Künstliche Intelligenz

Palantir: Verfassungsschutz-Chef plädiert für europäische Alternativen


In der Debatte um Analysesoftware für die Sicherheitsbehörden zeigt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, hinsichtlich des Einsatzes von US-Software wie Palantir ausgesprochen vorsichtig. Europa müsse auch Alternativen bieten, sagte Selen am Montag zum Auftakt des 21. Symposiums des BfV in Berlin.

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Politik müsse bei der Auswahl von Software drei Faktoren berücksichtigen, sagte Selen: Was eine Lösung zur Sicherheit beitragen kann, wie performant sie ist, aber auch ob sie „geostrategisch richtig“ sei. Die Bundesregierung habe europäische Resilienz als klares Ziel ausgegeben. „Wir müssen im Endeffekt in der Lage sein, Alternativen zu bieten“, sagte Selen. „Wir sind gut beraten, den europäischen Fokus zu schärfen.“

Zuletzt hatten sich mehrere Bundesländer für Palantirs System als Analysesoftware für die Polizei entschieden oder für diese oder eng vergleichbare Software neue Rechtsgrundlagen geschaffen. Nach Hessen (Schwarz-Rot) und Bayern (CSU/Freie Wähler) hatte zuletzt das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg die Anschaffung der umstrittenen Palantir-Software beschlossen.

Im schwarz-grün regierten Nordrhein-Westfalen wurde Ende November das Polizeigesetz des Landes deutlich überarbeitet. Bislang war dort nur eine Teilnutzung von Palantirs Software erlaubt, das NRW vorübergehend getestet hatte. Mit der neuen Rechtsgrundlage könnten nordrhein-westfälische Sicherheitsbehörden einen Großteil der Features künftig nutzen – allerdings hat das Land noch keine neue Dauerlizenz erworben.

Das Innenministerium in Düsseldorf hatte sich zumindest auf die Suche nach Alternativen begeben: Cognyte, Datawalk, Innosystec, Linkurious, NuixChapsvision, Chapsvision, FSZ und Quantexa seien als mögliche Alternativen in Betracht gezogen worden, ergab eine parlamentarische Anfrage der SPD-Politikerin Christina Holtmann. Darüber hinaus gibt es einige weitere Anbieter von Analysesoftware, die für die Zusammenführung von Datenquellen und deren Auswertung grundsätzlich in Frage kommt.

„Wir sind gar nicht so schlecht in Deutschland und Europa“, betonte Selen. Dafür dürfe aber nicht auf einzelne Länder geschaut werden. Es gehe darum, Fähigkeiten zu entwickeln und weiterzuentwickeln. „Wir haben Industrien, wir haben Firmen, die so etwas können“, so der Verfassungsschutzpräsident. „Vielleicht muss man die ja ein Stück weit mehr unterstützen und berücksichtigen.“

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Da die Nachrichtendienste und die Bundeswehr seit der Verfassungsänderung im Frühjahr von der Schuldenbremse ausgenommen sind, wird hier auch bei den IT-Kapazitäten weiter aufgerüstet. Diese Ausnahme wurde mit der Bedrohungslage durch Russland begründet. Dafür soll der Verfassungsschutz nicht mehr Geld, Personal und Technik erhalten, sondern auch erweiterte rechtliche Möglichkeiten.

Für den Verfassungsschutz ginge es dabei darum, die Fähigkeiten nutzen zu können, die für die eigenen Aufgabe nötig seien, sagte Präsident Sinan Selen in Berlin. Für ihn sei die Messlatte dabei das, was Dienste in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden dürfen.

Neben dem Zugriff auf die Daten aus der IP-Vorratsdatenspeicherung, die die aktuelle Bundesregierung wieder einführen möchte, geht es dabei unter anderem um die Befugnisse zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung. „Wir haben Kommunikation, die wir nicht mehr entschlüsseln können in Teilen“, sagte Selen. Der Verfassungsschutz müsse zur Wahrnehmung seiner Aufgaben etwa in Gruppenkommunikation eindringen können.

Und dabei tut sich derzeit einiges hinter verschlossenen Türen. Philipp Wolff, Leiter der für die Nachrichtendienste zuständigen Abteilung 7 im Bundeskanzleramt, nannte es absurd, wenn deutsche Nachrichtendienste etwa in Tschechien das Telefon eines russischen Agenten abhören dürften, dies aber unzulässig sei, sobald er nach Deutschland einreise. Wolff war vor seiner Rolle in der Aufsicht über die Nachrichtendienste selbst Vizepräsident des für Auslandsaufklärung zuständigen Bundesnachrichtendienstes.

Mit einer für das erste Quartal 2026 geplanten Gesetzesnovelle sollen die Regeln auch für den deutschen Inlandsnachrichtendienst entsprechend überarbeitet werden. Dabei soll auch die Aufsicht weiter zentralisiert werden – schon unter der Ampel sollte etwa die Datenschutzaufsicht von der Bundesbeauftragten für den Datenschutz auf das sogenannte Unabhängige Kontrollgremium für die Nachrichtendienste übertragen werden, doch die entsprechende Gesetzesnovelle fiel dem Ampel-Aus zum Opfer.

Auf dem Symposium des Verfassungsschutzes in Berlin hat niemand der Offiziellen die Verlässlichkeit des Partners USA öffentlich in Frage gestellt. Er glaube nicht, „dass unsere Partner mit uns brechen“, sagte Selen, dessen Bundesamt in diesem Jahr 75 Jahre alt wird und eine durchaus bewegte Geschichte hinter sich hat.

Aber zwischen den Zeilen wurde mehr als deutlich: Der feste Glaube, dass die USA sich an die bisherigen Regeln halten, ist selbst in diesen dem Vereinigten Staaten historisch sehr verbundenen Kreisen brüchiger geworden.

„Wir werden uns an Regeln halten“, kündigte Wolff an und bat um Vertrauen für die Nachrichtendienste, die sich derzeit vor allem mit Moskau befassen. „Die Regeln müssen so ausgestaltet werden, dass sie funktionieren – bei einem Gegner, der sich nicht an Regeln hält.“

Für ihn sei es eine Selbstverständlichkeit, betonte Selen, Befugnisse temporär zu erhalten und ihre Notwendigkeit auch selbst in Frage zu stellen. „Na klar müssen wir das immer wieder überprüfen – übrigens auch unter Effizienzgesichtspunkten.“


(vbr)



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