Künstliche Intelligenz
Alibabas LLM Qwen3 auf dem nächsten Level
Mit verhältnismäßig geringem Echo ist am 10.9.2025 ein neues Qwen3-Modell erschienen. Die Randdaten klingen unspektakulär: Es hat 80 Milliarden Parameter, von denen jeweils immer drei Milliarden aktiv sind. Doch die Änderungen haben es in sich und könnten eine mögliche Richtung vorgeben, in die sich Sprachmodelle weiterentwickeln.

ist Data Scientist und Machine Learning Architect. Er promovierte in theoretischer Physik und arbeitet seit 20 Jahren im Bereich großer Datenmengen und Künstliche Intelligenz, insbesondere mit Fokus auf skalierbaren Systemen und intelligenten Algorithmen zur Massentextverarbeitung. Seit 2022 ist er Professor an der TH Nürnberg und konzentriert seine Forschung auf die Optimierung von User Experience mithilfe moderner Verfahren. Er ist Gründer der datanizing GmbH, Referent auf Konferenzen und Autor von Artikeln zu Machine Learning und Text Analytics.
Neue Modellarchitektur
Das Qwen-Team identifiziert die Gesamtzahl der Parameter und die Kontextlänge als größte Engpässe sowohl im Training als auch in der Inferenz. Im Vergleich zu den schon länger verfügbaren Qwen3-Modellen gibt es beim neuen Modell vor allem folgende Innovationen:
- Hybrider Attention-Mechanismus
- Schlanke Mixture-of-Experts-Struktur
- Trainingsoptimierungen
- Vorhersage mehrerer Token
(Bild: Golden Sikorka/Shutterstock)

Die Online-Konferenz LLMs im Unternehmen am 29. Oktober zeigt, wie man das passende Modell auswählt, die Infrastruktur aufbaut und die Sicherheit im Griff behält. Außerdem gibt der Thementag von iX und dpunkt.verlag einen Ausblick auf Liquid Foundation Models als nächste Generation von LLMs.
Hybrider Attention-Mechanismus: Das neue Modell wendet in 75 Prozent der Layer eine Form der sogenannten linearen Attention (Gated DeltaNet) an, die wesentlich weniger Speicher und Rechenzeit benötigt. Die übrigen Layer arbeiten nach dem Standard-Attention-Mechanismus. Im Blog kann man nachlesen, dass diese hybride Architektur bessere Ergebnisse erzielt, als in allen Layern den gleichen Attention-Mechanismus zu verwenden. Diese Änderung führt dazu, dass man das Modell nicht mehr als reine Transformer-Architektur bezeichnen kann.
Schlanke Mixture-of-Experts-Struktur: Mixture-of-Experts-Modelle (MoE) verwenden immer nur einen Teil der Parameter und können damit Token schneller vorhersagen. MoE-Modelle gibt es schon einige Jahre, und Innovationen setzte vor allem DeepSeek mit seiner V3-Architektur um. Sie bietet deutlich mehr Experten: 256 statt der üblichen acht, jedoch sind immer nur acht gleichzeitig aktiv. Von den 671 Milliarden Parametern sind damit bei jeder Vorhersage nur 37 Milliarden erforderlich. Qwen3-Next geht hier noch weiter und arbeitet bei „lediglich“ 80 Milliarden Parametern mit ganzen 512 Experten, von denen immer zehn befragt werden. So benötigt jede Vorhersage nur drei Milliarden Parameter.
Trainingsoptimierungen: Das Training großer Sprachmodelle ist enorm aufwendig und dauert Hunderte GPU-Jahre. Daher legen Data Scientists großes Augenmerk darauf, diesen Prozess möglichst gut zu optimieren. Während etwa Moonshot.ai den Muon-Optimizer verwendet, nutzt das Schweizer Apertus-Modell Goldfish Loss, um das Training effizienter zu gestalten. Qwen3-Next hat dafür gleich mehrere, andere Optimierungen parat. Zunächst hilft auch hier der hybride Attention-Mechanismus, aber die Entwickler nutzen darüber hinaus eine nullzentrierte RMS-Norm (Root Mean Square) für die Layer-Gewichte, weil die bisher verwendete QK-Norm (Query-Key) explodierte. Zusätzlich implementieren sie ein nicht näher definiertes Verfahren, das alle MoE-Experten unvoreingenommen mit Trainingsdaten versorgt. Möglicherweise kommt hier das von DeepSeek veröffentlichte Verfahren Auxiliary-Loss-Free zum Einsatz, aber die Qwen-Autoren schweigen sich zu Details aus.
