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Kommentar: Droht der EU eine Flut von Pick-ups? Eher nicht.


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It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Der aktuelle US-Präsident hat schon des Öfteren sein Unverständnis und Missfallen darüber ausgedrückt, dass auf europäischen Straßen so wenige US-Fahrzeuge unterwegs sind. Umgedreht, so kritisiert er, würden auf US-amerikanischen Straßen viele Autos aus Europa fahren. Unter anderem dies zu ändern war Ziel seiner Zollpolitik, die man zweifellos aggressiv nennen darf. Mit einer Vereinbarung zwischen der Trump-Administration und der EU-Kommission fallen für Autos, die in die USA exportiert werden, 15 Prozent Zoll an. Für Autos, die die USA in die EU einführen, liegt der Zoll bei Null. Zugleich gelten nun die bestehenden Zulassungsregeln der USA auch in der EU – und umgedreht. Das erleichtert gerade für amerikanische Hersteller den Zugang auf den europäischen Markt. Droht jetzt eine Schwemme an amerikanischen Riesen auf europäischen Straßen? Das ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.

Zunächst aber muss mit einem Mythos aufgeräumt werden, nämlich dem der europäischen Hersteller, die den US-amerikanischen Markt fluten. Mercedes, BMW und Volkswagen bauen seit geraumer Zeit Autos für den US-Markt vor Ort, also in den USA. Die Hersteller sicherten sich gegen ein Szenario ab, wie es der US-Präsident inzwischen tatsächlich entfesselt hat. Auch deshalb sind manch lautstark vorgetragene Klagen der Autoindustrie mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Etwas anders gestaltet sich das aus Sicht der US-amerikanischen Autohersteller: deren Produktionsstandorte in Europa sind selten. Von einer zollfreien Einfuhr nach Europa profitieren sie also stark.

Dass Autos der drei großen US-Hersteller auf dem europäischen Markt bislang aber eher die Ausnahme waren, hatte seine Ursache nicht allein in unterschiedlichen Zulassungsvorschriften. In Europa zum Beispiel spielt der Schutz von Fußgängern bei einem Unfall eine ungleich höhere Rolle als in den USA. Die EU-Vorschriften sind viel strenger. Mit dem Handelsabkommen droht hier eine Aufweichung. Was in den USA zugelassen ist, soll künftig automatisch auch in der EU gelten – und umgedreht. Mit dieser Regelung entfällt für die Hersteller eine Menge teurer Bürokratie durch unterschiedliche Zulassungsverfahren, werben die Befürworter.

Wenn also US-Autos künftig einfacher und billiger exportiert in die EU eingeführt werden, so befürchten es Kritiker, drohe der EU eine Flut von überdimensionierter, unterregulierter US-Pick-up-Trucks und SUVs. Davor warnt unter anderem Antonio Avenoso, Geschäftsführer des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC. Auch die Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) sieht die Gefahr, dass aus dem Nischengeschäft riesiger US-Autos ein Massenmarkt werden könnte.

Zumindest vorerst stehen die Chancen dafür äußerst schlecht, und das hat einige Gründe. Zunächst einmal haben durchschnittliche US-Kunden eine ganz andere Vorstellung vom idealen Auto als die meisten europäischen Kunden. Viele Modelle messen dort deutlich mehr als fünf Meter, bei uns spielt sich das Kerngeschäft mit weit kleineren Autos ab. Pick-ups sind drüben sehr beliebt, hierzulande kaum gefragt. Die Verarbeitung und Auskleidung der Innenräume sind meist eher hemdsärmelig, wobei sich deutsche Hersteller diesbezüglich in den vergangenen Jahren diese einstige Kernkompetenz aus der Hand nehmen ließen.

Gegen einen massenhaften Einbruch von typischen US-Bestsellern spricht aber vor allem der übliche Verbrauch. In den USA kostet eine Gallone Sprit, also 3,78 Liter, je nach Bundesstaat aktuell etwa zwischen 3 und 4,5 US-Dollar. Das sind rund 75 Prozent mehr als noch 2019, im Vergleich zu Europa aber noch immer ziemlich günstig. Deswegen spielt der Verbrauch bei einer Kaufentscheidung jenseits des Atlantiks eine andere Rolle als diesseits. Es mag Autonutzer geben, die bei Verbrauchswerten von, sagen wir, mal 12 Litern plus X, nur die Schultern zucken. Die Mehrheit der Autofahrer aber dürfte es schon tangieren, ob sie für 100 Kilometer 10 oder 20 Euro in Fahrenergie investieren müssen.

Natürlich sind nicht alle US-Autos hemmungslose Säufer, doch die angesprochenen riesigen Pick-ups und voluminösen SUVs sind mit fünf bis sieben Liter Sprit kaum zu bewegen – jedenfalls nicht 100 Kilometer weit. Hinzukommt, dass der Spritpreis für die meisten europäischen Autofahrer künftig eine noch gewichtigere Rolle in der Kalkulation einnehmen wird. Ab 2027 tritt das Emissions Trading System 2 (ETS 2) in Kraft, was zwei wesentliche Veränderungen bringt. CO₂-Zertifikate werden dann nicht mehr national vergeben, sondern am europäischen Markt gehandelt. Experten gehen davon aus, dass der CO₂-Preis in den kommenden zehn Jahren stetig steigen wird. Den Preis entrichten die Mineralölunternehmen, die das selbstverständlich auf den Spritpreis aufschlagen werden. Benzin und Diesel werden damit ab 2027 Schritt für Schritt signifikant teurer.

Es ist also keine allzu gewagte These, dass zwar mit einer prozentual steigenden Zahl von Pick-ups und SUVs beträchtlicher Größe zu rechnen ist, keineswegs aber mit einer Flut oder gar einem relevanten Zulassungsanteil. Der durchschnittliche Autogeschmack von amerikanischen und europäischen Käufern unterscheidet sich enorm. Schon deshalb rechne ich nicht damit, dass deutsche Innenstädte bald massenhaft von Autos befüllt werden, deren Abmessungen viele Autofahrer hier eher als hinderlich empfinden dürften.


(mfz)



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