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KI Navigator #12: Ist das Kunst oder kann das KI-Bild weg?


Willkommen zur zwölften Ausgabe der KI-Navigator-Kolumne der DOAG KI Community!




Verena Barth setzt sich als Expertin und Speakerin im Bereich Explainable AI (XAI) leidenschaftlich für ethische KI und die Verständlichkeit von komplexen ML-Systemen ein, um eine nachvollziehbare und gewissenhafte Anwendung zu ermöglichen. In industriellen ML-Projekten war sie als IT-Consultant im Bereich Data Science und MLOps tätig, bevor sie 2024 “Business Buddy AI” mitgründete, das personalisiertes Business Coaching mithilfe von affektiver KI skalierbar anbietet.

Neulich zeigte mein Bruder mir eine Illustration eines Sonnenuntergangs am Strand, die angeblich komplett von einer Maschine gemacht wurde. Ein interessanter Stil, eine surreale Landschaft, leuchtende Farben, fantastische Details. Mein erster Impuls: Staunen. Mein zweiter: Skepsis.

Kann KI Kunst? Ein heißes Thema, zu dem ich meinen metaphorischen Senf dazugeben möchte – nicht als neutrale Beobachterin, sondern als jemand, der mitten im Spannungsfeld steht: Ich bin KI-Expertin und Künstlerin.

In Gesprächen mit Kunstschaffenden weltweit begegnen mir immer wieder dieselben Ängste bezüglich KI: kopiert, ausgebeutet und ersetzt zu werden. Was folgt, ist meine persönliche Sicht – subjektiv, ehrlich und frei von akademischem Kunst- oder Philosophieballast.

Laut Wikipedia ist Kunst ein kulturelles Ausdrucksmittel des Menschen, das Ergebnisse kreativer Prozesse in Form von Werken hervorbringt, die nicht primär durch Funktionalität, sondern durch Ausdruck, Gestaltung und Bedeutung geprägt sind. Tatsächlich war ich überrascht, wie oft und explizit darauf hingewiesen wird, dass sie aus einer menschlichen Tätigkeit/Arbeit resultiert. Das dient nicht der Differenzierung zwischen Mensch und KI (die auch ein Produkt menschlicher Arbeit ist), sondern zur Natur (natürlich – künstlich).




(Bild: DOAG)

Die Konferenz KI Navigator zeigt am 19. und 20. November in Nürnberg die konkrete Anwendung von KI in den Bereichen IT, Wirtschaft und Gesellschaft. Die von DOAG, heise conferences und de’ge’pol ausgerichtete Veranstaltung bietet gut 100 Sessions in sechs Tracks. Bis zum 1. Oktober sind Tickets zum vergünstigten Frühbucherpreis von 990 Euro (zzgl. MwSt.) verfügbar.

Hier beziehe ich mich auf den enger gefassten Begriff von Kunst im Sinne der sogenannten schönen Künste, primär die Bildende Kunst, nicht auf die Kunst als Handwerk, Technik, Wissen oder bloße Fertigkeit.

Die Kunst wandelt sich mit der Zeit. Sie spiegelt Gesellschaft, Geschichte und Identität, reagiert auf Umbrüche, stellt Fragen und erfindet sich immer wieder neu. Wenn Kunst ein sich ständig veränderndes kulturelles Ausdrucksmittel ist und mit der Zeit geht, warum sollte sie dann nicht auch durch neue Werkzeuge oder gar neue Akteure entstehen? Die zentrale Frage, die sich mir und vielen anderen stellt: Darf etwas als Kunst gelten, das kein fühlender Mensch erschaffen hat?

Natürlich kann man KI als weiteres kreatives Tool wie Photoshop oder die Kamera sehen. Künstlerinnen oder Künstler geben Prompts ein, wählen aus, verfeinern. Doch generative KI geht weiter: Sie schlägt selbst vor – gelernt von Millionen Bildern und Stilen, ohne Rücksicht auf Grenzen zwischen Inspiration und (urheberrechtsverletzender) Kopie.

