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Während das Parlament streitet, geht die Entwicklung weiter
Immerhin sechs Minuten konnte die christdemokratisch-konservative EVP-Fraktion im Europarlament den Digitalen Euro noch verzögern. Denn als der Wirtschaftsausschuss (ECON) zum Digitalen Euro (D€) debattieren wollte, fehlte jemand: Fernando Navarrete Rojas, seines Zeichens spanischer EVP-Abgeordneter – und ausgerechnet Berichterstatter für den Digitalen Euro.
Auch wenn die mehrminütige Verspätung von Navarrete Zufall gewesen sein sollte, Freund:innen im Ausschuss wird er sich damit nicht gemacht haben. Schließlich bremste seine Fraktion den Digitalen Euro nicht zum ersten Mal. Und auch inhaltlich widersprachen die anderen Fraktionen von Linke bis Renew seinem Entwurf. Auf das Parlament dürften daher noch scharfe Debatten und intensive Verhandlungen zukommen, denn andere Institutionen machen beim Digitalen Euro Druck.
Seit mindestens 2020 denkt die Europäische Zentralbank (EZB) über den digitalen Euro nach. Seit 2023 gibt es auch ein Gesetzespaket der Europäischen Kommission, das sogenannte Single Currency Package. Dass das Parlament erst jetzt richtig darüber debattieren kann, liegt auch an der konservativen EVP-Fraktion, zu der auch CDU und CSU gehören.
EVP hatte den D€ immer wieder verzögert
Der zuständige Berichterstatter der letzten Legislatur, Stefan Berger (CDU), habe die Arbeit an einer gemeinsamen Parlamentsposition immer wieder verzögert, beschwerten sich die zuständigen Abgeordneten von S&D (Sozialdemokraten), Renew (Liberale) und Grünen.
Nun ist der Ex-Zentralbanker und spanische Abgeordnete Navarrete am Zug. Auch er ist ein Kritiker des Digitalen Euro, selbst wenn er das im Ausschuss abstritt. Seine Haltung spiegelt sich in seinem Bericht wieder. Er setzt nach wie vor auf eine private Lösung – und eine Aufteilung des Digitalen Euro.
Der Digitale Euro (D€) soll auch laut Vorschlag der EZB in zwei Systemen kommen. Ein Online-System, das mit dem eigenen Bankkonto verknüpft ist und das man etwa für Online-Einkäufe nutzen könnte. Und ein Offline-System, das nicht nur ohne Verbindung zum Zahlungssystem oder Internet funktioniert, sondern auch „Bargeld-ähnliche“ Anonymität garantieren soll.
Online-D€? Nur unter einer Bedingung!
Nur zu letzterem bekennt sich Navarrete. „Das Offline-System bringt eine zusätzliche Resilienz“, sagte er im Ausschuss. Der Online-€ solle nur unter einer Bedingung kommen: Wenn es bis zu seiner Einführung keine paneuropäische private Lösung gebe, die marktfähig ist. „Die EZB sollte nur dann einschreiten, wenn es hier ein Marktversagen gibt“, sagte Navarrete im Ausschuss.
Denn aus seiner Sicht ist „die einzige legitime Motivation“ für den D€ die digitale Souveränität und damit die Reduktion der Abhängigkeit des europäischen Zahlungsverkehrs von nicht-europäischen Dienstleistern. Aktuell funktioniert das grenzüberschreitende Bezahlen vor oft nur mit Mastercard und Visa oder Anbietern wie PayPal.
Wero aktuell nur in drei EU-Ländern
Aus Sicht von Navarrete sei man aktuell „näher als je zuvor“ an der Verwirklichung europäischer Souveränität im Zahlungsbereich. Navarrete spielte damit vermutlich auf „Wero“ an.
Wero ist der jüngste Versuch der European Payment Initiative (EPI), ein europäisches Zahlungssystem zu etablieren. Die EPI ist ein Zusammenschluss von europäischen Banken und Zahlungsdienstleistern, aus Deutschland sind unter anderem die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Deutsche Bank an Bord.
Wero steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Es ist bisher nur 75 Prozent der privaten Bankkunden zugänglich und auch das nur in Belgien, Deutschland und Frankreich. Die Niederlande und Luxemburg sollen im kommenden Jahr folgen.
