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Wasserstoff: Europas letzter Ausweg aus der Energiefalle


Wasserstoff ist einer der wichtigsten Schlüssel zur strategischen Unabhängigkeit von Energielieferungen aus dem Ausland. Doch ist ein Ausbau der Wasserstoffwirtschaft realistisch?

Wasserstoff soll in der EU vor allem die Schwerindustrie von Energielieferungen unabhängig machen.
Getty Images / John Macdougall

Die Krise rund um den Iran hat erneut gezeigt, dass die Unabhängigkeit von Energielieferungen aus dem Ausland für Deutschland und Europa zu den wichtigsten strategischen Zielen der nahen Zukunft gehören muss. Rund fünf bis acht Prozent des täglichen Bedarfs an Öl der EU werden durch die Straße von Hormus transportiert. Bei LNG sind es 13 Prozent. Zwar kann die EU dank ihrer Reserven einen Ausfall für mehr als ein Jahr kompensieren, aber eine Dauerlösung ist das natürlich nicht.

Daher ist Wasserstoff weit mehr als eine technische Spielerei für energiepolitische Thinktanks. Er ist der Schlüssel zu etwas, das Europa seit Jahren schmerzlich fehlt: Energieunabhängigkeit.

Deutschland ist auf einem guten Weg

Mit dem geplanten Wasserstoff-Kernnetz entsteht in Deutschland bis 2032 ein Rückgrat aus über 9000 Kilometern Leitungen, zwei Drittel davon durch Umrüstung bestehender Erdgasinfrastruktur. Parallel plant die Bundesnetzagentur ein innovatives Finanzierungsmodell: Unternehmen sollen durch eine moderate Netznutzungsgebühr von 25 Euro pro kWh an den Kosten beteiligt werden. Klingt bürokratisch – ist aber nichts anderes als ein pragmatischer Weg, um aus der fossilen Abhängigkeit auszusteigen.

Denn der eigentliche Hebel liegt nicht in der Leitung – sondern in dem, was durch sie fließt. Grüner Wasserstoff, hergestellt aus überschüssigem Wind- oder Solarstrom, ist der einzige realistische Hebel, um Stahlwerke, Chemieanlagen und Zementfabriken klimaneutral zu machen. Diese Branchen können nicht einfach elektrifiziert werden.

Und genau hier liegt Europas große Chance: Statt auf kurzfristige Marktlogik zu hören, geht es um langfristige strategische Resilienz. Mit dem Aufbau eines grenzüberschreitenden Netzes – von Portugal bis Finnland, von Nordafrika bis zu den Industriezentren in NRW – entsteht ein Energieverbund, der fossile Abhängigkeiten ersetzt durch technologische Souveränität.

Grüner Wasserstoff ist teuer

Natürlich, vieles steht noch am Anfang. Der Import grünen Wasserstoffs aus Ländern wie Marokko, Ägypten oder Australien ist logistischer und politischer Hochleistungssport. Die Pipeline-Korridore – etwa das „SüdH2-Korridor“-Projekt – sind ambitioniert, aber bisher nicht gebaut. Und die Frage, wie man Elektrolyseure in Europa profitabel betreibt, ist offen.

Generell ist die Finanzierung der teuren Infrastruktur noch ein Streitpunkt. Die EU-Staaten ächzen schon jetzt unter einer hohen Verschuldung, und die Kosten für den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur sind hoch. Aber die Alternative wäre weiterhin abhängig von Energielieferungen aus den arabischen Ländern oder den USA zu sein. Was angesichts der geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre keine gute Idee ist.

Die EU fördert mittlerweile mit Milliardenbeträgen Produktionsanlagen und Infrastruktur, plant ein transnationales Backbone mit über 50.000 Kilometern bis 2040 – und hat mit dem „Hydrogen Bank“-Modell erstmals eine Plattform geschaffen, um grüne Wasserstoffprojekte auf einen funktionierenden Binnenmarkt vorzubereiten. Was nötig ist, um die Grundlagen zu schaffen, damit Unternehmen überhaupt in Wasserstoff investieren.

Chancen für Startups

Für Startups ergeben sich daraus gewaltige Chancen. Wer heute intelligente Netzsteuerung, flexible Abrechnungssysteme oder integrierte Energie- und Speicherlösungen entwickelt, kann morgen Marktführer sein. Auch der Import wird ein Geschäftsmodell: Unternehmen, die Logistik, Zertifizierung und Distribution von LOHC (flüssige organische Wasserstoffträger) oder Ammoniak professionell aufsetzen, könnten das Wasserstoff-Äquivalent von Tankerflotten oder Pipelinelobbys werden.

Denn die Wahrheit ist: Die nächste Phase der Energie- und Mobilitätswende wird nicht mit Batterien gewonnen. Sondern mit Molekülen, Drucktanks, Transportwegen – und visionären Geschäftsmodellen. Wasserstoff ist nicht die Lösung für alles. Aber für ziemlich viel. Vor allem für das, was bisher als „unlösbar“ galt. Es ist die erste große Energietechnologie, bei der Europa von Anfang an mitgestaltet, statt hinterherzulaufen.



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