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Rasant steigende Rückrufe: Haben Autos ein Qualitätsproblem?
Es hört und hört nicht auf: In hohen Stückzahlen rufen Automobilhersteller Fahrzeuge wegen Mängeln in die Werkstätten. Aktuell sind es weltweit Hunderttausende BMWs, weil ein Problem am Starter im schlimmsten Fall einen Fahrzeugbrand auslösen kann. Allein in Deutschland sind davon rund 136.500 Autos unterschiedlicher Modelle der Baujahre 2015 bis 2021 betroffen.
Die tschechische Volkswagen-Marke Skoda ruft derzeit rund 13.500 Fahrzeuge zurück, in denen Airbags grundlos auslösen könnten. In den vergangenen Jahren waren weltweit schon Millionen Autos von Rückrufen mit Airbags desselben Zulieferers betroffen. Dieser mögliche Airbag-Defekt zählt zu den größten Rückrufaktionen in der Automobilgeschichte.
Deutlich mehr Rückrufe
„Im vergangenen Jahr wurden 2,8 Millionen Fahrzeuge – überwiegend Autos – in die Werkstätten zurückbeordert“, erklärt ein Sprecher Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) in Flensburg. Das waren 48 Prozent mehr als 2023. Für den rasanten Anstieg der Rückrufe gebe es keinen spezifischen Grund, es sei eher ein Zusammentreffen von Einzelursachen.
„Wenn ein Modell mit einem hohen Verbreitungsgrad einen Mangel aufweist, dann ist die Anzahl zurückzurufender Fahrzeuge entsprechend höher.“ Sollte ein Volumenhersteller Probleme mit etwa einem Bauteil haben, seien gleich viel mehr Fahrzeuge betroffen, als im gleichen Fall Autos von einem Nischenhersteller. Aus diesen Gründen sind starke Schwankungen von einem auf das andere Jahr leicht möglich. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre lag die Anzahl der Rückrufe im Durchschnitt bei drei Millionen Fahrzeugen.
Deren Hersteller sind verpflichtet, das KBA zu informieren, sobald es Hinweise auf sicherheitsrelevante Mängel gibt. Wenn die Behörde feststellt, dass von den Mängeln eine Gefahr ausgeht oder das Fahrzeug beziehungsweise Fahrzeugteile nicht den geltenden Vorschriften entsprechen, fordert sie die Hersteller zu einer Abhilfe auf, die üblicherweise durch Rückruf und Reparatur umgesetzt werden. Die Fahrzeughersteller erhalten dafür die Halteranschriften aus dem zentralen Fahrzeugregister des KBA, das angeordneten Rückrufe überwacht.
Fahrzeug kann stillgelegt werden
Führt ein Halter sein Fahrzeug trotz mehrfacher Erinnerung nicht in der Werkstatt vor, wird es aus dem Verkehr gezogen. So weit kam es im vergangenen Jahr rund 155.000 Mal. Neben den angeordneten gibt es freiwillige Rückrufe der Hersteller, die häufiger vorkommen als die vom KBA angeordneten. „Den Herstellern ist sehr daran gelegen, dass Mängel beseitigt werden“, sagt der KBA-Sprecher. Das liegt im Wesentlichen an der Produkthaftung, nach der Hersteller für Schäden aufkommen müssen, die durch Fehler verursacht werden.
Aus diesem Grund bestellt der Mehr-Marken-Konzernverbund Stellantis derzeit deutschlandweit rund 141.700 Fahrzeughalter unter anderen der Marken Peugeot, Opel und Fiat in die Werkstätten. Der Grund: Probleme mit der Nockenwelle können bei bestimmten Motortypen zu Motorschäden führen. Freiwillige Rückrufe wie diesen führen die Hersteller in eigener Regie durch, ohne dass sie das KBA kontrolliert.
