Datenschutz & Sicherheit
Hersteller der Hamburger KI-Überwachungskameras ist für Menschenrechtsverletzungen bekannt
In Hamburg startete am 1. September auf dem Hansa- und dem Hachmannplatz eine KI-gestützte Verhaltenserkennung. Die Kameras, die dazu genutzt werden, stammen von Hikvision. Das teilstaatliche Unternehmen aus dem autoritären China betreibt immer wieder einen mindestens fragwürdigen Umgang mit Menschenrechten. So hat die Firma für Kameras geworben, die automatisch Angehörige der uigurischen Minderheit erkennen. Obwohl die Werbung nach Protesten gelöscht wurde, verkaufte Hikvision weiter Kameras mit derart diskriminierender Technologie. Die Firma war auch in einem anderen Fall mit Werbung für Racial Profiling aufgefallen.
Daneben detektieren oder detektierten Hikvision-Kameras in China auch ungenehmigte Versammlungen und melden diese der Polizei. Außerdem stellt oder stellte die Firma der Polizei eine Karte bereit, auf der politisch engagierte Personen getrackt werden. Dabei wird oder wurde auch die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass diese in die Hauptstadt reisen.
Hikvision wird auch die Entwicklung einer Technologie vorgeworfen, die erkennt, wenn Student*innen fasten und so für die chinesischen Behörden mutmaßliche Muslim*innen identifiziert. Hikvision-Kameras werden auch von Israel zur Überwachung von Palästinenser*innen eingesetzt. Sie schützen zudem illegale israelische Siedlungen, so ein Amnesty-Bericht. Laut der Ukraine versorgt Hikvision zudem Russland mit Material, das für den Krieg eingesetzt wird.
69 Hikvision-Kameras überwachen Hamburg
Am Hamburger Hansaplatz sind 22 Hikvision-Kameras vom Typ DS-2DF8225IX-AEL in Betrieb, so die Hamburger Polizei in ihrer Antwort auf eine netzpolitik.org-Anfrage. Das genannte Modell hat, so der Hersteller, eine Auflösung von zwei Megapixel, einen 25-fachen optischen und einen 16-fachen digitalen Zoom, ist 360 Grad schwenkbar, sieht selbst nachts bis zu 400 Meter weit und hat eine Trackingfunktion, mit der sie Objekte verfolgen kann. Außerdem könne die Kamera Gesichter biometrisch identifizieren, selbst wenn sie in Bewegung sind.
Laut der Antwort des Hamburger Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Christiane Schneider sind die Tracking- und die Gesichtserkennungsfunktion der Kameras am Hansaplatz deaktiviert. Die Fähigkeit zu Audioaufnahmen und der Erkennung bestimmter Geräusche wie zum Beispiel Schüsse sei ebenfalls abgeschaltet, heißt es dort. KI wird am Hansa- und Hachmannplatz aber eingesetzt, um bestimmte Bewegungsmuster zu detektieren.
An der Straße Reeperbahn sind elf Kameras, und im Umfeld der Reeperbahn zwei Kameras desselben Typs verbaut. Den Hachmannplatz überwachen sieben Hikvision-Kameras vom Typ DS-2DF8242IX, die sogar mit einem 42-fachen optischen Zoom aufwarten und ebenfalls fähig zur Gesichtserkennung sind, und 17 Hikvision-Kameras vom Typ IDS-2CD7A86G0-IZHSY, die in einer Menschenmenge 120 Gesichter auf einmal erkennen können und Menschen auch anhand anderer Körpermerkmale identifizieren. Am Jungfernstieg sind zudem zehn Hikvision-Kameras vom Typ DS-2DF8223I-AEL verbaut, die ebenfalls zur Gesichtserkennung fähig sind.
Von welchem Hersteller ist wohl das Videomanagement-System?
