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Datenschutz & Sicherheit

„Wie schön es ist, dass ich das jetzt weiß!“


Sigrid* reißt die Augen auf, als hätte sie einen Zaubertrick gesehen. „Ach so!?“, ruft sie erstaunt. Sie nimmt ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und beugt sich langsam immer weiter über ihren Laptopbildschirm, studiert das Abgebildete ganz genau. „Das ist ja klasse“, flüstert sie.

Sigrid hat gerade gelernt, dass man mithilfe von Tabs mehr als eine Internetseite auf einmal öffnen kann. Dabei ist sie technisch eigentlich gar nicht sehr unbedarft. Sie sagt stolz von sich, dass sie ihren Laptop „für die Dinge, die ich brauche, zu 90 Prozent beherrsche.“

Sigrid ist heute in die Berliner Amerika-Gedenkbibliothek gekommen, weil sie das Finanzamt fürchtet. Sie hat die Abgabefrist für ihre Steuererklärung bereits überzogen und kommt an einem bestimmten Punkt der Steuersoftware Elster nicht weiter. Doch als sie das Problem präsentieren will, ergibt sich eine noch viel elementarere Schwierigkeit: Sigrid hat ihr Passwort vergessen. Bei Elster lässt sich das nicht einfach nur per E-Mail zurücksetzen. Sigrid muss sich online authentifizieren. Sie hat keine Ahnung, wie das geht.

Die Digitalisierung schließt viele Menschen aus

Je umfassender die Digitalisierung in unseren Alltag eingreift, je öfter es für Services keine analoge Alternative mehr gibt, desto weiter werden all jene abgehängt, für die der Umgang mit der digitalen Welt eine Herausforderung darstellt. Alte Menschen, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen mit sensorischen Beeinträchtigungen beispielsweise. Oder Menschen mit geringem Einkommen. Laut einer Studie zur Digitalkompetenz haben nur 32 Prozent von ihnen digitale Grundkenntnisse.

In einer Studie zur digitalen Teilhabe fanden 80 Prozent der Befragten, dass Menschen, die sich im Digitalen schlecht auskennen, es im Alltag zunehmend schwer haben. Lena Zerfowski soll solchen Menschen helfen. Die 28-Jährige ist Digitallotsin im Pilotprojekt Digitalzebra, das die Berliner Bibliotheken aufgesetzt haben. Dort sollen Menschen, die sich mit Technik schwertun, Unterstützung beim Zugang zu digitalen Angeboten bekommen.

Bislang bleibt jenen, die an digitalen Herausforderungen scheitern, nur die Hoffnung, dass technikaffine Bekannte oder Familienmitglieder ihnen helfen. Die privatwirtschaftlichen Geräte- und Softwareanbieter können und wollen meist nicht assistieren. Die betriebswirtschaftliche Logik verbietet die ausufernde Auseinandersetzung mit themenübergreifenden Problemen von Menschen wie Sigrid. Deshalb beginnt nun die öffentliche Hand, Angebote zu entwickeln, die Digitalisierungsverlierer auffangen sollen. Neben der 1:1-Sprechstunde bei den Digitallots*innen gibt es in Berlin beispielsweise auch Digital-Cafés, wo es eher um Austausch in und mit einer Gruppe geht.

Hilfe zur Selbsthilfe

Sigrid setzt sich neben Lena Zerfowski auf einen Barhocker, wuchtet ihren Laptop auf den Tisch vor den beiden, verlegt das Kabel, steckt es ein und schaltet den Rechner an. Der Bildschirm bleibt sehr lange schwarz. „Er macht irgendwas. Was auch immer“, sagt Sigrid mit Berliner Akzent. „Wir geben ihm mal noch ein bisschen Zeit“, antwortet Zerfowski.

Sigrid trägt eine weißblonde Kurzhaarfrisur und weiße Turnschuhe von Reebok zu weißer Jeans und apricot-farbenem Pullover. Ihr Lippenstift ist pink, ihre Nägel schimmern zartrosa und ihre Brille hat goldene Bügel. Nur die Flecken auf ihren Händen verraten, dass sie vermutlich nicht mehr so jung ist, wie sie wirkt. Ihrem Computer ist das Alter schon leichter anzusehen: Der Laptop ist dick wie ein Band Harry Potter.