Rund 2,8 Millionen Autos wurden im vergangenen Jahr deutschlandweit zurückgerufen. Haben Autos zu oft Qualitätsmängel? Fahrzeuge seien wegen des technischen Umbruchs und steigenden Sicherheitsansprüchen sehr komplex geworden, sagt Florian Hördegen, Leiter Fahrzeugtechnik beim ADAC. „So wurde in den vergangenen Jahren viel neue Technik integriert, was ein Risikofaktor für fehlerhafte Bauteile oder Funktionen sein kann.“ Zudem müssten viele Hersteller sparen. Auch das könne eine Ursache für Fehler und im schlimmsten Fall für Rückrufe sein.
Florian Hördegen
(Bild: ADAC)
Risikofaktor Innovation
Mehr und insbesondere neue Technik ist laut Hördegen zumindest ein Risikofaktor für Rückrufe. „Allerdings ist zu erwarten, dass die Hersteller aus ihren Fehlern lernen, weil Rückrufe für sie Aufwand und finanzielle Einbußen bedeuten.“ Die horrenden Kosten für die millionenfachen Airbag-Rückrufe haben beispielsweise die japanische Firma Takata in die Insolvenz getrieben, weil die Autohersteller den Zulieferer in Regress genommen haben.
Rückrufe sollen die betroffenen Kundinnen und Kunden vor den Folgen durch fehlerhafte Produkte schützen. Eine rechtliche Verpflichtung auf Übernahme der Reparaturkosten oder für einen Leihwagen in der Ausfallzeit gibt es aber nicht. Die besteht nur innerhalb der gesetzlichen Sachmängelhaftungsfrist oder einer Herstellergarantie. „Um den Erfolg von Rückrufaktionen und damit ihr Image nicht zu gefährden, übernehmen die Fahrzeughersteller aber üblicherweise freiwillig die Reparaturkosten, auch nach Ablauf von Fristen“, sagt Hördegen.
Zu Rückrufen müssen die Fahrzeuge heutzutage nicht mehr zwingend in die Werkstätten, weil etwa Softwareupdates zur Fehlerbehebung drahtlos über das Internet in die Autos eingespielt werden können. „Dies darf aber nicht dazu führen, dass unfertige Fahrzeuge ausgeliefert werden, die erst später in allen Punkten funktionieren“, sagt Hördegen. Der ADAC warnt davor, dass sich Hersteller mit solchem Vorgehen einem offiziellen Rückruf entziehen könnten, indem ein sicherheitsrelevantes Problem heimlich mit einem Update behoben wird, ohne es dem Kraftfahrtbundesamt gemeldet zu haben.
E-Autos überproportional betroffen
Rückrufe finden in der gesamten globalen Herstellerlandschaft statt. Innerhalb Europas gibt es einen Hersteller, der 2024 nun bereits zum sechsten Mal in Folge die Nummer 1 bei der Anzahl der Fahrzeugrückrufe ist: Mercedes-Benz. Im vergangenen Jahr rief das Unternehmen in 24 Rückrufen 22 Modelle zurück. Das waren auch mal mehr, die Zahlen sinken von Jahr zu Jahr.
Unterdessen liegen die Rückrufe von BEVs derzeit deutlich über denen von Verbrennern. Laut einer Studie der auf Elektromobilität spezialisierten Marktforschung Uscale ebenfalls aus Stuttgart mussten im Jahr 2023 knapp jedes fünfte E-Auto aufgrund eines Rückrufs in die Werkstatt. Bei Verbrennern waren es nur 5 Prozent. Die Rückruf-Rate bei Stromern war somit viermal höher. In den vergangenen drei Jahren sind die Rückrufe bei Elektroautos allerdings kontinuierlich zurückgegangen: von 23 Prozent im Jahr 2022 auf 14 Prozent 2024.
Bei BEVs ist noch sehr viel Raum für Optimierung der Qualität. „Weil das technische Grundkonzept des Elektroantriebs viel einfacher ist als beim Verbrenner, vermute ich, dass die Lerneffekte größer sein werden“, sagt Uscale-Geschäftsführer Axel Sprenger. Er geht deshalb von weiter rückläufigen Rückrufen bei Elektroautos aus.
(vbr)