Künstliche Intelligenz
Abhörung von WhatsApp & Co.: Die IT-Sicherheit bleibt die offene Flanke
Bürgerrechtler haben überwiegend positiv auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts reagiert, mit dem dieses dem Einsatz von Staatstrojanern im Kampf gegen „Alltagskriminalität“ einen Riegel vorgeschoben hat. Die Karlsruher Richter gewährleisteten damit, „dass IT-Systeme nur noch beim Verdacht wirklich schwerwiegender Delikte von staatlichen Ermittlern gekapert werden“, begrüßt Frank Braun, einer der Prozessbevollmächtigten der vom Datenschutzverein Digitalcourage initiierten Beschwerde gegen den Staatstrojaner.
Die vom Verfassungsgericht vorgenommenen Einschränkungen seien „richtig und wichtig“, erkennt auch der zweite Prozessführer, Jan Dirk Roggenkamp, einen Teilerfolg. David Werdermann, Rechtsanwalt bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), lobt, das höchste deutsche Gericht breche mit früherer Rechtsprechung: „Es macht erstmals deutlich, dass der Einsatz von Staatstrojanern immer einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das IT-Grundrecht bedeutet – auch wenn die Polizei ’nur‘ auf Kommunikationsdaten zugreifen will.“
In einem Nebensatz weist das Verfassungsgericht laut Werdermann darauf hin, dass das Gefährdungspotenzial der Maßnahme besonders ausgeprägt ist, wenn Behörden auf Dienste privater Dritter für die Infiltration von Endgeräten zurückgriffen. „Das kann als Aufforderung an die staatlichen Stellen verstanden werden: Die Zusammenarbeit mit zwielichtigen Unternehmen wie der NSO Group, die ihren Pegasus-Trojaner auch an Diktaturen verkauft, muss ein Ende haben.“
Was könnte sich ändern?
Laut der aktuellen Statistik setzten Strafverfolger 2023 erneut mehr Staatstrojaner ein, um etwa den Gesprächsaustausch bei WhatsApp & Co. vor einer Ver- oder nach einer Entschlüsselung abzuhören. Ob die gegenwärtige Praxis durch das Urteil eingeschränkt wird, ist laut Werdermann offen. Es sei nicht einmal öffentlich bekannt, welche Anlasstaten einer solchen Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) in der Praxis zugrunde liegen. Klar sei nur: Vor allem der Verdacht einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) habe die Maßnahmen begründet.
Der einschlägige Paragraf 100a Strafprozessordnung (StPO) verweise hier etwa auf bestimmte gewerbsmäßige Verstöße, erläutert der GFF-Jurist. Der Strafrahmen betrage dabei bis zu fünf Jahre. Das Bundesverfassungsgericht habe hier offen gelassen, ob es sich um eine besonders schwere Straftat handele, die eine Quellen-TKÜ rechtfertige. Andere besondere schwere Verstöße gegen das BtMG ließen klar eine solche Maßnahme zu. Beim Verweis auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung sei zu differenzieren: Wer eine solche gründe oder sich darin aktiv betätige, dem drohe das Höchstmaß fünf Jahre. Bei der bloßen Unterstützung handele es sich um keine schwere Straftat.
Generell beuge das Urteil einer „sich potenziell ausweitenden Quellen-TKÜ“ vor, meint Werdermann. Das Gericht habe deutlich gemacht, dass ein solcher Eingriff anders zu bewerten sei als das klassische Abhören ohne Trojaner. Bisher seien die Voraussetzungen für beide Maßnahmen identisch, auch wenn eine Quellen-TKÜ technisch anspruchsvoller sei und deswegen weniger häufig durchgeführt werde.
Schwerer Zielkonflikt bleibt
Für Rena Tangens von Digitalcourage bleibt ein zentraler Kritikpunkt: „Das Gericht hat sich nicht mit der grundsätzlichen Problematik von Staatstrojanern befasst.“ Um diese Computerwanzen zu verwenden, müssten Sicherheitslücken ausgenutzt werden. Schwachstellen gefährdeten aber die IT-Sicherheit aller. Statt sie zu melden und zu schließen, halte der Staat sie offen oder kaufe sie ein, „um sie selbst zu nutzen“.
Dieser Aspekt stößt auch den Branchenverbänden Bitkom und eco übel auf. Letzterer sieht den Gesetzgeber nun gefordert, nicht nur formale Nachbesserungen vorzunehmen, sondern diesen Zielkonflikt grundlegend aufzulösen. Nötig seien verbindliche Vorgaben zum Schwachstellenmanagement und ein umfassendes IT-Sicherheitsverständnis. Der Bitkom fordert ebenfalls verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, damit Unternehmen ihren Beitrag zur inneren Sicherheit leisten könnten, ohne die Kundenrechte zu verletzen.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hätte sich noch weitergehende Vorgaben gewünscht. Er fordert: „Auch um eine mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat inkompatible Massenüberwachung auszuschließen, müssen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden für die zielgerichtete Abwehr rechtsstaatlich eng eingehegt und parlamentarisch effektiv kontrolliert werden.“ Die Verantwortlichen in den federführenden Häusern müssten endlich Eingriffsschwellen hochschrauben und den Umgang mit IT-Schwachstellen regeln. Donata Vogtschmidt von der Linksfraktion postuliert: „Der Staatstrojaner ist ein unverhältnismäßiges Mittel und gehört abgeschafft.“
Verbot von Verschlüsselung?
Das Bundesjustizministerium sieht die gesetzlichen Vorgaben für Staatstrojaner „im Wesentlichen bestätigt“. Erhöhte Anforderungen an die Anlasstaten seien aber nötig. Weiter hieß es aus dem Ressort: „Wir werden die Entscheidungsgründe nun sorgfältig auswerten und dem aufgezeigten Handlungsbedarf nachkommen.“ Das Bundesinnenministerium reagierte am Donnerstag nicht auf eine Bitte von heise online um Stellungnahme. Es will der Bundespolizei sogar präventiv die Trojanernutzung erlauben, was mit dem Urteil kaum vereinbar sein dürfte. Auch die Verantwortlichen SPD und CDU/CSU schweigen zu dem Thema.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) freut sich, dass das Gericht die „Verfassungsmäßigkeit und Notwendigkeit“ der Quellen-TKÜ sowie der noch weitergehenden heimlichen Online-Durchsuchung „als unverzichtbare Instrumente zur effektiven Strafverfolgung und Gefahrenabwehr bestätigt“ habe. Zumindest stelle die Entscheidung sicher, dass Ermittler „auch künftig schwerste Straftaten effektiv bekämpfen können“. Rechtsfreie Räume der Kommunikation dürften nicht akzeptiert werden. Der nordrhein-westfälische Oberstaatsanwalt Markus Hartmann gab zu bedenken: Wüchsen die Hürden für einen Zugriff auf verschlüsselte Daten im Einzelfall, befeuere dies „zwangsläufig die gefährlichen Debatten um ein generelles Verbot von Verschlüsselung oder die Einrichtung staatlicher Hintertüren“.
(mma)