Nach einer ganzen Weile ist das Gerät endlich hochgefahren. „Sind Sie schon mit dem Internet verbunden?“, fragt Zerfowski. „Ich denke“, antwortet Sigrid. Zerfowski glaubt das nicht und zeigt ihr, wo in diesem Fall welches Symbol zu sehen wäre und erklärt, wie sie die Ansicht mit den verfügbaren W-LANs öffnet. Sigrid ist ganz erstaunt, wie viele dort sichtbar sind. Dann verbindet sie sich mit dem Bibliotheksnetzwerk. Das dauert vermutlich ein Vielfaches der Zeit, die Zerfowski gebraucht hätte, um das Gerät selbst ans Netz zu bringen, doch das ist Teil des Konzepts: Hilfe zur Selbsthilfe.

„Damit sich jeder willkommen und wohl fühlt“

Lena Zerfowski hat eine Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste gemacht, unter den Digitallots*innen sind aber auch Quereinsteiger*innen, ein Mediendesigner zum Beispiel. Als Digitallots*in absolviert man zudem zahlreiche Fortbildungen: bei der Polizei zu Internetbetrug, bei der Verbraucherzentrale zu Onlinetransaktionen, bei Vereinen für Seh- und Hörbehinderungen zum Thema Barrieren. „Da haben wir gelernt, dass wir klar sprechen müssen, den Mund nicht verdecken dürfen und die Person, mit der wir sprechen, anschauen sollen, damit sich jeder willkommen und wohl fühlt“, sagt Lena Zerfowski.

Sigrid öffnet den Firefox-Browser. „Ich gehe jetzt zu Elster“, sagt sie. Und muss wieder eine ganze Weile lang warten. Sigrid stützt das Kinn auf den Handrücken, hebt es und legt den Zeigefinger an die Schläfe, dann tippt sie sich an den Mundwinkel. „Warum macht der nix. Das ist jetzt komisch“, murmelt sie. Dann öffnet sich die Seite der Steuerverwaltung. Die Zertifikatsdatei findet Sigrid, aber dann fällt ihr, wie erwähnt, ihr Passwort nicht ein. Um es zu finden, versucht sie, die Zertifikatsdatei zu öffnen. Zerfowski erklärt ihr, dass das nicht geht und zeigt ihr den „Passwort vergessen“-Button.

Um ein neues Passwort zu vergeben, braucht Sigrid ihren Benutzernamen. Der steht in einer E-Mail des Finanzamtes. Aber wie soll sie da rankommen? Sie hat ja nun schon die Elster-Website im Browser geöffnet. Zerfowski zeigt ihr den Trick mit dem neuen Tab. Kurz darauf bekommt Sigrid noch einen Skill beigebracht: Wie man Zeichen kopiert und anderswo wieder einfügt. Sigrid ist begeistert. Doch beim Sicherheitscode, den sie kurz darauf per Mail bekommt, funktioniert das nicht.

„Wie soll das gehen?“

„Sie merken sich einfach die ersten drei Zeichen und ich die letzten drei“, sagt Zerfowski. „Ich glaube, das ist eine blöde Idee, ich habe ein bisschen Gedächtnisprobleme“, sagt Sigrid. „Wir schaffen das schon“, sagt Zerfowski und behält recht. Doch um ein neues Passwort zu vergeben, muss Sigrid jetzt erst einmal ihre Identität verifizieren. „Wie soll das gehen?“, fragt sie.

Die Lots*innen tauschen sich regelmäßig über besondere Fälle aus, auch um die persönliche Aufarbeitung zu erleichtern. „Eine Frau, die wegen häuslicher Gewalt eine Wohnung sucht. Ein Mensch, der seinen digitalen Nachlass regeln will, weil er schwer erkrankt ist. Solche Fälle machen etwas mit einem“, sagt Olaf Wolter, einer von zwei Leitern des Projekts. Teil der Lots*innen-Arbeit ist auch die Vermittlung ins Hilfesystem, etwa zu spezialisierten Beratungsstellen. Wiederkehrende Probleme mit bestimmten Anwendungen melden die Lots*innen auch an deren Hersteller zurück, beispielsweise Banken oder das Arbeitsamt.