Vorhersage mehrerer Token: Mit der Mehrfachvorhersage haben schon einige Modelle experimentiert, bisher aber vor allem als Optimierung im Trainingsprozess. Auch hier geht Qwen3-Next einen Schritt weiter und lässt die Vorhersage im Inferenzmodus zu. Da die vorhergesagten Token nicht immer richtig sind, heißt das Verfahren auch Speculative Decoding. Was bisher nur mit Tricks und der Kombination kleiner und großer Modelle möglich war, bietet Qwen3-Next direkt.
Das Qwen-Team behauptet, dass es das Modell durch diese Optimierungen mit lediglich 80 Prozent des Aufwands für das deutlich kleinere Qwen3-30B-A3B trainieren konnte. Im Vergleich zum dichten Qwen3-32B bedeutet das demnach weniger als zehn Prozent des Aufwands. Die Optimierungen helfen auch in der Inferenzphase: Besonders bei langen Kontexten ist das Modell deutlich schneller als vergleichbar große Modelle.
Qwen3-Next in der Praxis
Das neue Modell auszuprobieren, ist nicht so einfach, denn die stark veränderte Architektur führt zu Problemen mit dem beliebten Tool llama.cpp, das wohl bis auf Weiteres nicht damit zusammenarbeitet. Besser sieht es mit der Transformers-Bibliothek aus, und auch vLLM arbeitet mit Qwen3-Next und überraschenderweise auch für das von Apple bereitgestellte MLX-Framework.
Die Ausführung funktioniert am zuverlässigsten mit Quantisierung, also reduzierter Genauigkeit zugunsten des Speicherbedarfs, weil die Modelle sonst mehr als 160 GByte RAM benötigen. Auf runpod.io kann man sich beispielsweise eine RTX 6000 Pro mit 96 GByte VRAM für knapp zwei Euro pro Stunde mieten und zumindest mit dem AWQ-Modell (Activation-aware Weight Quantization for LLM Compression and Acceleration) herumspielen. Gleiches gilt für Apple-Hardware, auf der es mindestens 64 GByte RAM sein sollten. Alternativ kann man OpenRouter nutzen, wo das Modell bei unterschiedlichen Providern zur Verfügung steht.

Qwen3-Next-Thinking kennt den Heise Verlag gut, auch wenn es keine Zeitschrift mit dem Titel Security Intelligence gibt und 1949 auch noch keine Elektrotechnik-Zeitschriften im Programm waren.
Die Antwort von Qwen3-Next-Instruct ist ähnlich. Das Reasoning bringt dabei also kaum Verbesserungen. Insgesamt ist das Instruct-Modell auf lmarena.ai und livebench.ai etwas besser bewertet. Die deutsche Variante der Strawberry-Challenge mit der Frage nach der Anzahl der „e“ in Erdbeere kann das Instruct-Modell nach anfänglich falschem Raten richtig beantworten:

Das Modell korrigiert sich, kommt aber auf das richtige Ergebnis bei der deutschen Strawberry-Challenge.
Qwen3-Next ist bei politischen Fragen äußerst restriktiv. Nur mit Mühe kann man ihm (vor allem in quantisierten Modellen) etwas dazu entlocken. Bei der Ausgabe ist der wiederholte Hinweis spannend, dass das Modell zu dem Thema nichts sagen darf. Das sieht fast danach aus, als ob sich das Modell verplappert hätte, sich dann aber wieder auf die indoktrinierten Texte einstellt:

Bei der Erläuterung der Tiananmen-Unruhen sind vor allem die zusätzlichen Hinweise spannend.
Das Modell arbeitet äußerst schnell. Mit dem (wenig effizienten) AWQ kann man auf einer RTX 6000 Pro etwa 20 Token pro Sekunde erreichen, das 4-Bit-quantisierte Modell schafft auf einem M2 Ultra fast 50 Token pro Sekunde, bei OpenRouter ist es mit knapp 150 Token pro Sekunde gelistet. Das ist für ein solches Modell beachtlich.
