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Vor 25 Jahren tanzte der Techno-Wikinger auf der Fuckparade
Ziemlich genau vor 25 Jahren weist ein muskulöser Mann mit geflochtenem Wikingerbart einen rempelnden Besucher auf der Fuckparade am 8. Juli 2000 zurecht und tanzt dann mit freiem Oberkörper wild und etwas aggressiv zu einem Techno-Track hinter einem Wagen her. Er wird dabei gefilmt. Was er damals nicht weiß: Dass er zu einer legendären Figur der Technokultur und zu einem frühen großen Memes der Internetgeschichte werden würde.
Doch das sollte noch etwas dauern. Der Filmemacher Matthias Fritsch hatte das etwa vierminütige Video sechs Jahre nach dem Tanz auf der Protestparade auf das damals noch brandneue YouTube gestellt. Doch erst im Jahr 2007 geht das Filmchen wirklich viral, als jemand es auf die Seite Break.com stellt. Das mittlerweile als „Technoviking“ benannte Video wird nicht nur millionenfach geschaut, sondern auch tausendfach geremixt. Menschen stellen die Szene nach, es gibt den Wikinger in Videospielen, in Musikvideos, als Auto-Aufkleber, als Action Figur und KI-generierten Anime-Star.
Ungefragt monetarisiert
Der Techno-Wikinger selbst findet allerdings keinen Gefallen an seinem weltweiten Ruhm. Er schickt im Jahr 2009 seinen Anwalt zu Filmemacher Fritsch, um eine weitere Verbreitung des Videos zu verhindern, welches Fritsch auf YouTube monetisiert hatte. Der tanzende Mann, den das Internet zum Wikinger erklärt hatte, brachte damals laut Fritsch hervor, dass das Video ohne seine Zustimmung produziert und veröffentlicht sowie für Merchandising-Zwecke verwendet worden sei.
Aufgrund der Berühmtheit des Techno Vikings könne er seinen Arbeitsplatz verlieren, sein Bild würde zudem von Rechtsradikalen missbraucht. Der Wikinger beruft sich auf das Recht am eigenen Bild, also das Recht selbst darüber bestimmen zu dürfen, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm veröffentlicht werden. Doch das Video ist längst außer Kontrolle geraten, das ganze zum größten deutschen Meme überhaupt geworden.
Dann lässt sich der Wikinger vier Jahre Zeit bis zur nächsten Aktion.
Das Recht am eigenen Bild
Im Jahr 2013, die Videos haben damals um die 40 Millionen Views, kommt es dann vor dem Berliner Landgericht zum Prozess (netzpolitik.org berichtete) – wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Das Verfahren mit dem Aktenzeichen 27 O 632/12 (PDF) endet mit einem Teilerfolg für den Wikinger. Filmemacher Fritsch muss nicht nur knapp 9.500 Euro an den Mann zahlen, sondern darf das Video in dieser Form und andere Bildnisse des Techno Vikings nicht mehr verbreiten. Das Geld ist eine Beteiligung des Wikingers an den Einnahmen auf YouTube, zudem muss Fritsch für die Anwaltkosten des Klägers aufkommen.
Frisch selbst kann nicht von dem Fall lassen. Er macht ein Crowdfunding und dreht einen Dokumentarfilm über den Techno Viking. Zudem legt er ein Archiv zum Meme an. Trotz des Gerichtsurteils lässt sich das Meme nicht mehr stoppen, auch heute ist das Originalvideo in verschiedensten Ecken und Plattformen des Internets zu finden. Der Fall vor Gericht zeigt die Grenzen im Bereich Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit in einem bisher so nie dagewesenen digitalen Umfeld mit eigenen Regeln und Dynamiken.
Die Geschichte des Techno-Wikingers nimmt Entwicklungen der Digitalkultur vorweg. Das heimliche Filmen in der Öffentlichkeit hat sich heute zu einem eigenen Genre in den sozialen Medien entwickelt. Auf der Jagd nach authentischen Inhalten setzen sich moderne Content Creator:innen über die Privatsphäre und Rechte ihrer Mitmenschen hinweg – das Bild wird zur Beute und schamlos monetarisiert. Andere Influencer:innen drücken ahnungslosen Leuten Geld, Geschenke und Blumen in die Hand – und stellen den Film dann als „Random Act of Kindness“ auf TikTok. Dagegen war die doch eher zufällige Meme-Werdung des Wikingers doch eher harmlos.
Bis heute ist die Identität des Techno-Wikingers nicht bekannt. Er muss sehr gute Freunde mit Sinn für Privatsphäre haben: Sie haben sich weder verplappert noch ihn verraten.