Künstliche Intelligenz
Idealo-Verfahren: Richter sehen Schaden durch Google
Im Verfahren des Preisvergleichsdienstes Idealo gegen den US-Suchmaschinenriesen scheint eine Verurteilung Googles zu Schadenersatz wahrscheinlich. Doch nicht nur bei der angemessenen Höhe gibt es viele offene Fragen.
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Es ist ein am Ende vielleicht gar nicht mehr so komplizierter Prozess, der nun seit Jahren läuft. Als am Morgen die Parteien zur mündlichen Verhandlung im Auktionssaal des Amtsgerichts aufeinandertreffen, den das für Zivilstreitigkeiten zuständige Landgericht Berlin II aufgrund des großen Interesses an dem Verfahren nutzt, wissen beide Parteien nicht, was sie erwartet.
Der Fall des Preisvergleichsanbieters Idealo, der zum Axel-Springer-Universum gehört, hat viele Facetten. Idealo will 3,3 Milliarden Euro Schadenersatz. Der Vorwurf: Google habe seine eigenen Preisvergleichsdienste bevorzugt und andere Anbieter wie eben Idealo trotz marktbeherrschender Stellung rechtswidrig behindert. 2,7 Milliarden Euro seien der beantragte Mindestschaden, machen die Idealo-Vertreter am Morgen noch einmal klar. Google sieht keinerlei Schaden und auch kein schuldhaftes Fehlverhalten, so die Argumente der Anwälte
EU-Entscheidung für ersten Zeitraum maßgeblich
Der Vorsitzende der Richter im Landgericht, Michael Vogel, nimmt sich am Morgen Zeit, den zahlreichen Rechtsvertretern beider Parteien mit einigen Ausführungen Hinweise zu geben, was die Kammer am Landgericht erwägen würde.
Weil ein Beschluss der EU-Kommission von 2017, in dem ein die Google-Wettbewerber behinderndes Verhalten bei Preisvergleichsdiensten festgestellt wurde, als endgültig anzusehen ist – nachdem alle juristischen Einwände Googles bei den europäischen Gerichten erfolglos blieben – gebe es für das Gericht hier keine Spielräume. Das Gericht habe „nichts daran zu kritisieren oder davon abzuweichen“, erläutert Vogel. Erst für die danach liegende Zeit würden die Richter eine eigene Würdigung vornehmen. Zumindest an einem Punkt scheint die Linie deutlich: „Wenn Traffic entzogen worden ist, muss man annehmen, dass hier ein Schaden entstanden sein kann.“
Immer wieder gibt Vogel Hinweise an die Prozessbeteiligten, was das Gericht als Rechtsauffassung und -folge für plausibel erachtet. Vieles scheint während der mündlichen Verhandlung in Berlin dafürzusprechen, dass das Landgericht einen von Google beziehungsweise Alphabet zu verantwortenden Schaden bei Idealo sieht, aber eine Verhandlung ist noch lange kein Urteil.
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Ein Schaden, der schwer zu fassen ist
Die eigentliche Krux, wie sich im Laufe der Verhandlung herausstellt, besteht in zwei Dingen: Wie bemisst man den Schaden richtig, der Idealo und anderen entstanden ist? Was Schadensberechnung und Schadenshöhe betrifft, haben beide Seiten umfangreiche Gutachten für das „kontrafaktische Szenario“ vorgelegt, wie sich die Suchmaschine wohl entwickelt hätte, wenn Google sich nicht selbst bevorzugt hätte.
Die Kammer lässt offen, was das Gericht für plausibel hält, gibt hier aber auch der Klägerseite von Idealo einen Hinweis. So hegt das Gericht wohl Zweifel, dass aus jeder Produktsuche auch ein potenzieller Preisvergleichsnutzer zu berechnen sei, wenn Google nach dem Ende des erfolglosen Froogle-Produkts nicht angefangen hätte, den Preisvergleich in die Ergebnisseiten einzubauen. „Wenn man sich das jetzt wegdenkt, ob dann in jedem Fall der Nutzer tatsächlich bei einem Vergleichsdienst gelandet wäre: Vielleicht, vielleicht auch nicht“, sagt Michael Vogel.
Das Gericht wird sich darüber eigene Gedanken machen müssen, wenn die Parteien sich nicht doch noch vergleichen. Das aber schien zumindest während der Verhandlung unwahrscheinlich.
Strittig blieb neben der möglichen Schadenshöhe vor allem auch die Schadensdauer. Vor allem relevant: Wie ist der Zeitraum zu beurteilen, ab dem Google die Darstellung von Preisen über den Suchergebnissen infolge der Beanstandungen durch die EU-Kommission geändert hat? Dass die EU-Kommission die Änderungen nicht beanstandet habe, heiße nicht, dass keine wettbewerbswidrige Situation vorgelegen habe.
Googles Anwälte argumentierten vor Gericht unter anderem, dass die Firma die Bevorzugung eigener Dienste eingestellt habe. Idealo habe selbst auf die Möglichkeit verzichtet, am System der „Shopping Units“ genannten Boxen, die nach dem Einschreiten der Kommission an die Stelle der alten Preisvergleichsdarstellung getreten war. Das sei ein von Googles sonstigen Prozessen unabhängiger Vermarktungsplatz, auf den alle Preisvergleichsseiten seit Jahren bieten könnten. Und mehr sei europarechtlich auch nicht geboten, so die Anwälte des Konzerns.
Die eigentliche Verhandlung dauerte, nachdem im Vorhinein bereits umfangreiche Schriftsätze ausgetauscht wurden, nur wenige Stunden. Und doch dürften alle Parteien nun klarer sehen, was die Richter als klärungsbedürftig sehen und was nicht. Wie weiter verfahren wird und wann somit vielleicht auch mit einem Urteil in dem Milliardenverfahren zu rechnen ist, dazu will sich die zuständige Kammer am Landgericht Berlin II wohl noch im Laufe des Tages verhalten.
„Wie evil geht es denn?“
Tatsächlich dürfte der Fall fast schon unabhängig davon, was die Kammer um den vorsitzenden Richter am Landgericht Berlin II für Recht befindet, mindestens eine weitere Instanz beschäftigen. Sich mit einem Richterspruch abzufinden, dafür geht es für beide Parteien um viel zu viel Geld. Für Idealo-Mitgründer Albrecht von Sonntag geht es um nahezu alles. Google habe, sagt er nach der Verhandlung, geradezu perfide versucht, alle anderen Preisvergleichsanbieter in seine Infrastruktur zu zwingen. „Sind wir bescheuert und schicken unser Inventar zu unserem größten Konkurrenten?“, fragt er. „Wie evil geht es denn?“, fragt von Sonntag auf dem Gerichtsflur. Und einen weiteren Trumpf hat er noch: Das 2019 begonnene und jahrelang ausgesetzte Verfahren gegen Google ist auf die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Digital Markets Act begrenzt – weitere Ansprüche seien mit diesem überarbeiteten Wettbewerbsrecht nicht ausgeschlossen.
Immerhin: Eine Zwangsversteigerung, wie sie im Saal in der Littenstraße sonst regelmäßig stattfindet, droht dem US-Unternehmen selbst dann nicht, wenn das Gericht über Idealos Mindestschadensberechnung hinausgehen würde. Alphabet setzte 2024 weltweit 350 Milliarden US-Dollar um.
(mack)