Künstliche Intelligenz
Kameras im Betrieb: Arbeiter erhält 15.000 Euro Entschädigung für Überwachung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 28. Mai die Rechte von Beschäftigten gegenüber einer Ausspähung durch Arbeitgeber gestärkt. Die 18. Kammer entschied, dass ein Arbeitnehmer, der über fast zwei Jahre hinweg unzulässig per Video überwacht wurde, Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 15.000 Euro hat. Sie wertete die dauerhafte Überwachung der Arbeitsstätte als schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers (Az.: 18 SLa 959/24).
Der Fall betraf einen Produktionsmitarbeiter in einem Betrieb zur Herstellung von Stahlblöcken. Das beklagte Unternehmen überwachte die 15.000 Quadratmeter große Betriebshalle, das Lager, Verbindungsgänge und sogar Büroräume mit insgesamt 34 Videokameras. Sie zeichneten teilweise 24 Stunden am Tag in HD mit Zoom- und Echtzeitzugriff auf, wobei die Aufnahmen mindestens 48 Stunden gespeichert wurden.
Der Kläger arbeitete überwiegend an einer Schälmaschine. Obwohl er dort meist mit dem Rücken zur Kamera stand, wurde sein Arbeitsplatz permanent überwacht. Sobald er seinen Arbeitsplatz verließ, um etwa zu den Toiletten, dem Pausenraum oder dem Büro zu gehen, wurde er zwangsläufig auch von vorn erfasst.
Die Erholungs- und Sanitärräume selbst waren zwar nicht überwacht. Doch über die Kameras konnte kontrolliert werden, wann und wie lange der Arbeitnehmer sich auf dem Weg dorthin befand. Die beklagte Überwachung erstreckte sich über einen Zeitraum von 22 Monaten (Januar 2023 bis Oktober 2024).
Pausenzeiten abgefragt
Die Firma rechtfertigte die einschneidende Maßnahme mit dem Schutz vor Diebstahl und Vandalismus sowie der Arbeitssicherheit. Als weitere Gründe nannte sie das Nachverfolgen von Maschinenausfällen und der korrekten Materialverladung. Der Kläger hingegen litt nach eigenen Angaben unter einem erheblichen Leistungs- und Anpassungsdruck. Er fühlte sich permanent beobachtet und berichtete, der Geschäftsführer habe Mitarbeiter auch unerwartet angerufen und zu ihren Pausenzeiten befragt.
Das LAG Hamm bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dem Arbeitsgericht Dortmund, wonach die Videoüberwachung rechtswidrig war. Im Rahmen der Maßnahme werden laut dem Urteil personenbezogene Daten verarbeitet, sodass sie daher den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) genügen müsse.
Die im Arbeitsvertrag enthaltene allgemeine Klausel zur Datenverarbeitung sahen die Richter als unwirksam an, da die erforderliche Freiwilligkeit der Einwilligung bei Abschluss eines solchen Dokuments fehlt. Auch die nötige Belehrung über das Widerrufsrecht sei nicht erfolgt. Die Überwachung war laut dem Urteil unverhältnismäßig und konnte nicht durch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden.
„Live-Überwachung“ und extremer Druck
Die pauschal behaupteten Diebstahl- und Manipulationsgefahren habe das Unternehmen nicht ausreichend konkretisiert, moniert das LAG. Für viele Zwecke, wie den Diebstahlschutz von außen, wäre die Überwachung des externen Bereichs ein milderes Mittel gewesen. Zudem sei die Kontrolle der gesamten Halle inklusive des Arbeitsplatzes des Klägers zum Verfolgen von Maschinenausfällen oder zur Dokumentation der Verladung nicht erforderlich gewesen. Die Richter hielten auch fest, dass die Beklagte die Maßnahme vorsätzlich durchführte.
Der Anspruch auf finanzielle Entschädigung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) setzt einen schweren, rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in das Persönlichkeitsrecht voraus. Das LAG Hamm sah einen solchen gegeben – nicht nur aufgrund der Dauer der Rund-um-die-Uhr-Beschattung.
Die eingesetzte HD-Technik habe eine „Live-Überwachung“ und das Beobachten von Gesichtern und Mimik erlaubt und sei daher sehr invasiv gewesen. Zudem sei ein „extrem hoher Anpassungsdruck“ erzeugt worden, da die Arbeitnehmer zu jedem Zeitpunkt mit der Beobachtung rechnen mussten. Die Beklagte habe die unverhältnismäßige Ausspähung auch unverändert fortgeführt, obwohl der Kläger die Unerwünschtheit und Rechtswidrigkeit mit anwaltlichem Schreiben rügte.
Die vergleichsweise hohe Summe von 15.000 Euro halten die Richter für angemessen, da sie eine Genugtuungsfunktion für den Kläger erfüllen und die Firma von künftigen Verletzungen abbringen soll. Die ursprüngliche Unterlassungsklage wies das LAG dagegen ab, da das Arbeitsverhältnis der Parteien zwischenzeitlich beendet sei und somit keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Rechtsmittel gegen das Urteil hat die Kammer nicht zugelassen. Mit einer potenziellen Beschwerde darüber müsste sich das Bundesarbeitsgericht beschäftigen.
(wpl)