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Das Hauptargument ist Souveränität
Navarretes Entwurf und sein Auftritt im Ausschuss stießen auf Kritik – nicht nur im Parlament, sondern auch in der Zivilgesellschaft. So sagte Carolina Melches, bei der NGO Finanzwende zuständig für den D€, zu netzpolitik.org: „Der Digitale Euro ist bisher unsere beste Chance, die bestehende Abhängigkeit von US-Konzernen im Zahlungsverkehr zu reduzieren und drohende Abhängigkeiten etwa von Big Tech-Konzernen im Zahlungsverkehr abzuwenden.“ Die Online-Variante des Digitalen Euros zu verzögern, sei eine riskante Wette auf Kosten von Europas Souveränität.
Das sehen die vier europäischen Fraktionen The LEFT (mit der deutschen Die Linke), Grüne (mit den Grünen und Volt), Renew (mit den deutschen Parteien FDP und Freie Wähler) und die Socialist&Democrats (SPD) genauso. So warnt Damian Boeselager (Volt) in einer Pressemitteilung: „Wenn Washington es will, könnte es unser Zahlungssystem lahmlegen – und zwölf Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts wären von einem Tag auf den anderen vernichtet.“
Private Lösung zu spät und zu teuer
Ähnlich sehen das die Sozialdemokrat:innen im EU-Parlament. „Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus den Geldbeuteln der Bürger zu den Zahlungsdienstleistern außerhalb Europas – und mit ihnen die Zahlungsdaten“, sagte Nikos Papandreou, der den D€ für seine Fraktion verhandelt. „Wir haben 20 Jahre auf eine private Lösung gewartet – es gibt keine!“ Für ihn sei der Vorschlag von Navarrete „keine Strategie, sondern Paralyse“, sagte der Grieche unter Applaus im ECON-Ausschuss.
Eine privatwirtschaftliche Lösung birgt zudem die Gefahr, dass Händler unter hohen Abgaben leiden. Händler sollten von einem digitalen europäischen Zahlungssystem profitieren und nicht gleich schlecht dastehen, sagte etwa Damian Boeselager im Ausschuss.
Die vier progressiven Fraktionen betonen im Ausschuss unisono, dass die Online-Funktion das Kernstück des D€ sei, nicht seine Offline-Variante. „Es kann keinen Offline-D€ ohne die Online-Version geben“, sagte etwa der italienische Abgeordnete Gaetano Pedullà aus der Fraktion The Left. Ein reines Offline-System wäre etwa im Online-Handel nicht anwendbar. Aus Sicht von Boeselager (Volt) würde ein reiner Offline-D€ „viele Vorteile eines digitalen Euro verschenken, ihn für Nutzerinnen und Nutzer weniger attraktiv machen und weit hinter dem möglichen Potenzial zurückbleiben.“
Gilles Boyer aus der Renew-Fraktion sieht die stärkere Rolle der EZB bei digitalen Zahlungen positiv. In einer zunehmend digitalen Welt müsse es auch öffentliches Geld geben, forderte der französische Abgeordnete. „Öffentliches Geld“ meint: von der Zentralbank geschaffenes und garantiertes Geld wie Bargeld. „Privates Geld“, also Buch- oder Giralgeld, existiert hingegen nur auf den Konten der privaten Banken.
Rechtsextreme gegen den D€
Neben seiner eigenen Fraktion unterstützte auch die euroskeptisch-rechtspopulistische Fraktion ECR Navarretes Bericht. In dieser sind etwa die Mussolini-verehrende Partei von Giorgia Meloni, Fratelli die Italia, sowie die polnische PiS organisiert. Der kroatische Abgeordnete Stephen Bartulica sagte, er unterstütze den Vorschlag, dem Privatsektor mehr Zeit zu verschaffen. Die EZB würde in den Markt eingreifen und ihre Aufsichtsrolle verlassen. Die einzig andere existierende Digitale Zentralbankwährung gebe es in China. Auch in Europa werde die Digitale Währung „von oben oktroyiert“.
Die Erzählung von einer übergriffigen, alles überwachenden Zentralbank findet vor allem auf der rechtspopulistischen und rechtsextremen Seite großen Anklang. Rechtsextreme und Libertäre mobilisieren seit langem gegen den D€ und nutzen ihn für Verschwörungserzählungen, berichten etwa Tagesschau und Politico.
EU-Kommission, EZB und demokratische Parlamentarier:innen betonen immer wieder, dass der D€ Bargeld keinesfalls ersetzen solle. „Niemand wird verpflichtet, den Digitalen Euro zu nutzen.“ Weder die Kommission noch Parlament und Rat wollten das Bargeld abschaffen, betonte der Renew-Abgeordnete Boyers. Ein Teil des Gesetzgebungs-Pakets zum D€ ist deshalb auch die „Legal Tender“-Verordnung, die die gesetzliche Rolle von Bargeld als Zahlungsmittel festschreibt.
