Künstliche Intelligenz
Interview: KI-Hautscanner ersetzen keine ärztliche Untersuchung
Die Drogeriemarktkette dm erweitert ihr Angebot für Gesundheitsdienstleistungen in ausgewählten Filialen. Neben einer Blutanalyse und einem Augenscreening können Kunden mit einem KI-gestützten Hautscanner ihre Haut analysieren lassen – oder diesen Service direkt über das Smartphone nutzen. Dahinter steckt der Partner Dermanostic, der ein MDR-zertifiziertes Telemedizin-Produkt im Bereich Dermatologie anbietet. Die Auswertung soll Hinweise auf den Hautzustand liefern und ist mit Produktempfehlungen für die dm-Eigenmarken verknüpft.
Christoph Liebich ist Hautarzt und Mitglied im Berufsverband der Dermatologen.
Doch das Angebot sorgt für Kritik, insbesondere beim Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD), der kürzlich vor falschen Diagnosen und vor einer „Verkaufsmasche“ warnte. Zudem belaste das Angebot langfristig auch die dermatologischen Praxen, da verunsicherte Patienten die ohnehin ausgelasteten Praxen aufsuchen, wie das Ärzteblatt den BVDD-Präsidenten Ralph von Kiedrowski zitierte. Wir haben über das Thema und was kostenlose KI-Hautscanner leisten können, mit Dr. Christoph Liebich, niedergelassener Hautarzt in einer Münchner Praxis und Mitglied im Berufsverband der Dermatologen, gesprochen.
Welche Risiken sehen Sie für die Nutzer?
Das größte Risiko ist eine Scheinsicherheit. Wenn die KI ein Muttermal als unbedenklich einschätzt, könnte das ein beginnender Hauttumor sein. KI-Systeme sind derzeit nicht in der Lage, Hautkrebs zuverlässig zu erkennen. Solche Fälle gehören unbedingt in die Hände einer Dermatologin oder eines Dermatologen.
Kritisch wurde, dass dm solche Scanner mit Produktempfehlungen verbindet. Wie bewerten Sie das?
Da sehe ich tatsächlich ein Problem. Gesundheit wird hier mit Konsum verknüpft. Wenn nach einer KI-Analyse sofort eine Einkaufsliste kommt, hat das wenig mit seriöser Dermatologie zu tun, sondern wirkt wie ein Geschäftsmodell.
Wo sehen Sie Chancen im Einsatz künstlicher Intelligenz für die Hautdiagnostik?
KI kann bestimmte Hautveränderungen sichtbar machen und etwa Pigmenteinlagerungen, Elastizität oder UV-Schädigungen quantifizieren. Das ist spannend, weil Patientinnen und Patienten dadurch ein Bewusstsein für Hautschäden bekommen und präventiv handeln können.
Eine „eierlegende Wollmichsau“, die umfassend alle Aspekte bei der Hautanalyse berücksichtigt, habe ich noch nicht gesehen. Auf bestimmte Merkmale trainierte KIs gibt es bereits, beispielsweise für die Erkennung von Melanomen. Da gibt es bereits etablierte Systeme.
Von den Angeboten bei dm sehe ich den Nutzen im Bewusstmachen von Hautschäden, aber die Grenzen sind klar. Ich wünsche mir, dass Menschen verstehen: KI ersetzt keine ärztliche Untersuchung. Im besten Fall kann sie ein Weckruf sein – im schlechtesten Fall führt sie zu falscher Sicherheit oder unnötigen Käufen.
Manche online verfügbaren Scanner geben sogar ein „Hautalter“ an. Ist das belastbar?
Aus meiner Sicht nicht. Ein Beispiel: Eine Nonne, die ihr ganzes Leben im Kloster verbringt, kann mit 60 eine nahezu faltenfreie Haut haben, während eine 40-Jährige, die oft in der Sonne war, deutlich mehr Hautschäden zeigt. Hautalter ist deshalb kein valider Maßstab, sondern höchstens ein Marketinginstrument.
(mack)