Sigrid wird nun in die Wunder der Online-Identifikation eingeführt. Sie wedelt nach Zerfowskis Anleitung mit ihrem Ausweis vor der Kamera und spricht zufällig generierte Worte in ein Selfie-Video. Nun muss sie 15 Minuten warten. Sigrid sagt: „Das ist nicht sehr benutzerfreundlich. Allein hätte ich mich da nie durchgewurschtelt.“ Lena Zerfowski sagt: „Wir versuchen, den Digitalzwang aufzufangen. Wenn es nur noch digital geht, brauchen die Leute eine Anlaufstelle.“

Der Hilfsbedarf ist hoch

In diesem Moment spricht eine Kollegin Zerfowski an. Es gäbe da noch eine Nutzerin, die gerne von Zerfowski beraten werden würde. Krystyna* war schon eine Weile interessiert um die Beratungsbox herumgestreift. Sie trägt ihre grauen Locken offen, eine Nickelbrille, Skinny Jeans, schwarze Lacksneaker mit weißer Sohle, eine Jeansweste über einem T-Shirt. Sie sieht aus, als wolle sie eigentlich zu einem Heavy-Metal-Konzert und ein bisschen wie die Antithese zu der blütenweiß-schicken Sigrid. Zerfowski fragt Sigrid, ob das in Ordnung ist, wenn sie sich in der Wartezeit um Krystyna kümmert. Sie bejaht.

Der Bedarf an Dienstleistungen wie denen der Digitallots*innen vom Digitalzebra-Projekt ist hoch. Wöchentlich nehmen etwa 350 Nutzer*innen die Angebote von Digitalzebra in Berlin wahr, Tendenz steigend. Einen Termin brauchen sie nicht. Dass Menschen warten müssen, weil gerade noch andere beraten werden, kommt regelmäßig vor.

Illustration eines Zebras, das Outfit und Kellen eines Einweisers auf dem Flughafen-Rollfeld trägt.
Dieses Zebra ist das Maskottchen des Projekts. Digital-Zebra heißt dieses, weil auch der Zebrastreifen einen sicheren Überweg garantieren soll – so wie die Digitallots*innen den Weg ins Netz begleiten. Schwarz und weiß stehe zudem für die Binarität, die der Digitalisierung zugrunde liegt. – Alle Rechte vorbehalten VÖBB/ZLB, Zeichnung: Jens Nordmann

26 Bibliotheken sind aktuell beteiligt, demnächst sollen es 28 sein. Anfangs war mit viel weniger geplant, doch zahlreiche Bibliotheken haben sich aus eigenem Antrieb angeschlossen und ihre Mitarbeiter*innen zu den Fortbildungen für Digitallots*innen geschickt. Das Projekt wird vom Berliner Senat gefördert, läuft seit September 2023 und ist bis zum Februar 2026 befristet. Danach soll es Teil des Regelangebots der Berliner Bibliotheken werden.

„Wow“

Krystyna schildert ihr Problem: „Ich soll 80 Euro für eine PDF-App zahlen. Ich will das nicht! Ich habe doch schon eine App für PDF“, sagt sie empört. „Wo haben Sie diese Forderung denn gesehen?“, fragt Zerfowski. „Das war, als ich auf Öffnen geklickt habe.“ Zerfowski zeigt Krystyna, wo sie sieht, welche Berechtigungen die entsprechende App hat, nämlich keine. „Ja, aber sie kommt immer wieder“, sagt Krystyna. „Die haben gesagt, wenn ich nicht bis morgen kündige, kostet das 80 Euro.“

„Also diese App kostet nichts und es gibt auch keine In-App-Käufe“, sagt Zerfowski. Sie und Krystyna sitzen sich gegenüber. „Sie können das lesen, wenn es auf dem Kopf steht?“, fragt Krystyna erstaunt. „Ja“, antwortet Zerfowski. Krystyna sagt: „Wow“.

Zerfowski findet heraus, dass Krystyna insgesamt vier PDF-Apps installiert hat. Bei einer davon gibt es In-App-Käufe. Zerfowski vermutet, dass diese App die Zahlungsaufforderung angezeigt hat. Dann schaut sie wieder nach Sigrid. Die sitzt tatenlos vor der Notiz, dass die Online-Legitimierung funktioniert hat. „Ich habe gewartet, weil ich nichts falsch machen wollte“, sagt Sigrid. Jetzt darf sie ein neues Passwort vergeben. Zerfowski dreht sich weg, Sigrid tippt entschlossen. Damit sie das Passwort nicht wieder vergisst, schreibt sie es zusätzlich auf die erste Seite ihres papierenen Terminkalenders.

