Künstliche Intelligenz
Datenzugang für Forscher: Gericht hebt Verfügung gegen X auf
Der Rechtsstreit zwischen der Organisation Democracy Reporting International (DRI) und dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) um den Zugang zu Daten für Forschungszwecke ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen: Nach der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht Berlin die zunächst gegen X erlassene Einstweilige Verfügung wieder kassiert. Im konkreten Fall muss X der Organisation nun keinen Datenzugang mehr geben. DRI wertet das dennoch als Teilerfolg (Az. 41 O 140/25 eV).
Der Antrag auf Einstweilige Verfügung sei zulässig, aber nicht begründet, entschied das Gericht nach der Verhandlung im Mai. Zwar könne sich DRI auf den Digital Services Act (DSA) berufen und Zugang zu Daten der Plattform verlangen, so die Richter laut der inzwischen veröffentlichten Urteilsbegründung. Die für eine Einstweilige Verfügung notwendige Eilbedürftigkeit sei aber nicht begründet gewesen.
Streit um Forschungsdaten
Der Streit schwelt seit über einem Jahr. Im April 2024 hatte DRI für eine Untersuchung politischer Diskurse auf Social-Media-Plattformen im Vorfeld von Wahlen in EU-Mitgliedstaaten den Zugang zu allen öffentlich auf X verfügbaren Daten gefordert. Dabei berief sich DRI auf den Digital Services Act. Der DSA sieht vor, dass sogenannte sehr große Online-Plattformen – zu denen X zählt – einen API-Zugang zu Daten für Forschungszwecke bereitstellen müssen.
X hat dem offenbar nicht sofort stattgegeben, sondern wiederholt Rückfragen gestellt und eine Entscheidung so weiter verzögert. DRI hat dem sozialen Netzwerk daraufhin ein Ultimatum bis zum 1. Juli 2024 gesetzt und mit einer Beschwerde nach dem DSA gedroht. Nach mehrfacher Verzögerung durch X stellte DRI im Januar 2025 einen zweiten Antrag auf Datenzugang zur Erforschung der Bundestagswahl und bat um Entscheidung binnen einer Woche.
Als X die Entscheidung auch nach einer weiteren Fristsetzung nicht treffen wollte, beantragte DRI mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine Einstweilige Verfügung beim Landgericht Berlin. Dem hat das Gericht am 6. Februar stattgegeben und ohne Anhörung von X eine Einstweilige Verfügung erlassen, die Plattform müsse den Forschern einen unbeschränkten Zugang zu allen öffentlich verfügbaren Daten von X gewähren.
Gefahr der Befangenheit
X hat gegen diese Entscheidung erwartungsgemäß Widerspruch eingelegt. Zugleich stellte das Unternehmen einen Ablehnungsantrag gegen den Richter, der die Einstweilige Verfügung erlassen hat. Der Richter hatte drei Monate seines Referendariats als Mitarbeiter der GFF verbracht. Das Landgericht Berlin sah darin genug Anlass für Zweifel an der Unparteilichkeit der Kammer und hat den Richter von dem Fall abgezogen.
Daten hat DRI bisher nicht erhalten. Für die Hauptverhandlung im Mai hatte die Organisation dann beantragt, den Fall für erledigt zu erklären und die Kosten X aufzuerlegen. Schließlich war die Bundestagswahl schon gelaufen und das konkrete Projekt damit erledigt. Auch dürfte dabei eine Rolle gespielt haben, dass DRI und GFF eine widrige Entscheidung in der Sache vermeiden wollten.
X beantragte, die Einstweilige Verfügung aufzuheben. Einerseits sei das Landgericht Berlin international nicht zuständig, andererseits verstoße der Erlass einer Einstweiligen Verfügung ohne Anhörung gegen die Waffengleichheit vor Gericht. Auch sei die Dringlichkeit nicht gegeben.
Gericht hebt Verfügung auf
Das Landgericht hat den neuen Antrag der DRI abgewiesen und die Einstweilige Verfügung aufgehoben. Die Kosten haben DRI und GFF zu tragen. Damit folgte das Gericht im Wesentlichen dem Antrag von X. Zwar sei der ursprüngliche Antrag zulässig gewesen, doch hielt die Kammer ihn nicht für ausreichend begründet. DRI habe den Antrag so spät gestellt, dass von der für eine Verfügung erforderlichen Dringlichkeit nicht mehr auszugehen war.
DRI und GFF werten die Entscheidung dennoch als Teilerfolg. Zwar ist nicht mehr von einem „Starken Zeichen für den Grundrechtsschutz“ die Rede, aber die bestätigte Zuständigkeit eines deutschen Gerichts werten die Organisationen als Fortschritt. Damit müsse man nicht am europäischen Sitz von X in Irland klagen.
Die Entscheidung „bestätigt, dass sich Forscher an ihre nationalen Gerichte wenden können, wenn Plattformen den Zugang zu Daten verweigern oder die Recherche von Daten erschweren“, sagte DRI-Chef Michael Meyer-Resende.
DRI ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit Hauptsitz in Berlin. Über Forschung und Analyse hinaus setzt sie sich in verschiedenen Ländern auch direkt für die Stärkung demokratischer Strukturen ein. Neben einigen europäischen Ländern sind das zahlreiche Staaten in Asien und Afrika, darunter Libyen, Kongo und Sri Lanka.
Die Organisation wird dabei maßgeblich von der Bundesregierung und der EU finanziert. In ihrem letzten veröffentlichten Jahresbericht weist DRI für 2023 Einnahmen von knapp 6,7 Millionen Euro aus. Davon kamen 3,2 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt, 1,8 Millionen Euro von der EU und 475.000 Euro vom niederländischen Außenministerium. Weitere 530.000 Millionen Euro steuerte die Stiftung Mercator bei.
(vbr)