Künstliche Intelligenz
Nvidia: Vertragsschluss mit Inferenz-Chip-Startup | heise online
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Nvidia hat am Mittwoch offenbar einen rund 20 Milliarden Dollar-Vertrag mit einem Startup namens Groq abgeschlossen, in dessen Rahmen Groq-Chef und -Gründer
Jonathan Ross und weitere Mitarbeiter des Startups zu Nvidia wechseln. Beide Firmen bezeichnen den Deal als nicht-exklusiv und Groq soll als Marke wohl unabhängig bleiben. Der Vertrag wird als der größte Deal in der Firmengeschichte Nvidias bezeichnet.
Groq wurde 2016 von Schöpfern von Googles Tensor Processing Unit gegründet. Das Startup stellt Chips her, die für die Inferenz ausgelegt sind (Language Processing Architektur). Gemeint ist der Betrieb von KI-Modellen, also das was „unter der Haube“ stattfindet, wenn man trainierte KI-Modelle nutzt, zum Beispiel etwas fragt, darum bittet, Vorhersagen zu treffen oder Schlussfolgerungen aus Daten zu ziehen.
Die Groq-Chips sind bei der Inferenz wohl bis zu zehn Mal schneller als herkömmliche GPUs, bei denen Nvidia als Marktführer gilt. Für den Betrieb von KI-Modellen erwarten Experten künftig die größte Nachfrage an Chips, was ein mutmaßlich treibender Grund für den Vertragsabschluss war. Nvidias eigene Chiptechnologie glänzte bisher stärker im Bereich des Trainings von KI-Modellen.
In einer Nvidia-internen Mail schrieb der Firmen-CEO Jensen Huang laut der Webseite des US-amerikanischen Wirtschafts- und Finanznachrichtensenders CNBC, dass man die Chips von Groq in die Nvidia-Werksarchitektur aufnehmen wolle, um „eine noch breitere Palette an KI-Inferenz- und Realtime-Workloads“ zu bedienen.
Nvidia verzeichnete in der jüngsten Vergangenheit enormes Wachstum – Ende Oktober hatte das Unternehmen laut CNBC in „cash und short-term investments“ 60,6 Milliarden US-Dollar zur Verfügung, also Geld, das Nvidia einfach ausgeben kann, Anfang 2023 waren es noch 13,3 Milliarden Dollar.
(kst)
Künstliche Intelligenz
Nasa-Mondmission: Maskottchen-Entwurf aus Deutschland nominiert
Wenn 2026 erstmals seit über 50 Jahren wieder Menschen in die Nähe des Mondes fliegen, könnte ein in Deutschland entworfenes Maskottchen mit an Bord sein. Ein Entwurf der in Berlin lebenden 34 Jahre alten Italienerin Giulia Bona schaffte es aus mehr als 2.600 Einreichungen von Kindern und Erwachsenen aus der ganzen Welt in die Endrunde der 25 Finalisten, wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa mitteilte. Der Gewinner-Entwurf soll von der Artemis 2-Crew – Reid Wiseman,Victor Glover, Christina Koch und Jeremy Hansen – ausgewählt werden. Die vier Raumfahrer sollen mit der auf rund zehn Tage angelegten Mission in der ersten Jahreshälfte 2026 den Mond umrunden. Sie wären die ersten Menschen in der Nähe des Mondes, seit die Astronauten der Apollo 17-Mission den Erdtrabanten im Jahr 1972 betraten.
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Bonas Schwerelosigkeits-Maskottchen ist ein kleiner Astronaut, der auf der Schulter eines Giganten sitzt. Ein Schwerelosigkeits-Maskottchen ist ein Objekt, das in einem Raumschiff zu schweben beginnt, sobald nach dem Start die Schwerelosigkeit eingesetzt hat. So wird der neue Zustand sichtbar demonstriert.
Die 24 anderen ausgewählten Entwürfe stammen nach Nasa-Angaben aus den USA, Kanada, Kolumbien, Finnland, Frankreich,Japan, Peru, Singapur und Großbritannien.