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„Ich tippe, aber es passiert nichts“

Die Nutzer*innen des Angebots sind meist ältere Menschen. Aber auch unter Jüngeren gibt es welche, die beispielsweise nicht wissen, wie man eine Powerpoint-Präsentation erstellt, und deshalb Hilfe suchen. Von einem jungen Menschen wurde Zerfowski mal gefragt, wie man eine Maus bedient, „weil die nur noch das Touchpad kennen“.

Zerfowski wechselt wieder zu Krystyna. Sie hat die Theorie, dass Krystyna vielleicht ein Adobe-Abo angeboten wurde. „Haben Sie einen E-Reader“, fragt sie. „Einen was?“ „Ein Gerät, mit dem sie E-Books lesen können.“ „So etwas habe ich nicht. Aber ich habe noch ein anderes Problem. Wenn jemand anruft, weiß ich nicht, wie ich rangehen soll. Ich tippe, aber es passiert nichts.“

Zerfowski holt ihr Arbeitstelefon heraus und lässt Krystyna ihre Nummer eingeben, dann tippt sie auf den grünen Hörer. Auf Krystynas Bildschirm erscheint ein Anruf. „So sieht das aus, da kann ich nix tippen“, sagt sie. Zerfowski macht ihr vor, wie sie das Hörersymbol zur Seite zieht, um den Anruf anzunehmen.

„Ah“, ruft Krystyna, klatscht die Hände zusammen und hebt sie in einer betenden Geste. Zerfowski ruft sie noch einmal an und lässt sie diesmal selbst abheben. Krystyna strahlt und sagt „Dankeschön“. Als sie die Bibliothek verlässt, raunt sie einem Bibliotheksmitarbeiter zu: „Die ist ganz gut“ und zeigt dabei auf Zerfowski. „Für uns ist es vielleicht nur ein kleines Problem, aber für die Person kann es riesig wirken“, sagt die.

Wie Lena Zerfowski Sigrid vor Ärger mit dem Finanzamt rettet

Zurück zu Sigrid. Die ist nun endlich in ihrem Elster-Account und kann das eigentliche Problem suchen, die Stelle, an der es nicht weitergeht. „Sekunde. Ich bin völlig durch den Wind. Ah, hier ist es!“ Sigrid möchte eine Mietwohnung, die ihr gehört, angeben. „Aber der meckert mich dann immer an und sagt, ich hätte eine Ferienwohnung eingetragen. Ich habe mir das schon hundert Mal angeschaut, aber finde den Fehler nicht“, sagt sie.

Zerfowski lernt selbst viel bei der Arbeit, beispielsweise Videoschnitt, als jemand Hilfe mit seinen Urlaubsfilmen suchte. Sie erarbeitet sich die Lösung für das jeweilige Problem gemeinsam mit den Nutzer*innen, ruft zum Beispiel auch mit diesen gemeinsam bei einer Hotline an, wenn sie selbst nicht mehr weiter weiß.

„Im Grunde freut das die Person, wenn ich sage: Tut mir leid, das weiß ich auch nicht. Weil die sich dann nicht blöd fühlt. Deshalb gehen wir offen damit um, etwas nicht zu wissen und lernen dann was zusammen. Das ist ein schöner Prozess“, sagt Zerfowski. Informationen, die die Lots*innen bei der Arbeit gewinnen, tragen sie in ein Wiki ein, damit die Hilfe bei der nächsten Person mit dem gleichen Problem einfacher ist.

Zerfowski probiert einfach mal, was passiert, wenn sie eine bestimmte Zeile, in der Sigrid „0“ eingetragen hat, leer lässt. Und siehe da, es funktioniert. „Ich könnte Sie umarmen! Das hätte ich alleine nie hingekriegt. Ich freue mich ganz doll. Wissen Sie, wie viele schlaflose Nächte mich das gekostet hat?“, sagt Sigrid.

