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Nachrichtendienstechefs: „Stehen schon heute im Feuer“


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Martin Jäger ist als neuer Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) erst seit wenigen Tagen im Amt und schon eine Hauptfigur der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste (PKGr) des Bundestages am Montag in Berlin. Jäger kennt viele Facetten der Politik, war zuletzt Botschafter in der Ukraine. Nun soll er den Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik in einer Zeit führen, die vor allem durch das Vorgehen Russlands geprägt ist. Dass es kein Krieg, aber auch kein echter Frieden mehr sei, beschreibt er daher so: „Wir stehen schon heute im Feuer.“

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Der Dienst, der für die Bundesrepublik Deutschland die Lizenz zum Kundschaften und Abhören im Ausland, aber nicht zum Töten hat, muss sich dabei aber an Recht und Gesetz halten. Und das – siehe NSA-Affäre – gelang in der Vergangenheit längst nicht immer so, wie es seine Auftraggeber aus Bundesregierung und Parlament gerne gesehen hätten. Genau diese Fragen kommen nun wieder auf den Tisch. Denn der BND, immerhin der Nachrichtendienst des größten EU-Staates, sieht dringenden Überarbeitungsbedarf bei seinen Handlungsmöglichkeiten. Schon die Ampelkoalition wollte das Nachrichtendienstrecht weiter reformieren.

Auch Sinan Selen hätte gerne mehr Befugnisse, wie er an diesem Montagmorgen im Bundestag vorträgt. Der bisherige Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hat jahrelange Erfahrung – unter anderem mit der Zuständigkeit für Spionageabwehr, Extremismus und Cyberthemen beim Kölner Inlandsdienst. Das Bild der Realität, das er zeichnet, ist in Teilen durchaus düster: „Buchstäblich überschreitet Russland brandgefährliche Grenzen“, schildert er mit Blick auf die Brandsätze in Luftfracht. Und sagt: „Es passiert, wir können es sehen und wir dürfen es nicht zulassen.“

Die Gemengelage, in der die deutschen Nachrichtendienste agieren, ist kompliziert. Auf der einen Seite, das aber ist in der öffentlichen Anhörung im Bundestag kein Thema, steht die Frage im Raum, wie verlässlich die Partnerdienste in den USA unter ihrer neuen Führung bleiben können und sollen. Auf der anderen Seite stehen Russlands Aktionen. Wenn Deutschland eine Kampfbrigade der Bundeswehr dauerhaft nach Litauen verlegt, dann muss neben dem BND auch der Militärische Abschirmdienst mögliche Gefahren identifizieren und möglichst unterbinden – er ist eine Art Verfassungsschutz für die Bundeswehr. Dessen Präsidentin Martina Rosenberg beschreibt eine ganze Palette an Herausforderungen, vor denen das deutsche Militär steht: Sabotageakte, Desinformationskampagnen, Drohnenüberflüge über militärische Liegenschaften. Das alles verursache in Europa Unsicherheit, sagt die Präsidentin des MAD. Auch Cyberangriffe auf militärische Netzwerke sehe man immer wieder, die das Ziel hätten, die Einsatzfähigkeit zu beeinträchtigen.

Die Abgeordneten des Kontrollgremiums von CDU, CSU, SPD und Grünen – bislang hat das Parlament keine Linken- und AfD-Vertreter in das Gremium gewählt – nutzten die Befragung auch dafür, die Meinungen der Präsidenten zur geplanten weiteren Reform des Rechts der Nachrichtendienste öffentlich zu erforschen. Und da gibt es eine ganze Vielzahl an Begehrlichkeiten.

Während die Zuständigkeiten der Dienste untereinander relativ klar abgegrenzt sind, beklagen alle drei an diesem Morgen, welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen würden – auch, weil ihre Gegenüber sich eben nicht an Regeln halten oder diese gar gezielt umgehen würden. „Russland hat den Kalten Krieg nicht vergessen“, konstatiert BfV-Präsident Sinan Selen, und folgert: „Die Instrumente, die damals zur Anwendung kamen, sind weiterhin vorhanden und werden auch weiterhin genutzt.“ Das schließe alle Varianten von Einflussnahme ein, etwa auch im kriminellen Milieu, was sich bei Cyberangriffen bereits zeige.