Schon Gagarin hatte wohl ein Schwerelosigkeits-Maskottchen
Angeblich geht die Tradition des sogenannten Zero-G-Indicators schon auf Juri Gagarin zurück, den ersten Menschen im Weltraum. Der sowjetische Kosmonaut soll bei seinem Flug im Jahr 1961 eine kleine Puppe dabeigehabt haben. Seitdem waren zahlreiche Objekte, darunter viele Stofftiere, im All. Sie habe im Internet von der Aktion gelesen und spontan beschlossen mitzumachen – unter anderem, weil sie schon seit ihrer Kindheit vom Weltraum fasziniert sei, sagte die in Berlin als freiberufliche Wissenschaftskommunikatorin arbeitende Bona der Deutschen Presse-Agentur. „Ich hätte nicht wirklich gedacht, dass ich so weitkommen könnte.“ Nach „Wochen voll schlechter Ideen“ sei sie auf den schlussendlich eingereichten Entwurf gekommen: einen Astronauten, der auf der Schulter eines Giganten namens Orion sitzt. Orion heißt auch die Raumkapsel der Nasa, sowie ein Partner der Göttin Artemis, nach der die Mondmission benannt ist.
Dass ihr Entwurf es in die Endrunde geschafft habe, sei eine«unerwartete Freude» gewesen, sagte Bona. Viele der anderen Entwürfe finde sie auch großartig, sie wolle aber nicht lügen: Natürlich würde sie liebend gerne den Livestream des Artemis-Starts verfolgen und dann ihr Maskottchen „zwischen den Astronauten schweben sehen.“
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(kst)
Künstliche Intelligenz
ÖPNV in Los Angeles: Wo soziale Probleme auf Züge und sehr viele Autos treffen
Der Mann mit dem Kinderfahrrad, der an der Bushaltestelle neben dem japanischen Nobelrestaurant Nabu – Ferrari und Range Rover geben sich hier ein Stelldichein – in Malibu steht, sieht ziemlich abgewetzt aus. Er bittet den Busfahrer, sein Gefährt wie hier üblich vorn aufzuladen, was der auch ohne Murren tut. Dann steigt er ein und läuft erst einmal durch den Bus, um um Fahrgeld zu betteln. Es dauert vielleicht 30 Sekunden, bis er es zusammen hat. Einer der milden Spender erhält von dem Mann ein Stückchen Haschisch, der bedankt sich freundlich.
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Dann setzt sich der Mann ein paar Reihen vor mich und beginnt, seine Fußbehausung auszuziehen. Die kommende Viertelstunde Fahrt über den Pacific Coast Highway verbringt er damit, sich seine Füße einzucremen, mit etwas, was mich an Salbe aus der deutschen Latschenkiefer erinnert. Der ganze Bus stinkt danach, als die meisten Fahrgäste später in Santa Monica aussteigen werden.
Lieber im Stau stehen
Willkommen im Wahnsinn des ÖPNV von Los Angeles, der zweitgrößten Stadt der Vereinigten Staaten. Wer den öffentlichen Personennahverkehr aus Deutschland oder auch nur aus New York oder Chicago gewohnt ist, wundert sich hier schnell über gar nichts mehr. Es ist ein System, in dem eine wichtige Strecke wie die Light-Rail-Linie E der Los Angeles Metro Rail werktäglich keine 50.000 Fahrgäste anzieht (zum Vergleich: die U2 im viel kleineren Hamburg hat im Hauptabschnitt fast die doppelte Fahrgastmenge) und in dem mir ein Angestellter in einem Sportgeschäft von der Wunscherfüllung seines Traumes erzählt, sich endlich mit dem eigenen Auto auf dem Weg zur Arbeit in den Stau stellen zu können. Er sei so froh, „diesem Scheiß“, den Los Angeles Metro biete, endlich entflohen zu sein, sagt er triumphierend und mit stolzem Blick.

Highway-Verkehr in Downtown Los Angeles: So höllisch stellt man sich den Verkehr in der Metropole vor.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Auf den ersten Blick sieht das Angebot der verschiedenen Verkehrsbetriebssparten in Los Angeles nicht schlecht aus. Gut, auf der Karte dieses Stadtgiganten, in dem sich ein Ort übergangslos an den nächsten reiht, zeigt die ÖPNV-Karte zahlreiche weiße Flächen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass hier vor dem 2. Weltkrieg eines der größten (wenn nicht das größte) Straßenbahn- und Interurban-Netzwerk der Welt beheimatet war. Dann wurden viele Linien durch Busse ersetzt (wunderbar dargestellt im Film „Who Framed Roger Rabbit“) und seither versucht die Stadt, mit einer Mischung aus Bussen, besagten Light-Rail-Linien plus zwei „echten“ U-Bahn-Routen und einem Commuter-Zug-Netzwerk (Metrolink) an alte Personentransporterfolge anzuknüpfen.
