Entwicklung & Code
Projektmanagement: Wieso Diversität im Team wichtig ist
Moin.
(Bild: Stefan Mintert )
Stefan Mintert arbeitet mit seinen Kunden daran, die Unternehmenskultur in der Softwareentwicklung zu verbessern. Das derzeit größte Potenzial sieht er in der Leadership; unabhängig von einer Hierarchieebene.
Die Aufgabe, dieses Potenzial zu heben, hat er sich nach einem beruflichen Weg mit einigen Kurswechseln gegeben. Ursprünglich aus der Informatik kommend, mit mehreren Jahren Consulting-Erfahrung, hatte er zunächst eine eigene Softwareentwicklungsfirma gegründet. Dabei stellte er fest, dass Führung gelernt sein will und gute Vorbilder selten sind.
Es zeichnete sich ab, dass der größte Unterstützungsbedarf bei seinen Kunden in der Softwareentwicklung nicht im Produzieren von Code liegt, sondern in der Führung. So war es für ihn klar, wohin die Reise mit seiner Firma Kutura geht: Führung verbessern, damit die Menschen, die die Produkte entwickeln, sich selbst entwickeln und wachsen können.
Für Heise schreibt Stefan als langjähriger, freier Mitarbeiter der iX seit 1994.
Im gesellschaftlichen Diskurs geht es bei der Diversität um eine Vielfalt bestimmter Gruppenmerkmale. Als Beispiel für die Vielfalt der Arbeitswelt sei die „Charta der Vielfalt“ genannt: „Ziel der Charta der Vielfalt ist es, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Beschäftigten die gleiche Wertschätzung und Förderung erfahren, unabhängig von Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, sozialer Herkunft, Behinderung, Alter sowie sexueller Orientierung und Identität.“ (Wikipedia)
Nun gilt es als akzeptierte Wahrheit, dass diverse Teams besser geeignet sind, um komplexe Probleme zu lösen, die etwa in der Softwareentwicklung auftreten. Bedeutet das, ich sollte in meinem Entwicklerteam alle Weltreligionen und ein paar Nationalitäten vertreten haben?
Nach meiner Erfahrung sind das nicht die Diversitätsfaktoren, die den Unterschied machen. Es kommt auf etwas anderes an. Ein Artikel in Harvard Business Review unterstützt diese Meinung und spricht von „kognitiver Diversität“.
Worauf kommt es an, wenn man ein Team divers aufstellen will? Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit kann ich folgende Faktoren nennen, bei denen Vielfalt innerhalb eines Teams nach meiner Beobachtung einen positiven Einfluss hat.
Alter und Geschlecht spielen eine Rolle. Einerseits glaube ich, dass Männer und Frauen Probleme tendenziell unterschiedlich angehen. Das ist gerade bei komplexen Aufgaben hilfreich. Genauso sorgt eine größere Altersbandbreite im Team dafür, dass die Teammitglieder sehr verschiedene fachliche Erfahrungen mitbringen.
Die Dauer der Firmenzugehörigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Es ist hilfreich, wenn der „alte Hase“, der sehr gut vernetzt ist, weiß, wen das Team bei einem Problem ansprechen kann. Auf der anderen Seite laufen die jungen Teammitglieder nicht so leicht Gefahr, ein Problem so anzugehen, „wie wir das immer schon gemacht haben“. Sie bringen neue Ansätze und Sichtweisen ins Team.