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Aber auch andere Akteure wie etwa Extremisten würden alle Grenzen überschreiten – und dabei käme ihnen die Technologie auch noch zuhilfe. Menschen, die in einem „sehr fluiden Meinungsbildungsprozess“ seien, oft seien das junge Menschen, würden mit „diesen Narrativen geradezu beschossen“, schildert Selen. Die für Werbeertragsmaximierung genutzten Algorithmen würden zu Radikalisierungsprozessen in wenigen Wochen bis Monaten vom Erstkontakt bis zum Tatentschluss führen.

Immer jüngere Menschen würden angesprochen – von Extremisten, aber auch fremden Mächten. Eine Schlussfolgerung des Verfassungsschutzpräsidenten: Es brauche andere Rechtsvorschriften. Zum einen, was die Auskunftspflichten von Anbietern angehe, wo es um Geschwindigkeit und Antwortverhalten gehe, was notfalls auch erzwungen werden müssen könne. Zum anderen aber auch, um Plattformbetreiber zum Unterdrücken radikalisierender Inhalte notfalls zwingen zu können. Auch bei Desinformation spielten die eine zentrale Rolle. „Wir versuchen in einem frühem Stadium mit Plattformprovidern eine Weiterverbreitung zu unterbinden, wenn wir staatliche Einflussnahme attribuieren können“, schildert Selen – das verstoße nämlich im Regelfall auch gegen deren AGB.

Vor allem die Schnittstellen zu anderen Diensten sind aus Sicht der Dienste ein Problem. Der BND sieht sein Angebot im Partnerkreis für nicht relevant genug an: „Das ist kein diplomatischer Sitzkreis, sondern etwas, das auf Gegenseitigkeit beruht. Sie bekommen Informationen, weil sie Informationen weitergeben können“, sagte BND-Präsident Martin Jäger. Der BND müsse deshalb mehr wertige Informationen generieren können. Ähnlich argumentierte grundsätzlich auch BfV-Präsident Sinan Selen. Unterschiedliche Rechtsrahmen zwischen europäischen Partnern würden bislang öfter eine Hürde darstellen, sowohl bei Daten als auch beim operativen Zusammenwirken, etwa bei Cyberabwehr-Themen.

„Wir haben enorm viele Daten“, schilderte Martin Jäger in der Sitzung. „Was wir jetzt tun: die Daten aus zahlreichen Beschaffungsarten in einen Pool zu tun und sie dann mit KI-Modellen entsprechend auszuwerten. Und das ist schon begonnen worden.“ Allerdings nur testweise, der Regelbetrieb müsse vom Kanzleramt als Aufsicht noch genehmigt werden. Dass sich mit KI Personal bei den Diensten einsparen ließe, da winkten sowohl Selen als auch Jäger sofort ab – es verändere nur das Anforderungsprofil.

Jäger hofft aber auf deutlich verbesserte Erkenntnisse, wenn eigene Daten aus der menschlichen und der technischen Aufklärung mit der von Dritten gemeinsam analysiert werden können: „Das macht aber natürlich nur Sinn, wenn wir diese Daten auch für eine Zeit vorhalten können. Gerade die Daten, die wir von Partnern bekommen, denn wir wissen gar nicht, welche Gold-Nuggets in unseren Daten enthalten sind, wenn wir nicht die technischen Möglichkeiten haben.“ Die Zusammenführung strukturierter und unstrukturierter Daten sei Voraussetzung für Gesamtbild, erläuterte BfV-Chef Sinan Selen die Inlandsnachrichtendienstperspektive. Oft ermögliche erst eine retrograde Betrachtung das Erkennen von Netzwerkstrukturen – also die Analyse älterer Daten. Hier sehen beide auch rechtlich Handlungsbedarf. Wann die CDU-, CSU- und SPD-Bundesregierung ihre Pläne vorlegt, ist noch offen.

Bei der Nutzung großer Datensammlungen stoßen BND, BfV und MAD allerdings auf ein anderes Hindernis: Von AWS, Azure und ähnlichen Cloudanbietern und den marktüblichen KI-Clouddienstleistern müssen in vielen Fällen Abstand halten, auch wenn diese genutzt würden, wo es möglich sei. Er könne nur empfehlen, dass die eigenen, europäischen Möglichkeiten ausgebaut werden sollten. „Diese Diskussion beobachten wir auch bei anderen europäischen Partnern“, erklärte Selen.

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(nie)



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