Für 1 Dollar 75 durchs Riesennetz
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Das gelingt nur mit mäßigem Erfolg. Zuletzt wurde in Downtown L.A. – das, wenn man sich von der Skid Row fernhält, wirklich schön geworden ist – für sehr viel Geld ein neuer „Regional Connector“ gebaut, der die Metro-Rail-Linien im Innenstadtbereich besser vernetzen soll. Allein, eine massive Erhöhung der Fahrgastzahlen brachte das nicht. Eines der Probleme sind die Angsträume, die das ÖPNV-System liefert. Die Drogensüchtigen und Wohnungslosen gegenüber traditionell liberale Verwaltung hat zwar eingesehen, dass es sinnvoll ist, (wieder) mehr Polizei in den Untergrund zu schicken, und betreibt zudem eigene Sicherheitstruppen (die allerdings eher argumentieren sollen, als einzugreifen). Doch was hilft es, wenn man selbst auf den Stationen des Hollywood Boulevard gefühlt faktisch allein ist oder man an der Station Grand Ave Arts / Bunker Hill gezwungen ist, einen der vielen Aufzüge zu nehmen, die scheinbar reguläre Bewohner haben. Immerhin läuft hier mittlerweile stets schöne, klassische Musik zur Beruhigung.

Light-Rail-Zug der Metro-Rail-Linie E in Santa Monica: Schöne Wagen aus Japan.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Aber zurück zum Positiven: Das ÖPNV-System von Los Angeles hat, wenn man sich hineintraut, auch für touristische oder geschäftliche Besucher seine Vorteile. Da wäre zunächst der enorm geringe Preis, der sich daran orientiert, dass die meisten Fahrgäste laut Statistik unter 50.000 US-Dollar im Jahr verdienen. Nur schlappe 1,75 Dollar werden pro Ticket fällig, die man per „TAP“-NFC-Karte oder auch – viel einfacher – „TAP“-App oder Apple Wallet entrichtet. Dafür kann man quasi beliebig lange in diesem gigantischen System unterwegs sein, zwei Stunden sind zudem „Transfers“ zu einem anderen Verkehrsmittel möglich. Aber auch diesen Billigpreis zahlen viele Fahrgäste nicht. Sie überspringen die oft nur schlecht geschützten Bahnsteigsperren. Als Los Angeles Metro beschloss, das System durch „Tap-to-Exit“, also den Zwang zum zusätzlichen „Tap out“ bei Ende der Fahrt, sicherheitstechnisch (und einnahmentechnisch) zu verbessern, sorgte dies für Proteste. Die Feuerwehr ließ den „Piloten“ schließlich stoppen, da das angeblich zu gefährlich bei Bränden sei. (Resultat: Die Kriminalität stieg wieder.) Ergo: Viel einfacher kann man ein ÖPNV-System eigentlich nicht benutzbar machen.
Proteste in Beverly Hills
Dann wäre da das Netzwerk selbst. Es ist, wie erwähnt, für die Größe der Region eigentlich viel zu klein. Doch es wächst trotz aller Probleme. Ist man etwa in Downtown untergebracht, kann man locker lässig mit der Linie B bis nach Hollywood fahren, etwa um den „Walk of Fame“ zu sehen oder den Universal Studios City Walk. Bald soll es mit der Linie D auch zur Westside gehen. Das D-Line-Subway-Extension-Project zieht sich Teile des Wilshire Boulevard entlang und führt die U-Bahn erstmals nach/über Beverly Hills. Dort protestierte man in Teilen zunächst, denn es wird stets befürchtet, dass der Nahverkehr eben auch unerwünschte Personen in reiche(re) Gegenden holen könnte. Gearbeitet wurde auch am Flughafenzugang. Die Linie K wird nun über das frisch eröffnete LAX/Metro Transit Center geführt, wo aktuell Shuttlebusse zum Flughafen afahren, im kommenden Jahr auch eine automatisierte Gummireifenbahn (Los Angeles Airport Automated People Mover, LAX APM), die die Anbindung verbessern soll und verschiedene Bereiche des Flughafens direkt anfährt.