Zerfowski erzählt Sigrid noch, dass ihr Laptop mit Windows 10 läuft und das ab Oktober nicht mehr unterstützt wird. Wenn sie Hilfe bei der Umstellung auf Linux wolle, solle sie einfach wiederkommen. In Berlin-Marienfelde, wo Sigrid lebt, gäbe es übrigens auch Digitallots*innen, die ihr helfen könnten. Sigrid antwortet: „Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie schön es ist, dass ich das jetzt weiß.“

*Name geändert



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Brüssel räumt ein: Substanzielle EU-Gelder sind an Spyware-Hersteller geflossen


Die EU-Kommission hat angekündigt, sie werde „unverzüglich“ die Finanzierung von Einzelpersonen oder Organisationen stoppen, die in „schwerwiegendes berufliches Fehlverhalten“ verwickelt sind. Hintergrund ist eine Recherche von Follow the Money (FtM), wonach in den vergangenen Jahren EU-Gelder in Millionenhöhe direkt an kommerzielle Spyware-Firmen geflossen sind.

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Das Portal FtM deckte im September in Zusammenarbeit mit anderen Medienpartnern auf, dass die Spyware-Industrie hohe Subventionen von der EU kassiert und gleichzeitig deren Bürger überwacht. Demnach hat etwa die Intellexa-Gruppe, die den Staatstrojaner Predator entwickelt, über mit ihr verbundene Firmen öffentliche Finanzspritzen insbesondere über Innovationsprogramme eingesackt. Cognyte, CyGate und Verint sollen als weitere Produzenten von Überwachungstechnologien wie Spyware ebenfalls finanzielle Unterstützung aus EU-Quellen erhalten haben. Deren Lösungen werden häufig im Kontext von Menschenrechtsverletzungen genannt.

39 EU-Abgeordnete aus vier Fraktionen forderten daraufhin in einem gemeinsamen Brief von der Kommission konkrete Antworten. Die Volksvertreter monierten, die EU finanziere – offenbar ungewollt – Instrumente, die in Mitgliedstaaten wie Polen, Griechenland, Ungarn sowie autoritären Drittländern für Repressionszwecke eingesetzt wurden beziehungsweise werden. Dies untergrabe die Grundrechte und die Demokratie.

Die Kommission hat es laut dem Schreiben offensichtlich versäumt, die Vertrauenswürdigkeit, Eigentümerstruktur und Menschenrechtskonformität der Unternehmen zu prüfen. Die geforderten Endnutzer-Klauseln oder Dual-Use-Kontrollen, ob ein Produkt sowohl zivil als auch militärisch und polizeilich missbraucht werden könne, würden anscheinend nicht wirksam durchgesetzt. Die Enthüllungen zeigten, dass die Brüsseler Regierungsinstitution Empfehlungen aus dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Spyware-Skandalen in dem hochsensiblen Bereich nicht ausreichend befolge.

In ihrer Stellungnahme erläutert die Kommission laut einem Newsletter von FtM, dass Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste Spyware „rechtmäßig für legitime Zwecke einsetzen“ dürften. Sie versäume es jedoch, alle EU-Programme aufzulisten, von denen Überwachungsunternehmen profitiert haben. Es fehlten insbesondere Angaben zu Zuschüssen aus dem Europäischen Sozialfonds und einem weiteren Finanztopf, die an die italienische Überwachungsfirma Area vergeben worden seien.

Auch Geldflüsse an den berüchtigten Spyware-Hersteller Hacking Team erwähne die Exekutivinstanz nicht, heißt es weiter. Selbst die jüngsten Überweisungen aus dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) an die israelische Spyware-Firma Paragon Solutions, die derzeit im Zentrum eines Skandals in Italien steht, blieben unerwähnt. Anstatt neue Schutzmaßnahmen vorzuschlagen, verweise die Kommission nur auf den bestehenden Rechtsrahmen zum Schutz vor dem illegalen Einsatz von Spyware.

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Die EU-Exekutive „versteckt sich hinter vagen Verweisen auf ‚EU-Werte“, kritisiert Aljosa Ajanovic Andelic von der Initiative European Digital Rights (EDRi) die Antwort gegenüber FtM. Dabei gebe sie offen zu, „dass europäische Gelder Unternehmen finanziert haben, deren Technologien zur Spionage gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger eingesetzt werden“. Das belege das völlige Fehlen effektiver Kontrollmechanismen. Die Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann rügt, dass die Kommission dem Ausschussbericht in den vergangenen zwei Jahren kaum Taten habe folgen lassen.


