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Oberlandesgericht: Video-Plattform darf Nutzer nicht einfach komplett sperren


Blockiert der Betreiber einer Social-Media-Plattform wie YouTube, Vimeo, TikTok oder Instagram mit Fokus auf Videos aufgrund von Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen einen Kanal, so stellt die bloße Weiternutzung eines anderen, bereits bestehenden „Sendeplatzes“ durch den Betroffenen keine „Umgehung“ der Sanktion dar. Eine Sperrung sämtlicher Kanäle ist nicht gerechtfertigt. Mit dieser Entscheidung gab das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) einem Influencer Recht, der sich mithilfe einer einstweiligen Verfügung erfolgreich gegen die Sperrung mehrerer seiner Kanäle auf einer Video-Hosting- und Kommunikationsplattform wehrte.

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Die Auseinandersetzung begann im November 2024 mit der dauerhaften Sperrung von drei Kanälen des Klägers wegen angeblicher Verstöße gegen die Richtlinien zu Spam, irreführenden Praktiken und Betrug. Nach dieser Maßnahme erhielt der Influencer die Mitteilung, dass ihm die Plattform den Zugang entziehe und er keinerlei andere dortigen Verbreitungsmöglichkeiten mehr nutzen, besitzen oder erstellen dürfe.

Als der Kläger daraufhin drei bereits bestehende Kanäle weiter mit Inhalten bespielte, sperrte der Betreiber diese Anfang 2025 ebenfalls. Er rechtfertigte das mit dem Vorwurf, der Kläger habe die vorangegangene Sanktion umgangen, was eine schwerwiegende Verletzung der Nutzervereinbarung und damit eine fristlose Kündigung begründe. Das Landgericht Schweinfurt hatte diesen Standpunkt in erster Instanz noch bestätigt, da es die Weiternutzung als Umgehung wertete.

Das OLG Bamberg hob das erstinstanzliche Urteil auf und bewertete die Sperrungen der im Januar betroffenen Kanäle mit dem jetzt veröffentlichten Beschluss von Ende Juli als vertragswidrig (Az.: 4 U 62/25 e). Die zentrale juristische Frage war die Auslegung des Begriffs der „Umgehung“ in den Nutzungsbedingungen. Die Bamberger Richter stellten klar, dass bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) stets das Gebot der kundenfreundlichsten Interpretation nach Paragraf 305c BGB zur Anwendung kommen müsse.

Aus Sicht eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Nutzers könne die „Umgehung“ nur als die willentliche Fortsetzung der ursprünglich beanstandeten vertragswidrigen Nutzung auf einem anderen Kanal verstanden werden, betont das OLG. Die bloße Weiternutzung von Verbreitungsmitteln, deren Inhalte nicht ihrerseits gegen die Richtlinien verstießen, stelle demnach kein Aushebeln der Sanktion im Sinne der Verträge dar. Auch die pauschale Mitteilung der Plattform, dass der Nutzer keine weiteren Kanäle nutzen dürfe, entbehre einer vertraglichen Grundlage und könne nicht als konkludente Kündigung des gesamten Nutzungsvertrages ausgelegt werden.

Die Plattform habe ihre Pflichten aus dem fortbestehenden Nutzungsvertrag verletzt, erläutern die Richter. Daher bestehe ein Anspruch des Klägers auf Freischaltung der Kanäle und auf Unterlassung einer erneuten Blockade, sofern eine solche erneut auf dem unbegründeten Vorwurf der Umgehung basiere.

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Die zweite Instanz bejahte ferner den für das Eilverfahren notwendigen Verfügungsgrund. Die Freischaltung stelle eine sogenannte Leistungsverfügung dar, die nur bei Glaubhaftmachung einer existenziellen Notlage oder Zwangslage erlassen werden dürfe. Der Kläger habe dargelegt und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er seinen Lebensunterhalt mit den Werbeeinnahmen der Kanäle bestreite und Mitarbeiter bezahlen müsse. Der unwiederbringliche Verlust von Einnahmen, Followern und Reichweite während der Sperrzeit erfülle die Voraussetzung einer Existenzgefährdung.

Unter diesen Umständen käme die Verweisung auf das langwierige Hauptsacheverfahren einer Rechtsverweigerung gleich, ist dem Urteil zu entnehmen. Die Richter befristeten die Anordnung zur sofortigen Freischaltung der drei Kanäle aber bis zum 31. Januar 2027, um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zu verhindern.

Der Internetrechtler Jens Ferner bewertet die Ansage als wichtiges Signal. Die Entscheidung setze Grenzen für Plattformbetreiber und verdeutliche, dass sie nicht willkürlich Kanäle sperren dürften, sondern an vertragliche und prozessuale Grundsätze gebunden seien. Besonders die enge Auslegung des Umgehungsbegriffs sei relevant. Das Urteil gebe Influencern, deren Existenz von ihren Kanälen abhänge, mehr Rechtssicherheit und bessere Möglichkeiten, sich gegen ungerechtfertigte Blockaden zur Wehr zu setzen. Die Betreiber müssten ihre Maßnahmen sorgfältiger begründen.


(mki)



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