Neulich habe ich mit einer Kundin ChatGPT zur Ideenfindung und für das Generieren von Referenzbildern verwendet. Dabei habe ich überraschend inspirierende Impulse erhalten. Ersetzt hat mich das in diesem Fall zwar nicht, aber es hat mir gezeigt, wie viel Zeitersparnis KI bei konzeptioneller Arbeit bringen kann, etwa bei der Suche nach Referenzbildern mit korrekter Perspektive oder gewünschter Lichtführung.

Wenn KI Routineaufgaben und Generisches übernimmt, bleibt mehr Raum für das Echte, Spontane, Spaßige, Unvollkommene – das, was keine Maschine nachbilden kann. Trotzdem habe ich Hemmungen, ihr meine eigenen Werke anzuvertrauen. Ich fürchte, meinen Stil zu verlieren – das, was mich ausmacht. Theoretisch könnte jemand mithilfe weniger Bilder ein Werk in meinem Stil erzeugen, ohne dass ich es je erfahre oder dafür (zumindest mit Anerkennung) entlohnt werde. Ein kostengünstiges, effizientes, aber leeres Echo meiner Arbeit.

Es fehlt das Erlebnis, das Ringen mit der Idee, die Emotionen – das Menschliche. Reicht technische Raffinesse und cleveres Kombinieren, oder braucht es für echte Kunst einen fühlenden Menschen als Schöpfer?

Um einen großen Aufschrei zu vermeiden: KI kann nicht fühlen, aber sie imitiert meisterhaft. Für viele lebt Kunst vom Ausdruck, dem Prozess, dem Kontext und der Intention der Kunstschaffenden – nicht nur von Form und Ästhetik. Deshalb beeinflusst der Name der Künstlerin oder des Künstlers den Preis eines Werks oft mehr als die Ausdruckskraft des Bildes. In dieser Hinsicht bleiben KI-Werke oberflächlich und letztlich auch gefühllos.

Allerdings ist diese Ansicht auch das, was Kunst teilweise elitär macht und viele meiner nicht kunstaffinen Freunde abstößt: Weil sie glauben, es gäbe die eine richtige Deutung oder Interpretation, weil abstrakte Werke oft unzugänglich wirken und weil Kunst zu oft in komplizierten Worten statt in echten Gefühlen vermittelt wird.

Auch wenn die Einschätzung eines Bildes mit Kenntnis der Künstlerbiografie vielleicht anders ausfallen würde, darf man dennoch seine eigene Wahrnehmung ernst nehmen und sich einfach fragen: „Was sehe ich? Was fühle ich? Und warum?“

Was KI kann, liegt nicht nur in ihr, sondern auch in dem, was wir in ihr sehen – oder sehen wollen.

Wenn wir Kunst allein als Ergebnis eines kreativen Prozesses betrachten – als Werk mit Ausdruck, Form und Wirkung – dann kann KI Kunst erzeugen. Beeindruckend, effizient und manchmal sogar berührend. Doch sobald wir Kunst als bewusste, intentionale Handlung verstehen – als Ausdruck von Erfahrung, Identität, Haltung – stoßen wir an eine Grenze: KI bietet kein Wollen, kein Fühlen, kein echtes Bewusstsein.

Und trotzdem kann sie Bedeutung erzeugen. Nicht aus sich selbst heraus, sondern durch den Menschen, der mit ihr interagiert. Sie kann nicht begreifen, aber berühren. Keine Absicht haben, aber inspirieren.

Vielleicht liegt genau darin die neue Rolle der Kunst: Nicht in der Frage, ob etwas Kunst ist, sondern im menschlichen Blick darauf, in dem, was wir daraus machen. In Zeiten von KI liegt die Kunst vielleicht nicht mehr nur im bewussten Produzieren, sondern im bewussten Konsumieren: im Erkennen, im Reagieren, im In-Beziehung-Treten. Der Mensch als fühlender, bedeutungsgebender und denkender Bezugspunkt bleibt dann immer noch das Subjekt der Kunst – nicht die Maschine.


(rme)



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