(akn)



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Zero-Day-Lücke bei LNK-Anzeige in Windows gegen Diplomaten missbraucht


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It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Eine Zero-Day-Lücke bei der Anzeige von LNK-Dateien in Windows wurde Ende August dieses Jahres bekannt. Microsoft plant bislang keine Korrektur und stuft sie anders als die Zero Day Initiative (ZDI) von Trend Micro nicht als hochriskant ein. Das IT-Sicherheitsunternehmen Arctic Wolf hat Angriffe gegen europäische Diplomaten unter Missbrauch dieser Schwachstelle beobachtet.

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In einer Analyse von Arctic Wolf schreiben die IT-Forscher, dass die mit China in Verbindung stehende Cybergruppierung UNC6384 eine aktive Spionagekampagne gegen europäische Diplomaten und diplomatische Einrichtungen etwa in Belgien, Italien, den Niederlanden, Serbien und Ungarn sowie die weitere europäische diplomatische Gemeinschaft ausgeführt hat. Die Kampagne nutzt die LNK-Anzeigeschwachstelle in Windows aus und lief im September und Oktober dieses Jahres. Zudem setzen die Angreifer auf angepasstes Social Engineering.

Die Angriffskette fängt mit Spearphishing-E-Mails an, die eine URL enthalten, die die erste von mehreren Stufen darstellt. Am Ende münden die in der Auslieferung einer bösartigen LNK-Datei, die sich namentlich um Themen von Treffen der EU-Kommission, Workshops mit NATO-Bezug und multilateralen diplomatischen Koordinierungs-Events drehen.

„Diese Dateien nutzen die kürzlich bekannt gewordene Windows-Sicherheitslücke aus, um verschleierte PowerShell-Befehle auszuführen. Die entpacken und verteilen eine mehrstufige Malware-Kette, was schließlich zur Verteilung des PlugX-Remote-Access-Trojaners (RAT) durch DLL-Side-Loading legitimer, signierter Canon-Druckerassistenzprogramme führt“, erklären die IT-Forscher von Arctic Wolf.

Die von Microsoft nicht als behebenswert eingestufte Schwachstelle wird also aktiv in Angriffen von Kriminellen missbraucht. Als Gegenmaßnahme steht daher kein Patch von Microsoft zur Verfügung. Arctic Wolf empfiehlt unter anderem, die Nutzung von .lnk-Dateien aus fragwürdigen Quellen zu blockieren und zu beschränken. Dazu sei die Deaktivierung der automatischen Auflösung im Windows Explorer geeignet. Das sollte auf allen Windows-Endpoints umgesetzt werden. Wie das am einfachsten gelingt, ob es etwa eine Gruppenrichtlinie dafür gibt, erörtert Arctic Wolf hingegen nicht konkreter.

Die IT-Forscher nennen noch einige Indizien für Infektionen (Indicators of Compromise, IOCs), nach denen Admins suchen können. Dazu gehören einige URLs der Command-and-Control-Infrastruktur. Außerdem könne die Suche nach Canon-Drucker-Assistent-Utilities, im Speziellen der Datei „cnmpaui.exe“, an ungewöhnlichen Orten wie den AppData-Verzeichnissen der User Hinweise liefern.

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Möglicherweise führt der Missbrauch der Schwachstelle im Internet dazu, dass Microsoft seine erste Einordnung korrigiert. Dann könnte das Unternehmen die Sicherheitslücke schließen und dem gegebenen Versprechen entsprechen, IT-Sicherheit als oberste Priorität zu setzen. Derzeit sieht das jedoch eher nach „Security-Theater“ aus.


(dmk)



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Phishing-Opfer geht leer aus: Versicherung lehnt SMS-Betrug ab


Das Landgericht Bielefeld hat in einem Betrugsfall einer Bankkundin, die per SMS auf eine gefälschte Website gelockt wurde, die engen Grenzen des Versicherungsschutzes bei digitalen Betrugsmaschen verdeutlicht. Im Kern geht es darum, dass eine Hausratversicherung mit „Internetzschutz“, die explizit das Phishing durch gefälschte E-Mails abdeckt, keine Schäden reguliert, die durch SMS-Phishing entstehen. Das geht aus einem Hinweisbeschluss der Bielefelder Richter vom 25. September hervor (Az.: 22 S 81/25), über den der IT-Rechtler Jens Ferner und Beck Aktuell berichten.