Warum müssen es gerade Kameras von Hersteller Hikvision sein, die auch noch mehr können, als sie dürfen? Die Hamburger Polizei antwortet: „Bei der Auswahl der in Rede stehenden Technik wurden funktionale, technische und datenschutzrechtliche Kriterien umfassend geprüft und abgewogen.“
In der Antwort auf eine weitere Kleine Anfrage von Christiane Schneider hieß es noch: „Das Kameramodell wurde aufgrund der Integrierbarkeit in das von der Polizei genutzte Videomanagementsystem ausgewählt.“ Von welchem Hersteller dieses Videomanagementsystem ist, will die Hamburger Polizei „aus Gründen der IT-Sicherheit“ nicht mitteilen.
Fragen danach, ob dem Hamburger Senat bewusst ist, dass Hikvision-Technik zur Kontrolle von Palästinenser*innen durch Israel und zur Unterdrückungen von Uigur*innen und Protesten in China eingesetzt wird, wurden ignoriert.
Dabei wird laut der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) von staatlichen Organen erwartet, bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Achtung der Menschenrechte durch das auftragnehmende Unternehmen sicherzustellen. Die Unternehmen sollen es „vermeiden, durch ihre eigene Tätigkeit nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verursachen oder dazu beizutragen“.
„Ein Auftrag aus Hamburg ist das völlig falsche Signal“
Lena Rohrbach, Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International, sagt: „Wenn deutsche Behörden mit Unternehmen Verträge abschließen, muss die Menschenrechtsbilanz dieser Firmen entscheidend berücksichtigt werden.“ Wegen des Einsatzes in Projekten in China und Palästina geht Rohrbach davon aus, dass Hikvision seinen menschenrechtlichen Pflichten unter den UNGP-Leitprinzipien nicht nachkommt. „Für Hikvision gibt es zahlreiche Hinweise auf systematische Involvierung in Menschenrechts-Verletzungen, daher ist ein Auftrag aus Hamburg das völlig falsche Signal“, so Rohrbach weiter.
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Die UNGP und die deutsche Übersetzung davon, der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, seien allerdings nur „soft law“ so Rohrbach, also nicht vor Gericht einklagbar.
Andere Nationen sind Hikvision gegenüber kritischer eingestellt als die Hamburger Behörden. Die USA haben Hikvision aufgrund der Beteiligung an der Unterdrückung der Uiguren 2019 Sanktionen auferlegt. Im gleichen Jahr haben sie ihren Behörden den Einsatz von Hikvision-Geräten untersagt. In Indien darf sich Hikvision seit 2020 nicht mehr auf staatliche Aufträge bewerben. Das Europäische Parlament hat 2021 aufgrund der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen Hikvision-Kameras von seinen Gebäuden entfernen lassen.
„Das Risiko einer Einflussnahme ist stets gegeben“
Großbritannien hat 2022 aus Sicherheitsgründen die Nutzung von Hikvision-Technologie in Regierungsgebäuden verboten. Australien hat aus Sorge vor Spionage 2023 Hikvision-Kameras von staatlichen Gebäuden entfernen lassen. Kanada hat dem kanadischen Ableger von Hikvision im Juli dieses Jahres aus Gründen der nationalen Sicherheit verboten, Geschäfte im Land zu machen.
Die Bundesregierung verkündete 2023, sie gehe „von einer engen Verbindung zwischen chinesischer Wirtschaft und chinesischen Sicherheitsbehörden aus. Dies zeigt sich beispielsweise bei der bestehenden Verpflichtung für chinesische Unternehmen, mit den dortigen Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten. Das Risiko einer Einflussnahme ist also stets gegeben.“
Wie will dann Hamburg verhindern, dass Daten aus den Hikvision-Kameras aus China abfließen? Die Polizei schreibt: „Die Systeme sind innerhalb sicherer, geschlossener Netze installiert. Es gibt keine Anbindung an das Internet. Es wird sichergestellt, dass keine Daten unkontrolliert abfließen können.“
Hikvision schreibt dazu auf netzpolitik.org-Anfrage: „Hikvision nimmt alle Berichte zu Menschenrechten sehr ernst.“ Und: „Als Hersteller, der Installation und Betrieb seiner Produkte nicht überwacht, hat Hikvision keinen Einblick in die Videodaten der Endnutzer und kann nicht darauf zugreifen.“