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Nachhaltigkeitskommunikation: Droht mit dem Aus der Green Claims-Richtlinie eine Greenwashing-Welle?


Wenn Unternehmen ohne Grundlage das Blaue vom Himmel und das Grüne in ihren Produkten versprechen, dann ist das Greenwashing. Auch ohne Green Claims-Richtlinie.

Die Green Claims-Richtlinie war das wohl ambitionierteste Anti-Greenwashing-Projekt der EU. Gut möglich, dass es begraben wird. Und nun?

So etwas hat er noch nie erlebt. Und Sandro Gozi hat schon viel erlebt während seiner jahrzehntelangen Laufbahn als EU-Politiker. Wenige Stunden vor der dritten und vermutlich letzten Trilog-Verhandlung zur Green Claims-Richtlinie wurde dieses Treffen überraschend abgesagt. Die Kommission kündigte an, die Richtlinie einzukassieren, wenn kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht von ihr ausgenommen würden. „Dabei hat Kommission während des Gesetzgebungsverfahrens kein Vetorecht“, betont Gozi, sie sei verpflichtet, unparteiisch und unabhängig zu bleiben.

Umso größer war die Überraschung über diese plötzliche Kehrtwende bei denen, die nicht ganz so nah dran sind am politischen Geschehen in Brüssel. So wie bei Katrin Schmuck, Head of Corporate Sustainability bei Olymp. „Als Teil des Green Deals, den die Kommission bis zuletzt vehement vertreten hatte, galt die Richtlinie schließlich als ein Schlüsselelement für mehr Verbraucherschutz und klare Nachhaltigkeitsregeln.“ Olymp habe sich schon seit geraumer Zeit mit den neuen Anforderungen an Nachhaltigkeitskommunikation auseinandergesetzt und setze diese allmählich um.

Noch ist offen, ob und wie es mit dieser Richtlinie weitergeht, die als ambitioniertes Projekt der EU zur Bekämpfung von Greenwashing gilt. Die Bandbreite der Reaktionen darüber reicht von Erleichterung über den möglichen Wegfall „überbordernden Regulierungswahnsinns“ bis zur Sorge darüber, dass nun ein vermeintlicher Freifahrschein zu einem unkontrollierten Greenwashing-Boom führen könnte.

Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. „Wer aber glaubt, dass mit dem möglichen Wegfall der Richtlinie Greenwashing erlaubt sei, liegt falsch“, wie Reiner Münker betont. Münker ist Chef der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und einer von denen, die ganz genau hinschauen, wenn Unternehmen das Blaue vom Himmel oder das Grüne in ihren Produkten versprechen. Zum Beispiel „klimaneutrale“ Produkte. Eine Klage der Wettbewerbszentrale führte zum bekannten Katjes-Urteil, mit dem der BGH dem Süßwarenhersteller untersagte, seine Produkte in der Werbung als „klimaneutral“ zu bezeichnen.

Fairer Wettbewerb statt Verbote

„Wir sind nicht die Umwelthilfe“, sagt Münker, dem es um Transparenz und fairen Wettbewerb geht. Nicht um Verbote. Mit der Green Claims-Richtlinie wurde er deswegen nie richtig warm. „Wir haben schon 2023 eine kritische Stellungnahme zu der geplanten Richtlinie an die EU-Kommission übermittelt“, so Münker. Die Ziele seien richtig, doch es habe sich von Beginn an die Frage nach der Erforderlichkeit dieser Regelungen gestellt. „Wir sind vor allem kritisch, was den Paradigmenwechsel angeht zu einem Verbot von Umweltaussagen, die nicht vorab zertifiziert sind.“ Dabei könnten schon die bestehenden Regeln vor Greenwashing schützen, betont Münker. Etwa die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie), die schon heute irreführende und intransparente Umweltaussagen untersagt.

Und auch aus Europa kommen mit der Empowering Consumers-Richtlinie, kurz: EmpCo, neue Vorschriften zum Werben mit Umweltaussagen. Unabhängig von der Zukunft der Green Claims. Denn die EmpCo ist beschlossene Sache, muss bis September 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie wird besagte UGP-Richtlinie verschärfen sowie die bestehende Verbraucherrechte-Richtlinie.