Ausblick aus einem Metro-Rail-Wagen – im Hintergrund ein Betriebshof.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Allerdings gibt es da noch ein zentrales Problem: Erst einmal zu LAX/Metro Transit Center zu gelangen. Nehmen wir unser Downtown-Beispiel. Sie sind gegenüber der Disney Concert Hall in einem der schicken neuen Hotels untergebracht und wollen – so verrückt es klingt – mit dem ÖPNV zum Flughafen. Dafür – falls Sie nicht einen womöglich ewig im Verkehr stehenden Bus nehmen wollen – steigen Sie zunächst in die Linie E und fahren bis Expo/Crenshaw in Jefferson Park. Das allein dauert laut Fahrplan 23 Minuten, an Werktagen kommen die Light-Rail-Züge im dichtesten Takt alle 8 Minuten. Zwei Probleme bemerken Sie sogleich: Erstens ist die Bahn nicht auf Ihr Gepäck ausgelegt, zweitens fährt sie nicht, wie man das von einem schienengestützten ÖPNV-System für den Massenverkehr eigentlich erwarten sollte, auf einer komplett eigenen Trasse.
Bahnen müssen warten
Das heißt: Der Zug wartet noch immer häufiger an Ampeln oder Bahnübergängen wie eine Straßenbahn, auch wenn sich die Stadt seit Jahren bemüht, diese Bremsbereiche zu reduzieren. Sind Sie dann in Expo/Crenshaw, müssen Sie zunächst etwas laufen, um von der oberirdischen Station der Linie E in die hier unterirdisch geführte K-Line (besteht ebenfalls aus Light-Rail-Zügen) umzusteigen. Laut Fahrplan sind dies dann noch weitere 23 Minuten bis zur (fast zu) großzügig ausgebauten Flughafentransferstation LAX/Metro Transit Center.

Inneres einer Metro-Rail-Station: Sie sind teilweise sehr hübsch gestaltet und man hört beruhigende Musik – Angsträume bleiben sie trotzdem.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Existierte der erwähnte LAX APM bereits, könnten Sie jetzt in diesen umsteigen, doch stattdessen kommt aktuell nur der Shuttlebus. Resultat: Haben Sie Glück, schaffen Sie die Route in etwa einer Stunde und 15 Minuten. Leider vollkommen irre: Der derzeit noch fahrende Direktbus benötigt von der Union Station zusammen mit dem Zuläuferverkehr (erreichbar ist der Hauptbahnhof von Los Angeles von Downtown aus mit der U-Bahn-Linie B) im Idealfall laut Fahrplan nur 52 Minuten.
Der Mann mit der Corona-Maske
Das milliardenschwere Engagement ohne Zeitgewinn (je nachdem, wo man herkommt, natürlich) zeigt die verkehrlichen Probleme dieser Stadt wie ein Brennglas: Die Verwaltung bemüht sich stets, will aber dann den letzten Schritt doch nicht gehen, sei es aus Angst vor Protesten kapitalstarker Lobbygruppen oder aus ideologischen Aspekten. Für den normalen Bürger bleibt letztlich alles beim Alten: Der versucht, sich möglichst bald aus dem ÖPNV herauszuziehen und verstopft weiter die Straßen. Das eigene Auto fühlt sich sicherer und heimeliger an als der ÖPNV-Wahnsinn. Alternativ leistet man sich ein Fahrzeug von Uber oder Lyft (wobei deren Auffinden am Flughafen, das System nennt sich „LAX-it“, eine echte Katastrophe darstellt) oder besteigt die zunehmend überall verfügbaren autonomen Waymo-Fahrzeuge der gleichnamigen Google-Tochter. Es ist zum Haareraufen in dieser wunderbar verrückten Betonwüste, umgeben von je nach Wetterlage magisch wirkenden Bergen und Wäldern, wenn diese am „Wildland-Urban-Interface“ nicht wieder einmal zu brennen beginnen.

Metrolink-Zug in der Union Station von Los Angeles: Die Commuter-Linien gibt es auch noch – sie fahren mit „Ultra Low Sulfur Diesel“ aus erneuerbaren Quellen.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Als ich kurz vor meiner Abreise noch einmal mit der U-Bahn fahre, um mir an der sehr schön erhaltenen Union Station im Mission-Revival-Stil die Züge des Commuter-Netzwerks Metrolink anzusehen, habe ich ein letztes, eindringliches L.A.-ÖPNV-Erlebnis. Ein Obdachloser, der am Wagenende entspannt, warnt mich eindringlich vor einer Person mit COVID-19-Bemaskung, die nicht danach aussieht, als gehe es ihr um die persönliche Gesundheit. „Der wird Dich gleich ausrauben, Bruder.“ Ich bedanke mich herzlichst und suche schnellstmöglich das Weite.
(bsc)
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