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„Ich verlor Einfluss, und am Ende Kontrolle“ – Wefox-Gründer Julian Teicke

Am Dienstag feierte unsere neue Eventreihe „Gründerszene × The Delta Campus“ Premiere – 200 Gründer, VCs und Unternehmer kamen im The Delta Campus in Berlin zusammen, um voneinander zu lernen und sich inspirieren zu lassen – ab jetzt jeden Monat. Zum Auftakt sprach The-Delta-Gründer Julian Teicke (Wefox, ihr wisst schon) über seine größten Learnings. Hier könnt ihr seine Rede nachlesen.
In den letzten Jahren habe ich etwas auf die harte Tour gelernt: Du kannst deine Firma nicht schneller skalieren, als du dich selbst skalierst. Klingt simpel – ist aber brutal wahr. Denn das heißt: Dein größter Engpass ist nicht das Produkt, nicht der Markt, nicht das Funding. Dein größter Engpass bist du.
Wenn du dich innerlich nicht weiterentwickelst, kann dein Unternehmen nur bis zu deiner Grenze wachsen. Und wenn du wächst – öffnet sich plötzlich alles.
Ich habe irgendwann verstanden: Der Job eines CEOs ist nicht, Visionen zu formulieren oder Geld zu raisen. Der wahre Job ist: Reality sensing. Wir müssen Realität sehen – früher, klarer, tiefer als alle anderen.
Jeder Tag bringt tausende Datenpunkte. Und jeder dieser Datenpunkte hat das Potenzial für eine energy spiral: Eine positive, aus der Momentum entstehen kann – neue Kunden, starke Hires, Rückenwind. Oder eine negative, aus der du Momentum verlieren kannst – Fehlentscheidungen, toxische Energie, Gegenwind.
Der Job des CEOs ist, diese Spiralen früh zu erkennen, die positiven zu verstärken, und die negativen zu stoppen, bevor sie das System herunterziehen. Aber das ist schwer, weil keiner von uns Realität so sieht, wie sie wirklich ist.
Wir alle tragen eine getönte Brille – gefärbt durch Erfahrungen, Glaubenssätze, blinde Flecken. Was durch diese Brille unsichtbar ist, existiert für dich nicht. Und was du nicht siehst, kannst du auch nicht führen. Führung heißt also: die Brille Schritt für Schritt klarer machen. Das ist innere Arbeit. Und das ist Transformation.
Die Wachstumszonen: Alpha, Beta, Gamma & Delta
Alpha ist deine comfort zone: Alles ist bekannt, du fühlst dich sicher, kompetent, kontrolliert.
Dann kommt Beta – Momente, in denen Realität dein Weltbild herausfordert. Es fühlt sich unangenehm an. Die meisten Menschen versuchen, Beta zu vermeiden. Aber genau dort liegt das Potenzial.
Und dann kommt Gamma – der Dip. Es wird chaotisch, verwirrend, manchmal schmerzhaft. Aber das ist der Punkt, an dem du wirklich expandierst.
Und schließlich Delta – neue Klarheit, Integration, du siehst mehr Realität, triffst bessere Entscheidungen. Dinge die du vorher übersehen hättest und zu positiven oder negativen Dynamiken geführt hätten, kannst du nun früher wahrnehmen und steuern.
Die besten Leader suchen Beta aktiv auf. Sie sind getrieben von Neugier, nicht Komfort.
Wie übt man das?
Ganz einfach – indem man aufhört, wegzulaufen oder sich abzulenken. Wenn Unbehagen auftaucht – da bleiben und reinspringen, anstatt wegzurennen. Das ist Wachstum in Echtzeit.
Meditation hilft. Reflexion hilft.
Aber am meisten hilft Community – ein Kreis von Peers, der dich hält, nicht bewertet, nicht repariert. Wenn du wächst, dann wächst dein Unternehmen mit dir.
Hier habe ich die negative Spirale erkannt
Als sich der Krieg in der Ukraine anbahnte, war eine Zinserhöhung absehbar und damit ein Funding Freeze für kapitalintensive Hyper Scaling Models. Ich sah die Abwärtsspirale – und wusste: Wenn wir jetzt das Momentum verlieren, zieht es alles runter.
Also habe ich gehandelt. Wir haben in Rekordzeit neues Kapital geraised – und das sogar zu einer höheren Bewertung von 4,5 Milliarden. Das drehte die Energie. Obwohl die Märkte einbrachen und unsere Peers bis zu 90 Prozent ihrer Bewertung verloren haben, war bei uns wieder Aufbruch, Zuversicht, Bewegung.
Eine einzelner Move – und das ganze System vibrierte anders.
Hier habe ich die negative Spirale übersehen
Ein paar Jahre später, in der Vorbereitung auf unseren IPO, professionalisierten wir das Board, holten unabhängige Mitglieder, Komitees, Prozesse. Auf dem Papier klug. Aber ich habe nicht gesehen, wie stark sich dadurch die Dynamik verändert.
Was früher ein Kreis von Partnern mit gemeinsamer Vision war, wurde ein Gremium mit unterschiedlichen Interessen. Vertrauen wich Kontrolle. Alignment wich Formalität.
Ich verlor Einfluss, und am Ende Kontrolle. Das war schmerzhaft – und es war mein blinder Fleck. Ich hatte die Realität nicht mehr richtig gesehen. Und ich musste durch mein eigenes Beta und Gamma. Zweifel, Selbstbild, Kontrollverlust.
Am Ende geht es in Leadership nicht um Macht oder Schlagzeilen. Es geht darum, mehr Realität zu halten. Je mehr Realität du halten kannst, desto größer wird der Raum, in dem du führen kannst. Je mehr Unbehagen du integrierst, desto schneller wächst dein Unternehmen.
Denn: Du kannst deine Firma nicht schneller skalieren, als du dich selbst skalierst.