Eine große Vielfalt der Perspektiven kommt ins Team, wenn nicht alle Teammitglieder die gleichen Ausbildungen durchlaufen haben. Eine Gruppe von Informatikern wird ein Problem sehr wahrscheinlich mit den Mitteln lösen, die man im Informatikstudium gelernt hat. Kommen weitere Disziplinen hinzu, etwa Sozialwissenschaften, Physik, Philosophie oder Ingenieurwesen, steigt die Zahl der Lösungsansätze. Mein Lehrer im Mathe-Leistungskurs hat gerne eine Geschichte aus der Eigentümerversammlung in seinem Haus erzählt. Bis auf eine Person handelte es sich um Akademiker, ihn selbst eingeschlossen. Wenn im Haus ein Defekt auftrat, haben die Studierten in der Versammlung über ausgefeilte Lösungsansätze diskutiert. In der gleichen Zeit hat der einzige Nicht-Akademiker den Schaden einfach repariert. Diese Anekdote zeigt, dass Monokulturen in der Ausbildung von Teammitgliedern oft nicht zu schlagkräftigen Teams führen.
Auch unterschiedliche Muttersprachen erlebe ich im Team als Bereicherung. Das mag an der damit verbundenen Vielfalt der Kulturen liegen, in denen die Teammitglieder aufgewachsen sind, oder daran, dass Sprache das Denken formt.
Einen weiteren Faktor nenne ich in Anlehnung an ein bekanntes Buch: schnelles Denken, langsames Denken. Manchmal ist es wichtig, schnell voranzuschreiten, um beispielsweise mit einem frühen Prototypen einer Software schnell Nutzer-Feedback zu bekommen. Andererseits ist es hin und wieder gut, ein Problem von allen Seiten zu betrachten, um mit einer fundierten Lösung an die Öffentlichkeit zu gehen. Teams, in denen beide Ansätze durch unterschiedliche Personen vertreten sind, haben oft Konflikte. Wenn sie es aber gelernt haben, die Konflikte in der Sache auszutragen und nicht auf der persönlichen Ebene, ist es eine Stärke, mal einen Schnellschuss machen zu können und ein anderes Mal langsam und gewissenhaft zu arbeiten. Wichtig ist, dass sich die Vertreter der jeweiligen Fraktion im richtigen Moment zurücknehmen können.
Und, last, but not least, schätze ich Softwareteams, die in verschiedenen Programmierparadigmen (imperativ, OO, funktional, Logikprogrammierung) denken können. Zwar ist es oft keine Option, während der Produktentwicklung die Sprache zu wechseln oder eine weitere hinzuzufügen, jedoch erlauben einige Sprachen, mehrere Paradigmen zu verwenden. Als Beispiel sei die funktionale Programmierung genannt, die ehemals ausschließlich in funktionalen Sprachen zu finden war und in den vergangenen Jahren auch in objektorientierte Sprachen eingezogen ist.
Welche weiteren Faktoren von Diversität sind in Softwareteams hilfreich? Ich würde mich freuen, in den Kommentaren Eure Meinungen zu lesen.
Abschließend möchte ich auf eine Frage eingehen: Wie kann man die Diversität bei Bedarf erhöhen? Das ist eine Frage der Teamentwicklung. Doch ich habe noch nicht erlebt, dass eine HR-Abteilung die genannten Aspekte beim Recruiting berücksichtigt. Auch ein Teamleiter sucht bei einer Neueinstellung eher nach jemandem, „bei dem die Chemie stimmt“. Das ist nicht pauschal schlecht, doch sollte man sich im Klaren darüber sein, dass eine höhere Diversität damit vielleicht nicht erreicht wird.
Das Team kann selbst die Führung übernehmen und an der Vielfalt arbeiten. Während sich am Alter, Geschlecht oder der Muttersprache der Teammitglieder nichts ändern lässt, ist eine bewusste Weiterbildung in Richtung neuer Skills und Kompetenzen möglich. Den Ausgangspunkt kann ein Team zum Beispiel damit machen, die Diversität der Gruppe zu bestimmen und sichtbar zu machen. Das ist der erste wichtige Schritt, um abzuleiten, in welchen Bereichen man nachbessern sollte. Und wenn eine Neubesetzung einer Stelle ansteht, kann das Team Einfluss nehmen. Damit übernehmen die Teammitglieder einen Teil der Führungsverantwortung, die sonst häufig von niemandem ausgeübt wird.
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(rme)