Künstliche Intelligenz

Milliarden-Grab oder Effizienz-Wunder? Der steinige Weg zur EU-Interoperabilität


Ein Jahr nach dem Start der Verordnung für ein interoperables Europa präsentiert die EU-Kommission ihren ersten Sachstandsbericht zu deren Umsetzung wie gewohnt optimistisch. Das Fundament für ein nahtlos vernetztes digitales Europa sei gelegt, heißt es aus Brüssel. Tatsächlich ist es der Regierungsinstitution laut dem Report gelungen, innerhalb kurzer Zeit einen beachtlichen Verwaltungsunterbau hochzuziehen: Ein Beirat wurde gegründet, nationale Behörden sind benannt, ein zentrales Portal für Interoperabilitätslösungen ist freigeschaltet.

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Doch hinter den Erfolgsmeldungen über 100.000 monatliche Seitenaufrufe auf dieser neuen Plattform und fast 13.000 Anmeldungen bei der hauseigenen Akademie für Interoperabilität verbirgt sich die Frage, wie viel echte Veränderung bisher in den zehntausenden Bürgerämtern in der ganzen EU vor Ort angekommen ist.

Die Herausforderungen sind immens. Zwar pendeln täglich zwei Millionen Menschen zwischen den Mitgliedstaaten, doch die digitalen Verwaltungen der EU-Länder sprechen oft immer noch nicht dieselbe Sprache. Das von der EU vorgegebene Ziel der digitalen Dekade, bis 2030 alle wichtigen öffentlichen Dienste zu 100 Prozent online anzubieten, ist ambitioniert. Die Kommission sieht in der Verordnung den entscheidenden Hebel, um durch Effizienzsteigerungen 5 Milliarden Euro pro Jahr einzusparen.

Der Weg dorthin führt aktuell über mehr Regulierung: Seit dem 12. Januar 2025 sind Interoperabilitätsbewertungen für neue oder wesentlich geänderte digitale Dienste verpflichtend. Ob dieses neue Instrument tatsächlich die Effizienz steigert oder nur als zusätzlicher „Digitalcheck“ den legislativen Prozess verlangsamt, ist dem Report nicht direkt zu entnehmen. Die Kommission hat zwar bereits 32 solcher Bewertungen abgeschlossen. Der Aufwand ist jedoch beachtlich. Um die Bürokratie-Last zu bändigen, wird bereits am KI-Werkzeug AI4DRPM gebastelt, das die Erstellung dieser Compliance-Berichte teilautomatisieren soll.

Ein Blick auf die Details zeigt, dass viele der gelobten Fortschritte derzeit noch in der Pilotphase stecken. Die „Agenda für ein interoperables Europa“, die eigentlich langfristig die Richtung vorgeben soll, dürfte erst 2026 förmlich verabschiedet werden. Auch die sogenannten Reallabore, in denen innovative GovTech-Lösungen mit Startups sowie kleinen und mittleren Unternehmen unter kontrollierten Bedingungen getestet werden sollen, erhielten erst im Juli ihre rechtliche Grundlage.

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Bisher stützt sich der Bericht stark auf bewährte Beispiele aus der Praxis. Diese sollen zeigen, was technisch möglich ist. Sie existierten teilweise aber schon lange vor dem Greifen der neuen Verordnung. So verweist die Kommission etwa auf Estland: Der baltische Staat dient mit seinem nationalen Interoperabilitätsrahmen und seines weltweit ersten „Datenkonsulats“ in Luxemburg als Vorbild für digitale Resilienz.

Die Brüsseler Exekutivinstanz stellt ferner auf Emrex ab. Das ist ein System zum gesicherten Austausch von Studierendendaten. Es erleichtert aber schon seit 2015 die Mobilität von Studierenden in Ländern wie Finnland, den Niederlanden und zunehmend auch Deutschland. Ein weiterer „Leuchtturm“ der Kommission ist Polen: Dort wurde ein Einführungskurs der EU-Akademie in die nationale Plattform integriert, um über 400 Beamte in EU-konformen Interoperabilitätsstandards zu schulen.

Als bevölkerungsreichster Mitgliedstaat ist Deutschland dem Report zufolge zentral im „Interoperable Europe Board“ – einem Kontrollgremium zur Umsetzung der Vorgaben – vertreten. Die Bundesrepublik habe aktiv am Aufstellen von Leitlinien mitgewirkt, um nationale Besonderheiten wie den hiesigen Föderalismus zu berücksichtigen. Das Ausrollen von Interoperabilitätsbewertungen auf Länder- und Kommunalebene stelle aber noch eine der großen operativen Hürden dar. Deutschland wird auch als Vorreiter genannt, der verstärkt auf Open Source im Bereich E-Government setzt. Das steht im Einklang mit den Zielen der Verordnung, die Abhängigkeit von IT-Monopolen zu verringern.

Das neue Portal für ein interoperables Europa verzeichnete bis Juli 2025 immerhin 670 aktive Lösungen. Auffällig ist indes: Über 58 Prozent davon stammen von der EU-Ebene selbst. Hauptakteur ist die Generaldirektion Digit der Kommission. Der Beitrag aus den Mitgliedstaaten und von öffentlichen Stellen bleibt mit 34,5 Prozent deutlich dahinter. Um das zu ändern, legten die Verantwortlichen im Mai 2025 ein offizielles Verfahren für das Label „Lösung für ein interoperables Europa“ fest. Es soll hochwertige Entwicklungen besser sichtbar machen.

Die kommenden Jahre werden zum Lackmustest für das Prestigevorhaben. Damit das interoperable Europa nicht als Papiertiger endet, müsse der Fokus nun weg von der Gremienarbeit hin zur flächendeckenden Implementierung wandern, weiß auch die Kommission. Sie will daher Interoperabilität tiefer in andere Gesetze wie die KI-Verordnung oder den Data Act einbetten. Doch ohne echtes politisches Engagement in den Hauptstädten und massive Investitionen in die technische Basis wird die versprochene digitale Souveränität kaum zu erreichen sein.

Der von der Kommission angekündigte Ausbau der Interoperabilitäts-Akademie, die bis Ende 2025 zwölf neue Kurse – teils in allen 24 Amtssprachen – anbieten will, ist ein Anfang. Am Ende zählen aber nicht die ausgestellten Zertifikate, sondern ob ein Umzug von Berlin nach Brüssel oder Warschau für den Bürger digital so reibungslos funktioniert wie ein Klick im Online-Shop.


(kbe)



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