Dass über dieser Verordnung dennoch so viel weniger gesprochen wird, könnte einen ganz profanen Grund haben. „Meine persönliche Hypothese ist, dass die größere öffentliche Wahrnehmung der Green Claims-Richtlinie vor allem mit dem prägnanteren Namen zu tun hat“, sagt Meike Gebhard, promovierte Umweltökonomin und Expertin für Nachhaltigkeitskommunikation und nachhaltigen Konsum. Seit 2008 ist sie zudem Geschäftsführerin bei Utopia, einer der führenden Nachhaltigkeits-Plattformen hierzulande. „Bei der Green Claims-Directive ist der Name Programm“, so Gebhard. „Die EmpCo, zu deutsch: ‚Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen’, hat einen deutlich sperrigeren Namen, der stärker den Aspekt des Verbraucherschutzes in den Fokus rückt und nicht die Claims selbst.“

EmpCo unterbindet Greenwashing

Beide Richtlinien eine das Ziel, Verbrauchern nachhaltige Kaufentscheidungen zu erleichtern und Greenwashing zu unterbinden. „Aber sie setzen an unterschiedlichen Stellen an. Die EmpCo will Verbraucher vor irreführender Werbung mit Umweltversprechen schützen und untersagt deshalb alle allgemeinen, unspezifischen Umweltversprechen und selbstkreierte Nachhaltigkeits-Label. Sie will erreichen, dass diese Claims konkreter und substanzieller werden“, erklärt Gebhard.

Was steht wo?

Green Claims-Richtlinie
Kern: Vorab-Prüfung jedes Claims durch akkreditierte Zertifizierer

Weiterer Zeitplan: unklar

EmpCo-Richtlinie

Kern: Verbot allgemeiner, unspezifischer Umweltversprechen und selbstkreierter Nachhaltigkeitslabels

Weiterer Zeitplan: Die Richtlinie ist am 26. März 2024 in Kraft getreten. Die Umsetzung in den Mitgliedstaaten muss bis zum 27. März 2026 erfolgen und wird ab dem 27. September 2026 Anwendung finden.

Die Green Claims Directive lege den Fokus auf auf deren Belegbarkeit und verlangt, dass alle Umweltversprechen auf Basis anerkannter wissenschaftlicher Standards belegt und unabhängig überprüft werden. „Insofern kann die EmpCo nicht leisten, was die Green Claims-Directive verspricht. Aber sie kann sie ganz wesentlich dazu beitragen, dass Greenwashing unterbunden wird“, sagt Gebhard.

Katrin Schmuck steht dem Brüsseler Hickhack um die Green Claims recht gelassen gegenüber. „Wir bei Olymp sind schon immer und auch nach wie vor der Überzeugung, dass die Unternehmenskommunikation ehrlichen, fairen und moralisch einwandfreien Grundsätzen folgen muss. Daher halten wir es auch für richtig, dass Unternehmen dazu verpflichtet werden, Umweltaussagen nur dann zu tätigen, wenn diese wahrheitsgemäß und belegbar sind. Die Debatten über eine Abschwächung oder gar Abschaffung der Direktive senden aber kein positives Signal an jene Unternehmen, die heute schon alles dafür tun, ihrer unternehmerischen Verantwortung bestmöglich gerecht zu werden.“

Da der Verwaltungsaufwand für Zertifizierungen und Mitgliedschaften als Basis für valide Nachhaltigkeitsaussagen teilweise sehr hoch sei, begrüßt sie faire Bedingungen für alle. „Aber wir setzen darauf, dass sich die Kunden, ähnlich wie bei den Lebensmitteln, stärker über Produktionsbedingungen informieren und ihre Kaufentscheidung entsprechend tätigen werden.“

Dieser Text erschien zuerst beim HORIZONT-Schwestertitel www.textilwirtschaft.de.



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