Künstliche Intelligenz
Kommentar zum Jugendschutz: There is no app for that!
Alle Eltern wissen es: Kaum etwas reizt jugendliche Kreativität mehr, als ein Verbot auszusprechen. Der Süßigkeitenschrank ist abgeschlossen? Kein Problem, auf YouTube weisen hunderte Lockpicking-Tutorials den Weg. Die Porno-Website hat eine Ü-18-Prüfung vorgeschaltet? Na, es gibt doch VPN-Anbieter, die ihren Service anonym und gegen Barzahlung freischalten. Meistens allerdings bekommen die Eltern zu spät oder nie etwas von diesem Einfallsreichtum mit, denn natürlich behalten Kinder es lieber für sich, wenn sie gegen Regeln verstoßen.
Holger Bleich schreibt seit 1999 für c’t und heise online. Den Schwerpunkt bilden Technik-Themen wie Internet-Protokolle und Webhosting. Aus seinem Studium hat sich der diplomierte Politikwissenschaftler sein Interesse für juristische und kulturelle Aspekte der Netznutzung sowie für Netzpolitik erhalten.
Nur eines ist für den Jugendschutz noch schädlicher als gar kein Verbot, nämlich ein löchrig umgesetztes Verbot. Seit langen Jahren lautet die Antwort der Politik auf jugendgefährdende Inhalte im Netz dennoch: Keine Sorge, liebe Eltern, wir kümmern uns mit technischen Lösungen um dieses gesellschaftliche Problem. Ganz nach dem Motto der Apple-Reklame aus den 10er Jahren: „There’s An App For That!“ Gerade lässt sich wieder ein wahres Feuerwerk an symbolpolitischen Forderungen beobachten, deren Kern sich auf Apples Claim reduzieren lässt.
Dabei hat noch keine Jugendschutzbarriere für Onlinedienste wirklich funktioniert. Die gesetzlich verordneten Altersschranken für Porno-Websites in Frankreich und Großbritannien belegen allenfalls, wie leicht sie sich mit etwas Einfallsreichtum umgehen lassen. Davon unbeeindruckt behauptet die EU-Kommission nun, mit ihrer App zur Altersverifikation im Web allen Mitgliedsstaaten die eine tolle Lösung anbieten zu können. Social-Media-Verbote für Kinder können kommen, denn: „There’s an app for that“.
Viele Eltern werden es praktisch finden, sie müssen sich nicht mehr um das kümmern, was die Schutzbefohlenen mit ihrem Smartphone den ganzen Tag so treiben. Bis sie selbst ständig auf Barrieren im Web treffen und die App zücken müssen. Denn was viele nicht bedenken: Jugendschutz am Einlass heißt Ausweiskontrolle für alle! Spätestens dann könnten die Erwachsenen von den Smartphonefertigkeiten ihrer Kinder profitieren, um nämlich von ihnen zu lernen, wie man diese nervigen Jugendschutz-Banner umgehen kann.
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(hob)