftigende Antworten, die ihre Probleme verschärften statt sie zu lindern.

Ein weiterer Strang von Hofmanns Analyse betraf die Longevity-Bewegung – ein Ansatz, der Langlebigkeit durch eine Kombination aus Technologie, Selbstoptimierung und experimentellen Behandlungen verspricht. Die ideologischen Wurzeln dieser Bewegung lägen im Silicon Valley, bei Tech-Milliardären mit libertären Überzeugungen und dem ausgeprägten Wunsch, nicht sterben zu müssen.

Als prominenten Vertreter nannte Hofmann Ray Kurzweil, KI-Visionär und Chief Technical Officer bei Google. Kurzweil propagiere das Konzept der „Longevity Escape Velocity“ – den Punkt, an dem der medizinische Fortschritt so schnell voranschreite, dass jedes gelebte Lebensjahr ein zusätzliches Jahr Lebenserwartung bringe. Hofmann erläuterte Kurzweils Vision: Man erreiche irgendwann einen Zustand, „wo wir unsere allzu schwächlichen scheiternden Körper hinter uns lassen können“ und wo Krankheit, wie wir sie kennen, ausgerottet werde. Nach Kurzweils Prognosen werde dieser Punkt bereits in wenigen Jahren erreicht sein. „Ich glaube, das Fax wird im deutschen Gesundheitswesen diesen Zeitpunkt um einige Jahrzehnte überleben,“ sagte Hofmann dazu.

Die praktische Ausprägung dieser Ideologie finde sich in Einrichtungen wie Fountain Life, einem laut Hofmann „irrsinnig teuren Longevity-Center“ in den USA, wo wohlhabende Kunden experimentelle Untersuchungen buchen können. Ein Gründer von Fountain Life habe empfohlen, man solle „der CEO der eigenen Gesundheit sein“ – eine Formulierung, die inzwischen auch von deutschen Gesundheitsinfluencern übernommen werde.

Als besonders skurriles Beispiel nannte Hofmann den Longevity-Enthusiasten Brian Johnson, der sich selbst als den bestvermessensten Menschen der Welt bezeichne. Johnson sei bekannt für obsessive Selbstvermessung, die nach Hofmanns Darstellung bisweilen groteske Züge annehme. Er verwies auf einen Artikel der New York Times, der die jahrhundertealte Suche nach dem ewigen Leben analysiert und festgestellt habe, dass diese Suche überwiegend von Männern getrieben ist. Hofmann zog Verbindungen zu sozialpsychologischer Forschung, die nahelege, dass die Verdrängung des Todes in individualistisch organisierten Gesellschaften deutlich verbreiteter sei als in gemeinschaftsorientierten Kulturen.

Das fundamentale Problem all dieser Ansätze sah Hofmann in ihrer systematischen Ausblendung sozialer Ungleichheiten. Gesundheit hänge in hohem Maße von gesellschaftlicher Positionierung ab, betonte er in seinem Vortrag. Menschen, die queer oder trans seien, erlebten ihr Leben lang Minderheitenstress, der sich auf die Gesundheit auswirke. Menschen, die täglich zehn Stunden Pakete austrügen, hätten abends keine Energie mehr für Wellness-Rituale. „Armut tötet“, fasste Hofmann zusammen – eine Aussage, die das Robert-Koch-Institut mit seinen Daten zur „Lebenserwartungslücke“ zwischen Arm und Reich wissenschaftlich bestätige.

Die Individualisierung von Gesundheit mache Menschen für Dinge verantwortlich, für die sie wenig könnten, argumentierte Hofmann. Wer in einer lauten Straße wohne, wer Schichtarbeit leiste, wer prekär beschäftigt sei, könne sich nicht einfach für einen gesünderen Lebensstil entscheiden.

Besonders eindringlich wurde Hofmann bei der globalen Dimension. Die Deutsche Aidshilfe habe anlässlich des Welt-Aids-Tags einen Weckruf veröffentlicht: Nach dem Rückzug der USA aus internationalen HIV-Programmen drohe eine Katastrophe. Menschen würden an einer gut behandelbaren Krankheit sterben, weil ihnen die Medikamente fehlen. Hofmann appellierte: „Vielleicht sollten wir das Problem mal als erstes fixen, bevor wir uns weiter darüber unterhalten, ob irgendwelche Tech-Bros aus dem Silicon Valley 130 werden könnten.“

In seinem Vortrag warnte Hofmann auch vor den politischen Implikationen der Krisendiskurse. Die Erzählung, dass das Gesundheitssystem kaputt sei, sei keine neutrale Zustandsbeschreibung, sondern selbst ein Narrativ. Natürlich müsse man Probleme benennen und Lösungen diskutieren. „Aber wenn man nur die Erzählung macht, dass das System kaputt geht und eh alles den Bach runter geht und wir dem Untergang geweiht sind, dann profitiert am Ende doch wieder nur die eine rechtsextreme Partei, die selbst ganz bestimmt keine kompetenten, weitsichtigen Antworten für strukturelle Probleme im Gesundheitswesen haben wird.“


(mack)



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Mecklenburg-Vorpommern: Land will schnellere Digitalisierungsverfahren


Die Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern soll mit vereinfachten Verfahren weiter beschleunigt werden. Durch Änderungen in der Landesbauordnung, dem digitalen Bauantrag und dem Breitbandportal könnten Planungen und Genehmigungen zunehmend schneller abgewickelt werden, hieß es in einer Mitteilung des Innenministeriums in Schwerin.

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„Wir haben heute Möglichkeiten, die uns vor Jahren noch gefehlt haben. Wenn wir sie alle konsequent nutzen, kommen wir deutlich schneller voran“, sagte Innenminister Christian Pegel (SPD).

2015 startete der Bund laut Ministerium das erste Förderprogramm für Glasfaserausbau. Mittlerweile könnten mehr als 60 Prozent der Haushalte im Nordosten einen Glasfaseranschluss nutzen, mit denen sie schnelleres Internet haben. Laut Pegel wurde bislang etwa die Hälfte der Fördermittel in Höhe von fast drei Milliarden Euro abgerufen.

Im September endete nach mehr als sieben Jahren Bauzeit ein großes Ausbauprojekt des Glasfasernetzes im Landkreis Vorpommern-Rügen. Davon profitieren nach früheren Angaben des Landkreises fast 60.000 Haushalte, darunter 1.800 Unternehmen und 80 Schulen in 56 Kommunen des Landkreises. Das Projekt wurde mit Gesamtkosten von knapp 127 Millionen Euro von Bund, Land und Landkreis gefördert.

Unter anderem die CDU hatte in der Vergangenheit kritisiert, dass zu wenige Haushalte im Nordosten Glasfaser haben. Mittelabflüsse aus Förderprogrammen seien hoch, doch beim tatsächlichen Ausbau hinke das Land weiter hinterher, kritisierte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Daniel Peters, vor mehreren Monaten.

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(kbe)



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