Künstliche Intelligenz
Zertifikate: BGH-Urteil bringt Anbieter von Online-Lernkursen auf die Barrikaden
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 2. Oktober (Az.: III ZR 173/24) Anbieter von Online-Lernkursen unter Druck gesetzt. Die Karlsruher Richter erklärten damit ein gut 7000 Euro teures Online-Coaching-Programm ohne behördliche Zulassung für nichtig. Auf Basis ihrer fortlaufenden Rechtsprechung stellten sie klar: Angebote wie der sogenannte „E-Commerce Master Club“, die Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln und bei denen Lehrende und Lernende räumlich getrennt sind, fallen unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Eine Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) ist demnach zwingend, da ihr Fehlen den Vertrag nach Paragraf 7 FernUSG ungültig macht. Der BGH betont, dass der Schutz des FernUSG auch für Existenzgründer und Kleinunternehmer gilt, nicht nur für klassische Verbraucher.
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Dieses Urteil katapultiert die digitale Bildungswirtschaft nach eigener Darstellung in einen „rechtlichen Albtraum“. In einem heise online vorliegenden Brandbrief an Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) beklagten die Anbieter schon im August, dass das FernUSG aus dem Jahr 1976 – entworfen für den Postverkehr – heute voll auf die digitale Gegenwart pralle. Sie monierten, das Gesetz sei „realitätsfern, innovationsfeindlich“ und gefährde „massiv den digitalen Bildungsstandort“. Die völlig unzeitgemäße Auslegung zentraler Rechtsbegriffe schaffe ein „Klima der Angst und rechtlichen Unberechenbarkeit“. Der neue BGH-Spruch bedeutet laut dem Anbieter Digistore24, dass letztlich jeder Online-Zeichenkurs genauso zertifiziert werden müsse wie eine berufliche Weiterbildung. Da das Zulassungsverfahren langwierig, teuer und bürokratisch sei, stünden viele Kurse vor dem Aus. Zugleich zielten tausende Gerichtsverfahren auf eine Rückzahlung der Kursgebühren ab.
Reformstau als bildungspolitisches Versagen
Die Rechtsunsicherheit wird seit Langem durch widersprüchliche Auslegungen der Gerichte befeuert. So urteilte etwa das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg, dass die „räumliche Trennung“ bei Online-Schulungen trotz Live-Setting gegeben sei, da sich Lehrende und Lernende in unterschiedlichen Räumen aufhielten. Im Gegensatz dazu sah das OLG Nürnberg die räumliche Trennung in einem virtuellen Klassenraum als nicht gegeben an, da ähnlicher Kontakt wie im Präsenzunterricht möglich sei. Auch beim Merkmal der „Überwachung des Lernerfolgs“ herrscht Uneinigkeit: Das OLG Stuttgart wertete bereits die Option, Fragen zu stellen, als Lernkontrolle. Das OLG Köln lehnte dagegen eine „WhatsApp-Fragen-Flatrate“ ab, da eine Überprüfung des Erfolgs durch den Lehrenden erfolgen müsse. Die Branche sieht den jahrelangen Reformstau als bildungspolitisches Versagen. Sie warnt, dass ein weiteres Abwarten zur „mutwilligen Gefährdung eines gesamten Wirtschaftssegments“ und zum Verlust des Anschlusses an die digitale Bildungszukunft führe.
Die Anbieter digitaler Wissensvermittlung fordern angesichts der BGH-Linie, die etwa die Lernkontrolle so weit fasst wie das OLG Stuttgart, von der Bundesregierung entschlossenes Handeln. Sie verlangen die sofortige Reform des FernUSG, um digitale Lernrealitäten widerzuspiegeln und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Nötig sei ein sofortiges Moratorium für die Anwendung des veralteten Gesetzes, bis eine zeitgemäße Reform verabschiedet ist. Anstelle des langsamen und unflexiblen Zulassungsverfahrens soll ein digitales, abgestuftes Zertifizierungsmodell etabliert werden, das Start-ups nicht ausbremst und Markteintrittsbarrieren abbaut. Ziel der von Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag versprochenen FernUSG-Modernisierung müsse ein Verbraucherschutz sein, der Vertrauen schafft und Orientierung gibt.
(nie)