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Die Volksbank-Kundin hatte eine täuschend echte SMS erhalten, die sie zur Verlängerung der Registrierung ihrer App fürs Online-Banking, der Anwendung VR-SecureGO Plus, aufforderte und sie auf eine gefälschte Login-Seite weiterleitete. Dort gab die Betroffene ihre Zugangsdaten ein und autorisierte so über ihre Legitimations-App unwissentlich die Erstellung einer digitalen Girocard durch die Betrüger, die diese anschließend für Einkäufe in Höhe von fast 5000 Euro nutzten.

Nachdem die Bank eine Erstattung wegen grober Fahrlässigkeit abgelehnt hatte, scheiterte die Klage gegen die Versicherung nicht nur vor dem Amtsgericht Halle/Westfalen. Auch die Berufung vor dem Landgericht ist laut dessen Beschluss aussichtslos, da sie „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“ habe.

Den Bielefelder Richtern zufolge differenzieren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Police, die den Schutz regeln, klar zwischen SMS und E-Mail. Demnach ist eine mobile Kurznachricht „keinesfalls gleichartig“ zu einer E-Mail. Das Landgericht betont, dass SMS im Gegensatz zu E-Mails durch ihren Textumfang begrenzt seien und vor allem die Absenderadresse bei einer E-Post Rückschlüsse auf den Absender zulasse. Eine Rufnummer biete diese Möglichkeit bei der SMS nicht.

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Die Argumentation der Kundin, „E-Mail“ sei als Oberbegriff für elektronische Nachrichten zu verstehen, wies die höhere Instanz zurück. Vielmehr fungiere „elektronische Nachricht“ als Oberbegriff für E-Mails, SMS und Messenger-Nachrichten. Damit habe der klare Wortlaut der Bedingungen einen Phishing-Angriff, der per SMS begann, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

Zudem scheiterte die Klägerin mit dem Versuch, den Vorfall unter den versicherten Begriff des Pharming zu fassen. Eine solche Manipulation der DNS-Anfragen von Webbrowsern setzt laut der 22. Zivilkammer des Landgerichts voraus, dass die Kundin oder der Kunde im Glauben an die Echtheit einer gefälschten Bank-Webseite einen unmittelbaren Zahlungsvorgang ausführen. Die klagende Kundin hatte aber lediglich das Erstellen einer digitalen Girocard autorisiert. Die späteren Schäden seien so nur mittelbar entstanden.

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Auch technisch liegt dem Beschluss nach kein Pharming vor, da dabei der korrekte Aufruf einer Website etwa durch Beeinflussung der Hosts-Datei oder des DNS-Servers umgeleitet werde. Die Kundin sei hier aber durch einen verfälschten Link zur Weitergabe ihrer Daten verleitet worden, was technisch als Phishing zu werten sei.

Die Entscheidung des Landgerichts zeigt, wie eng die Versicherungsbedingungen ausgelegt werden und dass die Versicherer ihre Haftung durch präzise Definitionen der Betrugsmaschen begrenzen. Der Jurist Ferner sieht darin einen wichtigen Hinweis an Verbraucher: Mit dem Fall werde erneut deutlich, „wie wichtig es ist, die Versicherungsbedingungen genau zu lesen“. Viele Kunden gingen angesichts allgemeiner Beschreibungen wie „Internet-Schutz“ davon aus, dass ihre Police sie umfassend vor Betrug im digitalen Zahlungsverkehr schütze. Doch bereits kleine Unterschiede in der Art des Angriffs könnten darüber entscheiden, ob ein Schaden erstattet wird oder nicht.

Ferner zeigt sich damit ein großes Dilemma: Versicherte schließen einen einschlägigen Vertrag ab, um im Schadensfall eine Leistung zu erhalten. Die andere Seite lebe davon, nicht zu zahlen. Die Konsequenz sei, dass Versicherungsnehmer ihre Policen kritisch auf alle relevanten Angriffsvektoren prüfen und nicht nur auf deren Preis achten müssten. Ansonsten bestehe im Schadensfall möglicherweise keine Deckung. Generell fasste der Bundesgerichtshof die Möglichkeiten für Schadenersatz für Phishing-Opfer schon 2012 sehr eng.


(afl)



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