Viel Arbeit für den Ausschuss
Die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament machen es den Befürworter:innen eines Digitalen Euros nicht leicht. Gemeinsam mit der euroskeptischen und rechtspopulistischen ECR-Fraktion sowie den beiden rechtsextremen Fraktionen PfE (unter anderem FPÖ, Front National sowie Vox aus Spanien) und ESN (unter anderem AfD) hat die EVP eine Mehrheit. Immer wieder stimmt die EVP mit den extrem rechten Parteien, etwa um Klima- und Umweltschutzregeln abzuschwächen.
Ob die EVP bei diesem Thema mit Rechtspopulisten oder Rechtsextremen kooperiert, ist bislang unklar. Im Unterschied zu den Parteien rechts seiner Fraktion betonte der EVP-Abgeordete Navarrete, sein Vorschlag sei nicht gegen den Digitalen Euro gerichtet, er würde dessen Einführung auch nicht verzögern. Sein Fraktionskollege Markus Ferber (CSU), der in der letzten Legislaturperiode ebenfalls als Verzögerer des D€ galt, will sich bei dem Projekt nicht zeitlich unter Druck setzen lassen: „Wir haben nur einen Schuss frei und der muss sitzen.“
Wollen sich EVP und die progressiven Fraktionen annähern, braucht es wohl noch viele Verhandlungen. Bis zum 12. Dezember müssen alle Änderungsanträge zum Entwurf von Navarrete feststehen, Ende Januar sollen diese im Ausschuss debattiert werden. Seine endgültige Verhandlungsposition will das Europäische Parlament im Mai 2026 beschließen. Danach geht es in den Trilog, also die Verhandlungen zwischen Parlament, EU-Kommission und Ministerrat.
Was macht der Ministerrat?
Letzterer ist die Vertretung der EU-Mitgliedstaaten. Die Regierungen haben zuletzt im Europäischen Rat ihre Unterstützung des Projekts betont. „Wir begrüßen die jüngsten Fortschritte bei der Weiterentwicklung des Projekts zum digitalen Euro und betonen, wie wichtig es ist, die Gesetzgebungsarbeiten zügig abzuschließen und andere vorbereitende Schritte zu beschleunigen“, hieß es in der Abschlusserklärung des Treffens.
Die EU-Finanzminister haben sich derweil schon mit der EZB geeinigt, dass sie das letzte Wort bei den Haltelimits für den Digitalen Euro haben. Solche Begrenzungen sollen die Menge der D€ begrenzen, die ein Mensch gleichzeitig halten kann. Das soll verhindern, dass zu viel Geld von den Konten der Geschäftsbanken verschwindet.
Im Gespräch sind Haltelimits von 500 bis 3000 D€. Laut Einigung soll die EZB die genaue Grenze festlegen, die Finanzminister sollen aber die Obergrenze dieser Limits gemeinsam entscheiden dürfen.
Die dänische Ratspräsidentschaft plant, die Einigung der Mitgliedstaaten auf eine Position bis Ende des Jahres auszuverhandeln.
EZB plant schon die Umsetzung
Während die Verhandlungen der EU-Gesetzgeber noch laufen, schreitet die Europäische Zentralbank mit der Umsetzung voran. Letzte Woche teilte die EZB mit, dass sie beim D€ in die nächste Phase übergehe.
In dieser will die EZB weiterhin die technischen Voraussetzungen für eine mögliche Einführung eines digitalen Euro vorbereiten. „Damit wollen wir sicherstellen, dass das Eurosystem bereit ist, die nächsten möglichen Schritte zu gehen, sobald die Rechtsvorschriften in Kraft sind“, sagte eine EZB-Sprecherin auf Anfrage von netzpolitik.org.
Der endgültige Beschluss des EZB-Rats darüber, ob und wann ein digitaler Euro ausgegeben wird, werde erst dann getroffen, wenn die Rechtsvorschriften angenommen worden sind, teilte die EZB weiter mit. „Unter der Annahme, dass die EU-Mitgesetzgeber die Verordnung zur Einführung des digitalen Euro im Jahr 2026 annehmen, könnten ein Pilotprojekt und erste Transaktionen ab Mitte 2027 stattfinden.“ Die Ausgabe des Digitalen Euro könnte dann im Jahr 2029 starten.
Vorausgesetzt, das Parlament spielt mit.